Von Ralf Keuper

Der Vor­teil gro­ßer, dezen­tral orga­ni­sier­ter Ver­bün­de, wie bei den Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken, besteht in mög­lichst gro­ßen Ent­schei­dungs­spiel­räu­men der ein­zel­nen Spar­kas­se oder Volks­bank in geschäfts­po­li­ti­schen Fragen.

Das Regio­nal­prin­zip sorgt dafür, dass die ein­zel­ne Spar­kas­se oder Volks­bank nur in ihrem eige­nen Geschäfts­ge­biet agie­ren darf. Auf die­se Wei­se soll direk­te Kon­kur­renz ver­hin­dert wer­den. Das Pro­blem ist nur: Das Inter­net kennt kein Regio­nal­prin­zip[1]Das Inter­net kennt kein Regio­nal­prin­zip: Ein Dilem­ma für die Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken. In der Platt­form­öko­no­mie kön­nen Ver­bund­or­ga­ni­sa­tio­nen wie die der Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken ihre ursprüng­li­chen Vor­zü­ge nicht mehr zur Gel­tung bringen.

Regio­nal­prin­zip wird durch zuneh­men­de Zen­tra­li­sie­rung ausgehöhlt

Die Zen­tra­li­sie­rung hat in den Spar­kas­sen- und Genos­sen­schafts­ver­bän­den deut­lich zuge­nom­men[2]Regio­nal­prin­zip der Spar­kas­sen und Genos­sen­schafts­ban­ken in Auf­lö­sung. Das liegt nicht nur an der wach­sen­den Zahl von Fusio­nen auf Ebe­ne der Spar­kas­sen und Volks­ban­ken. Plä­ne zur Grün­dung einer Super­lan­des­bank eben­so wie die Fusi­on der DZ  Bank mit der WGZ vor eini­gen Jah­ren sind eben­falls Anzei­chen dafür, dass die Zen­tra­li­sie­rung auf dem Vor­marsch ist. Dane­ben wir­ken die Prü­fungs­ver­bän­de, wie bei den Volks­ban­ken, ver­stär­kend in Rich­tung Zen­tra­li­sie­rung[3]Volks­ban­ken: Hin­ter der Fas­sa­de bro­delt es. Eine para­do­xe Situa­ti­on: Einer­seits stößt die dezen­tra­le Orga­ni­sa­ti­ons­form auf loka­ler Ebe­ne immer häu­fi­ger an ihre Gren­zen, wäh­rend ande­rer­seits Macht und Ent­schei­dungs­be­fug­nis­se in der Ver­bund­hier­ar­chie nach oben ver­la­gert werden.

Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip – Stär­ke und Schwä­che zugleich 

Neben dem Regio­nal­prin­zip ist das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip ein wei­te­rer Grund­pfei­ler der Spar­kas­sen und Volks­ban­ken. Es besagt,

dass (höhe­re) staat­li­che Insti­tu­tio­nen nur dann (aber auch immer dann) regu­la­tiv ein­grei­fen soll­ten, wenn die Mög­lich­kei­ten des Ein­zel­nen, einer klei­ne­ren Grup­pe oder nied­ri­ge­ren Hier­ar­chie-Ebe­ne allein nicht aus­rei­chen, eine bestimm­te Auf­ga­be zu lösen. 

Die Auf­ga­ben­tei­lung in der Spar­kas­sen­or­ga­ni­sa­ti­on und bei den Genos­sen­schafts­ban­ken ist der­ge­stalt, dass die ört­li­che Volks­bank oder Spar­kas­se in geschäfts­po­li­ti­schen Fra­gen gro­ße Frei­heit hat, bei allen dar­über hin­aus­ge­hen­den Belan­gen, die ein ein­zel­nes Insti­tut nicht abde­cken kann, die Diens­te über­ge­ord­ne­ter Instan­zen (Ver­band, DZ-Bank, Lan­des­bank) bzw. ange­schlos­se­ner Dienst­leis­ter (Fidu­cia & GAD IT AG, Finanz Infor­ma­tik) in Anspruch nimmt[4]Stra­te­gien in einer kom­ple­xen Welt: Her­aus­for­de­run­gen und Lösun­gen für die genos­sen­schaft­li­che Finanz­Grup­pe (s. Schaubild).

