Von Ralf Keuper

Der tie­fe Fall von Wire­card lässt die Fra­ge auf­kom­men, ob es sich dabei um einen Ein­zel­fall han­delt, oder die­ser “Bilanz­skan­dal” auch Rück­schlüs­se auf den all­ge­mei­nen Zustand von Fin­tech zulässt. Die Ner­vo­si­tät in der Fin­tech-Sze­ne hat nach mei­nem Ein­druck in den letz­ten Tagen, vor allem nach der Insol­venz von Wire­card, jeden­falls spür­bar zugenommen.

Eini­ge Kom­men­ta­to­ren fra­gen sich, ob Wire­card womög­lich nur die Spit­ze des Eis­bergs ist[1]Ist Wire­card nur die Spit­ze des Eis­bergs? Bei Fin­tech-Akti­en ist eini­ges faul. Die Tat­sa­che, “dass jedes Fin­tech-Unter­neh­men sich jetzt zu einem glo­ba­len Play­er auf­bla­sen will und jede Pay­ment-Platt­form von zig Mil­lio­nen Kun­den und Mil­li­ar­den Trans­ak­tio­nen spricht”, so Ralf Anders, löse bei ihm Miss­trau­en aus. Er kön­ne, selbst wenn er bei meh­re­ren Diens­ten regis­triert sei, bei einem Kauf ja nur einen davon nutzen. 

Rück­blick 

Seit 2014 kommt immer wie­der die Fra­ge auf, ob wir uns einer Fin­tech-Bubble nähern. In der Zeit nach der Finanz­kri­se, als die welt­wei­te Kon­junk­tur sich zu erho­len begann und ste­tig an Dyna­mik gewann, waren vie­le Inves­to­ren auf der Suche nach einem loh­nen­den Invest­ment[2]Nähern wir uns einer Fin­Tech-Bubble?.

Der Chef des zu dem Zeit­punkt erfolg­reichs­ten Start­up-Inves­tors, Intel Capi­tal, äußer­te sich besorgt zu den z.T. deut­lich über­trie­be­nen Erwar­tun­gen[3]Tech-Bubble im Anflug?:

In some are­as I would say the valua­tions are pret­ty stret­ched.  … There’s a lot of capi­tal try­ing to find the next Face­book but we all know that the­re are only likely to be a half dozen Face­books in the next deca­de or so .. But the result is that ever­y­bo­dy is cha­sing that big return and think they have found the next big, big win. I think that is dan­ge­rous[4] The bubble deba­te: Sili­con Val­ley Bank, Intel Capi­tal chiefs see one

Eini­ge Kom­men­ta­to­ren räum­ten im Jahr 2015 bereit­wil­lig die Exis­tenz einer Fin­tech-Bla­se ein, jedoch mit dem Hin­weis, dass es sich dabei um kei­ne Spekulations‑, son­dern um eine “Tech­no­lo­gie­bla­se” han­del­te[5]Fin­tech-Hype, oder: Von Tech­no­lo­gie- und Spe­ku­la­ti­ons­bla­sen.

Irra­tio­na­ler Überschwang 

Mitt­ler­wei­le, das zeigt nicht nur das Bei­spiel Wire­card, kön­nen wir auf dem Fin­tech-Markt mit Blick auf das Ver­hal­ten der Inves­to­ren und der “Märk­te” von irra­tio­na­lem Über­schwang sprechen.

Joseph Stig­litz sieht Bla­sen äußerst kritisch:

Man­che Abwei­chun­gen von den Fun­da­men­tal­da­ten hal­ten sich mit­un­ter rela­tiv lan­ge, spe­ku­la­ti­ve Bla­sen am Immo­bi­li­en­markt bei­spiels­wei­se und in jüngs­ter Ver­gan­gen­heit bei den Tech­no­lo­gie­ak­ti­en.  Als Green­span von “irra­tio­na­lem Über­schwang” sprach, mein­te er vor allem die­se. Die zufalls­be­ding­ten Markt­in­ef­fi­zi­en­zen sind mit hohen Kos­ten ver­bun­den; in das eine Unter­neh­men wird mög­li­cher­wei­se zu viel, in das ande­re zu wenig inves­tiert. Aber die Kos­ten von Bla­sen bewe­gen sich in einer ande­ren Grö­ßen­ord­nung, nicht nur wäh­rend der spe­ku­la­ti­ven Über­trei­bung, son­dern auch und vor allem im Anschluss dar­an. Solan­ge eine Bla­se besteht, wer­den alle mög­li­chen Res­sour­cen ver­schwen­det, und zwar in einem Aus­maß, das sich oft nur schwer abschät­zen lässt und das die Ver­schwen­dung öffent­li­cher Gel­der weit in den Schat­ten stellt. (in: Die Roaring Nine­ties. Der ent­zau­ber­te Boom).

