Die Idee einer Bank, die neben den klassischen Bankdienstleistungen noch weitere Angebote, wie Versicherungen, führt, kam in den 1980er und 1990er Jahren auf. Die prominenteste Vertreterin dieses Ansatzes war die Citigroup in den USA, die sich Ende der 1990er Jahre in einen Supermarkt für Finanzdienstleistungen verwandeln wollte. Schon damals wiesen Kommentatoren darauf hin, dass der Versuch, “alles für alle zu sein zu einem nicht mehr zu managenden Allerlei von Geschäftsfeldern geführt. Dadurch wurden Profite von gutgehenden Geschäften nur dazu genutzt, die Verluste der schlechtgehenden zu verschleiern”[1]Der amerikanische Supermarkt der Finanzgeschäfte. Einige Jahre darauf musste sich die Citicorp nach großen Verlusten von dem Geschäftsmodell der Allfinanz verabschieden[2]CITIGROUP: A CASE STUDY IN MANAGERIAL AND REGULATORY FAILURES.
Fast zur gleichen Zeit startete die Allianz mit der Übernahme der Dresdner Bank ihrerseits den Versuch, das Konzept der Allfinanz in Deutschland zum Erfolg zu führen. Jahre zuvor unternahm die Aachen-Münchener – Versicherungs-Gruppe mit dem Kauf der Bank für Gemeinwirtschaft (BfG) einen Vorstoß in Richtung Allfinanz, der, aus unterschiedlichen Gründen, scheiterte. Bereits acht Jahre nach der Übernahme gab die Allianz ihre Allfinanz-Pläne wieder auf. Bis dahin hatte das Experiment der Allianz 14 Milliarden Euro gekostet. Der damalige Chef der Allianz räumte ein:
Wir müssen heute vielmehr eingestehen, dass wir es nicht hinbekommen haben, unsere Ambitionen zu verwirklichen, mit der Dresdner Bank einen Allfinanzkonzern zu schmieden.
Als Gründe für das Scheitern von (klassischen) Allfinanz-Konzepten werden häufig genannt:
- Mangelnde Kundenakzeptanz: Viele Kunden bevorzugten spezialisierte Anbieter für unterschiedliche Finanzprodukte, anstatt alles von einem Anbieter zu beziehen.
- Komplexität der Produkte: Die Vielfalt der angebotenen Finanzprodukte unter einem Dach führte oft zu Überforderung sowohl der Berater als auch der Kunden.
- Interessenkonflikte: Das Ziel, möglichst viele Produkte an einen Kunden zu verkaufen, stand oft im Widerspruch zu einer bedarfsgerechten Beratung.
- Mangelnde Expertise: Berater waren häufig nicht ausreichend qualifiziert, um kompetent über alle angebotenen Produkte zu beraten.
- Regulatorische Herausforderungen: Zunehmende Regulierungen im Finanzsektor erschwerten die Umsetzung des Allfinanz-Konzepts.
- Umorientierung der Finanzinstitute: Viele Banken und Versicherungen konzentrierten sich wieder stärker auf ihre Kernkompetenzen, anstatt das breite Allfinanz-Angebot aufrechtzuerhalten.
- Technologischer Wandel: Die Digitalisierung und das Aufkommen von Fintechs haben die Art und Weise, wie Finanzdienstleistungen angeboten und genutzt werden, grundlegend verändert.
- Kostendruck: Die Aufrechterhaltung eines breiten Produktportfolios erwies sich als kostenintensiv und nicht immer rentabel für die Anbieter.
Trotz der zahlreichen negativen Erfahrungen machten sich dennoch einige Banken daran, die Allfinanz in abgewandelter Form für sich zu nutzen. Beispielhaft dafür ist die Partnerschaft zwischen AXA und ING[3]ING Deutschland integriert digitale Versicherungen in ihr Online Banking.
Die Digitalisierung und die Verbreitung des Plattform-Gedankens hat an einigen Stellen zu einer Renaissance des Allfinanz-Konzepts geführt, wenngleich in anderer Ausprägung und Rollenverteilung.
So bieten sog. digitale Bancassurance-Plattformen Kunden die Möglichkeit, alle Konten auf einen Blick zu haben und Finanzgeschäfte aus einer Hand zu tätigen[4]DIGITALE BANCASSURANCE: ZENTRALE TRENDS UND WIE VERSICHERUNGEN DIESE FÜR SICH NUTZEN KÖNNEN. Statt Versicherungen über den Bankschalter zu verkaufen, stellen diese Modell die Einfachheit und Kundenorientierung in den Vordergrund. Mittels Open Banking und der Analyse von Transaktionsdaten können Versicherungen automatisch erkannt und Angebote personalisiert werden. Weiterhin bieten hybride Beratungsmodelle durch ihre Kombination von digitalen Kanälen mit persönlicher Beratung, z.B. durch Videochats, eine flexiblere und effizientere Kundenbetreuung. Auf neue höhe geführt hat diesen Ansatz die chinesische Ping An – Gruppe[5]Digitales Allfinanz-Ökosystem Ping An.
Jedoch führt der Wandel zu neuen Herausforderungen. Das betrifft vor allem die Themen Datenschutz und IT-Sicherheit. Wie die aktuellen Fälle aus den USA und die Probleme einiger Fintechs mit der Regulierung in Deutschland zeigen, sind die Risiken hierbei nicht zu unterschätzen[6]Zusammenbruch von Synapse lässt Kunden verzweifeln[7]Hacker-Angriff auf Open-Banking – Anbieter Evolve. Die Steuerung und das Risikomanagement von Plattformen kann schnell an der Komplexität des Geschäfts (Technologie, Regulatorik, unterschiedliche Strategien) scheitern.
Angesichts der geschilderten Entwicklung ist es um so bemerkenswerter (oder auch nicht), dass die Brawo-Group Braunschweig/Wolfsburg den klassischen Ansatz der Allfinanz wiederbelebt[8]Brawo Group – die etwas andere Genossenschaftsbank. Neben den geschilderten Herausforderungen kommt in diesem Fall noch hinzu, dass die Bank, wie durch die Übernahme mehrerer Restaurants im Raum Hannover, in Konkurrenz zu ihren Kunden aus der Gastronomie tritt. Eine Bank, die als Wirtschaftsakteur mit eigener Agenda in verschiedenen Branchen und Rollen auftritt, läuft Gefahr, in Interessenkonflikte verwickelt zu werden. Das kann durchaus zu einer Überdehnung führen, weshalb der Rat, sich auf das eigentliche Geschäft zu konzentrieren und sich für alle weiteren Aktivitäten Partner zu suchen, wohl nicht der schlechteste ist[9]„Das Allfinanz-Konzept kann als gescheitert gelten“.
References