Knack­punkt Kundenbeziehung 

Wie das Bei­spiel Yomo u.a. ver­deut­licht, las­sen sich Smart­phone-Ban­ken wie N26 kaum bis gar nicht mit dem Regio­nal- und Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip ver­ei­nen. Sofern die Spar­kas­sen und Volks­ban­ken eine kon­kur­renz­fä­hi­ge Alter­na­ti­ve am Markt durch­set­zen wol­len, muss die Kun­den­be­zie­hung auf die Smart­phone-Bank über­ge­hen. Eben­so müss­te die Smart­phone-Bank eine eige­ne Geschäfts­po­li­tik betrei­ben. Die loka­len Volks­ban­ken und Spar­kas­sen wür­den ent­mach­tet. Ihnen wür­de über­dies die Geschäfts­grund­la­ge ent­zo­gen, die Ver­bund­or­ga­ni­sa­ti­on auf den Kopf gestellt.

Flucht in die Zentralisierung 

Die Spar­kas­sen und Volks­ban­ken, bzw. die jewei­li­gen Finanz­grup­pen suchen ihr Heil in der Zen­tra­li­sie­rung. Grö­ße­re Ein­hei­ten, so die Kal­ku­la­ti­on, kön­nen Grö­ßen­vor­tei­le nut­zen und Kos­ten­ein­spa­run­gen rea­li­sie­ren. Fusio­nen sind an der Tages­ord­nung – sowohl auf der unte­ren (ört­li­che Volks­bank oder Spar­kas­se) wie auch der obe­ren Ebe­ne (Ver­bän­de, DZ Bank, Super-Lan­des­bank). Der Ein­fluss der Zen­tral­in­sti­tu­te und Ver­bän­de auf die Geschäfts­po­li­tik der Spar­kas­se oder Volks­bank nimmt zu. Der Bezug zur Regi­on und den Kun­den wird gelockert.

Die Tei­le pas­sen nicht mehr zusammen

Wie man es auch dreht und wen­det: Die Tei­le pas­sen nicht mehr zusam­men[5]Spar­kas­sen-Finanz­grup­pe: Sind Ver­bün­de noch zeit­ge­mäß?. Eine ein­zel­ne Volks­bank kann auf Dau­er nicht gegen die neu­en Mit­be­wer­ber wie N26, Goog­le oder Apple bestehen. Digi­ta­le Ban­ken, die an kei­ne Regi­on und kei­nen Ver­bund geket­tet sind, neh­men den gan­zen Markt im Blick. Die (über­re­gio­na­len) Kun­den­be­dürf­nis­se haben Prio­ri­tät. Ver­bün­de kön­nen kei­ne Syn­er­gie­ef­fek­te mehr rea­li­sie­ren, die einen dau­er­haf­ten Wett­be­werbs­vor­teil dar­stel­len. Ihnen fehlt dazu die nöti­ge tech­no­lo­gi­sche Infra­struk­tur eben­so wie die Daten­ba­sis[6]Die neu­en Eco­no­mies of Scope (Ver­bund­ef­fek­te) im Ban­king. Der Abstim­mungs­auf­wand ist zu groß, da zu vie­le Instan­zen mit­re­den wol­len. Die Siche­rung der eige­nen Macht- und Exis­tenz­ba­sis hat Vor­rang vor den Bedürf­nis­sen der Kun­den. Die Stra­te­gie, den Markt durch Lob­by­is­mus, Grö­ße und Zen­tra­li­sie­rung zu beherr­schen, funk­tio­niert nicht mehr, eben­so wenig wie die alte Bran­chen­lo­gik[7]Ver­al­te­te Bran­chen­lo­gik bestimmt nach wie vor die Hand­lungs­lo­gik der Ban­ken. Ban­ken kon­kur­rie­ren heu­te nicht mehr nur mit ande­ren Ban­ken, son­dern mit Tech­no­lo­gie­kon­zer­nen, für die das Ban­king nur ein Teil des Geschäfts­mo­dells und der Stra­te­gie ist.

Die Innen­sicht domi­niert – wenn der Teil sich für das Gan­ze hält

Die Anreiz­sys­te­me in den Ban­ken und Spar­kas­sen sind nach wie vor so aus­ge­legt, dass der Ver­kauf der eige­nen Pro­duk­te Vor­rang hat, ganz gleich, ob das Pro­dukt zu den Bedürf­nis­sen der Kun­den passt oder nicht. Es über­wiegt die Innen­sicht, d.h. man nimmt an, dass der eige­ne Ver­bund die Markt­rea­li­tät voll­stän­dig abdeckt. Koope­ra­tio­nen mit mehr oder weni­ger bran­chen­frem­den Anbie­tern wer­den so weit wie mög­lich gemie­den. Sie wür­den das ohne­hin brü­chig gewor­de­ne Ver­bund­sys­tem aus dem Gleich­ge­wicht brin­gen. Man greift not­ge­drun­gen auf die Diens­te der ver­bund­ei­ge­nen IT-Dienst­leis­ter zurück, auch wenn deren Per­for­mance den Anfor­de­run­gen der Kun­den­be­dürf­nis­se wie über­haupt der Digi­ta­li­sie­rung nicht mehr gerecht wer­den. Der Teil hält sich für das Gan­ze und merkt nicht, wie er unter der wach­sen­den Kom­ple­xi­tät des Geschäfts und der Außen­be­zie­hun­gen zusam­men­bricht. Ban­king ist schon längst Teil eines neu­en Sys­tem­zu­sam­men­hangs