Dass die Luft lang­sam ent­weicht, wird auch dar­an deut­lich, dass vie­le Fin­tech-Start­ups und Chal­len­ger-Ban­ken wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie schnell zu Mit­teln grei­fen muss­ten, die bis dahin mit der Old Eco­no­my oder Bran­chen in Ver­bin­dung gebracht wur­den, die sich in einer Struk­tur­kri­se befin­den: Mas­sen­ent­las­sun­gen wie bei Mon­zo,  Kurz­ar­beit und Ein­stel­lungs­stopps[6]Mas­si­ver Stel­len­ab­bau bei Fin­tech-Start­ups. Dabei hät­te doch die Digi­ta­li­sie­rung, die durch COVID19 einen Schub erhielt, den Fin­tech-Start­ups eigent­lich in die Hän­de spie­len müs­sen. Gleich der ers­te Stress­test führt zu Sym­pto­men, die dar­auf hin­deu­ten, dass hier der Zenit erreicht oder bereits über­schrit­ten ist. Die betriebs­wirt­schaft­li­che Logik lässt sich auf Dau­er nicht außer Kraft setzen.

Über­an­ge­bot 

In den meis­ten Fin­tech-Seg­men­ten herrscht bereits seit Jah­ren ein Über­an­ge­bot. Im Pay­ments-Umfeld sind neben Pay­Pal, Ali­pay, WeChat, Apple Pay und Goog­le Pay dabei, den Markt unter sich auf­zu­tei­len. Für Fin­tech-Start­ups ist da nur noch wenig Raum. Selbst ein rela­tiv gro­ßer Hei­mat­markt wie Deutsch­land reicht für die meis­ten Fin­tech-Start­ups nicht aus, um die nöti­gen Ska­len­ef­fek­te zu erzie­len. Die Inter­na­tio­na­li­sie­rung stößt schnell an ihre Gren­zen. Häu­fig haben bereits ande­re Chal­len­ger Ban­ken den Markt besetzt, wie in Groß­bri­tan­ni­en, von wo sich N26 zurück­zie­hen muss­te (in den USA muss­te N26 zum ers­ten Mal Mit­ar­bei­ter entlassen).

Einer der ers­ten Fäl­le, in dem ein bis dahin gehyp­tes Fin­tech-Start­up deut­lich Federn las­sen muss­te, war Len­ding­Club[7]Ste­hen die Ereig­nis­se um Len­ding­Club für eine Zei­ten­wen­de im Bereich Fin­tech?. In Deutsch­land gehö­ren Fin­tech-Start­ups wie Kre­di­te­ch[8]Wie Kre­di­te­ch fast 200 Mil­lio­nen Euro ver­brannt hat oder die Fidor Bank zu den­je­ni­gen, deren Glanz in den letz­ten Jah­ren stark ver­blasst ist[9]Vom Vor­zei­ge-Start-up zum Pro­blem­fall: War­um die Fidor-Bank so tief gefal­len ist.

Und jetzt ist mit Wire­card ein Fin­tech, das inter­na­tio­nal ver­tre­ten war, wenn­gleich längst nicht in dem Umfang wie gedacht, kläg­lich geschei­tert. Anschei­nend rei­chen weder der Hei­mat­markt noch der glo­ba­le Markt für deut­sche Fin­tech-Start­ups aus, um auf Dau­er erfolg­reich zu sein. Abzu­war­ten bleibt, ob aus­län­di­sche Fin­tech-Start­ups wie Tin­koff oder die Open Bank von San­tan­der[10]San­tan­der star­tet mit Digi­tal-Bank Open­bank in Deutsch­land in Deutsch­land Erfolg haben wer­den. Jeden­falls wird der Markt dadurch noch klei­ner – das Über­an­ge­bot nimmt zu.