Kon­troll­il­lu­si­on

Das größ­te Pro­blem jedoch ist die Kon­troll­il­lu­si­on unter denen gro­ße Ver­bün­de, die aus dem Indus­trie­zeit­al­ter stam­men, lei­den. Die Her­aus­for­de­run­gen der Umwelt las­sen sich, so die Annah­me, ent­we­der durch den Macht­zu­wachs eini­ger Tei­le des Ver­bunds, durch mehr Ver­kaufs­druck oder durch die Digi­ta­li­sie­rung der bestehen­den Ver­fah­ren und Pro­duk­te bewäl­ti­gen. Das funk­tio­niert nicht mehr – weder in der Auto­mo­bil­in­dus­trie, der Medi­en­in­dus­trie, der Unter­hal­tungs­elek­tro­nik noch im Banking.

Abstieg auf Raten

Da nicht davon aus­zu­ge­hen ist, dass die Ver­bund­or­ga­ni­sa­tio­nen der Spar­kas­sen und Volks­ban­ken ihre Stra­te­gie ändern wer­den[8]“Der genos­sen­schaft­li­che Ban­ken­ver­bund am Bei­spiel des Volks­ban­ken-Ver­bun­des”, bleibt nur noch ein Abstieg auf Raten. Yomo, pay­di­rekt und YES sind nur Vor­bo­ten. Aller­dings kann man die­sen Nie­der­gang nicht allein den Ban­ken anlas­ten. Denn: Ban­ken und Spar­kas­sen kön­nen letzt­end­lich nur so gut sein, wie es Wirt­schaft und Poli­tik in dem jewei­li­gen Land zulas­sen. Und hier kann man nicht umhin fest­zu­stel­len, dass die Leit­bran­chen, allen vor­an die Auto­mo­bil­in­dus­trie, den Anschluss ver­lo­ren haben. Die Poli­tik hat es ver­säumt in die Infra­struk­tur, ins­be­son­de­re in den Aus­bau des Glas­fa­ser­net­zes, zu inves­tie­ren. Statt­des­sen ver­such­te und ver­sucht man, Bran­chen, die ihren Zenit über­schrit­ten haben, mit allen Mit­teln am Leben zu erhal­ten[9]Geschich­te im Ers­ten: Digi­ta­le Ver­lust­zo­ne. Wie Deutsch­land den Anschluss ver­lor.

Exkurs: Sub­si­dia­ri­tät
Das latei­ni­sche Wort Sub­si­dum bezeich­ne­te die drit­te Rei­he in der Schlacht­ord­nung der Legio­nä­re – jene Kämp­fer, die erst dann ein­grei­fen, wenn die Sol­da­ten vor ihnen nicht mehr aus­rei­chen. Sei­ne heu­ti­ge Bedeu­tung ver­dankt das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip dem Vati­kan, wo unter Papst Pius XI 1931 in der Enzy­kli­ka “Quad­ra­ge­si­mo anno” Sub­si­dia­ri­tät als sozi­al­phi­lo­so­phi­scher Grund­satz defi­niert wur­de. Über­ge­ord­ne­te Insti­tu­tio­nen soll­ten nur bemüht wer­den, wenn die klei­ne­ren Ein­hei­ten über­for­dert sind (in: Was ist eigent­lich – DAS SUBSIDIARITÄTSPRINZIP?).

Der Begriff wur­de von der katho­li­schen Sozi­al­leh­re erst rich­tig popu­lär gemacht. In die öffent­li­che Dis­kus­si­on gebracht hat ihn u.a. der Nes­tor der katho­li­schen Sozi­al­leh­re, Oswald von Nell-Breu­ning. Die­ser hat­te sei­ne Gedan­ken dazu in Bau­ge­set­ze der Gesell­schaft. Soli­da­ri­tät und Sub­si­dia­ri­tät zusam­men­ge­fasst. Größ­ter “Anwen­dungs­fall” für das Sub­si­dia­ri­täts­prin­zip ist die EU. Ein wei­te­res Anwen­dungs­feld ist die Ban­ken­re­gu­lie­rung in Deutsch­land und Euro­pa („Ver­hält­nis­mä­ßig­keit und Sub­si­dia­ri­tät in der Ban­ken­auf­sicht und ‑regu­lie­rung“ – Bericht über die BaFin-Kon­fe­renz).