Inves­ti­ti­ons­be­reit­schaft lässt nach

Der Fall Wire­card wird mit hoher Wahr­schein­lich­keit zu einer Zurück­hal­tung der Inves­to­ren bei deut­schen Fin­tech-Start­ups füh­ren. Über­dies müs­sen sich vie­le Fin­tech-Start­ups even­tu­ell nach einem neu­en Part­ner umse­hen, der im Hin­ter­grund die Bank­li­zenz zur Ver­fü­gung stellt. Frag­lich ist, ob die sola­ris­Bank, die noch immer nicht in der Gewinn­zo­ne ist[11]Fin­tech Sola­ris­bank wächst kräf­tig und strebt Kapi­tal­erhö­hung an, die Lücke schlie­ßen kann.

Bereits im ver­gan­ge­nen Jahr habe sich, so Tho­mas Anken­brand von der Hoch­schu­le Luzern, eine Kon­so­li­die­rung beim VC abge­zeich­net. Das bekom­men nicht nur die Fin­tech-Start­ups im B2C‑, son­dern mitt­ler­wei­le auch die­je­ni­gen zu spü­ren, die im B2B-Geschäft tätig sind[12]Was die Coro­na­kri­se mit der Fin­tech-Bran­che macht. Da die Kun­den durch die Coro­na-Kri­se immer mehr Trans­ak­tio­nen digi­tal abwi­ckeln, sei es durch­aus mög­lich, dass die Fin­tech-Start­ups hier­von profitieren.

Beson­ders hart hat die Coro­na-Kri­se die asia­ti­schen Fin­tech-Start­ups getrof­fen. Dort sind im 1. Quar­tal die­ses Jah­res die VC-Finan­zie­run­gen um 58,5 Pro­zent zurück­ge­gan­gen[13]Covid-19 Hits Fin­tech Fun­ding

Fin­tech-Start­ups haben es nicht geschafft, die Ban­ken in deren Stamm­ge­schäft ernst­haft zu gefährden

Es gibt kaum noch Fin­tech-Start­ups, die mit dem Anspruch auf­tre­ten, die klas­si­schen Ban­ken erset­zen zu wol­len. In der Mehr­heit setzt man auf Koope­ra­ti­on. Ohne die Ban­ken bekom­men die Fin­tech-Start­ups kei­nen Fuß in den Mas­sen­markt. Die Ban­ken sind ande­rer­seits dabei, den tech­no­lo­gi­schen Rück­stand auf die Fin­tech-Start­ups auf­zu­ho­len[14]Digi­tal banks vs high-street play­ers: A batt­le for speed.

Fazit

Die Fin­tech-Start­ups waren, was die Inves­ti­ti­ons­sum­men betrifft, Pro­fi­teu­re der Hoch­kon­junk­tur der letz­ten Jah­re. Eben­so ist ihnen die Regu­lie­rung, wie bei PSD2,  weit ent­ge­gen­ge­kom­men. Die Medi­en begeg­ne­ten ihnen wohl­wol­lend. Trotz­dem ist es ihnen mehr­heit­lich nicht gelun­gen, die Gewinn­zo­ne zu errei­chen oder eine markt­be­herr­schen­de Stel­lung zu erobern. Die Fun­da­men­tal­da­ten (Markt­an­tei­le, Pro­fi­ta­bi­li­tät, Gesamt­wirt­schaft­li­che Bedeu­tung) wei­chen damit stark von der der­zei­ti­gen Markt­be­wer­tung ab. Es ist nicht zu erken­nen, wel­che dau­er­haf­ten Wett­be­werbs­vor­tei­le oder über­le­ge­ne Geschäfts- und Orga­ni­sa­ti­ons­mo­del­le die Fin­tech-Start­ups her­vor­ge­bracht haben sol­len. Bei Inno­va­tio­nen sind Fin­tech-Start­ups nur Rand­ak­teu­re[15]Fin­tech-Paten­te: Tech­no­lo­gie­kon­zer­ne, Kre­dit­kar­ten­or­ga­ni­sa­tio­nen und Ban­ken geben den Ton an – Start­ups kaum ver­tre­ten.

Die­ser Zustand kann und wird nicht mehr lan­ge anhalten.