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Der deut­sche Fin­tech-Boom ist vor­bei – zumin­dest in sei­ner unge­zü­gel­ten Form. Was einst als digi­ta­le Revo­lu­ti­on des Ban­ken­we­sens gefei­ert wur­de, erlebt heu­te eine bru­ta­le Ernüch­te­rung. Von Sola­ris über N26 bis hin zu Payo­ne und fla­tex­DE­GI­RO: Die BaFin zeigt mit einer bei­spiel­lo­sen Serie von Mil­lio­nen-Buß­gel­dern, Wachs­tums­stopps und Son­der­be­auf­trag­ten, dass auch die inno­va­tivs­ten Geschäfts­mo­del­le den regu­la­to­ri­schen Rea­li­tä­ten unter­wor­fen sind. Eine Bran­che, die sich unver­wund­bar wähn­te, lernt schmerz­haft: Com­pli­ance ist nicht optional.


Es begann mit einem Knall, der das deut­sche Finanz­sys­tem in sei­nen Grund­fes­ten erschüt­ter­te: dem Wire­card-Kol­laps im Juni 2020. Ein DAX-Kon­zern, der sich als 1,9 Mil­li­ar­den Euro schwe­res Luft­schloss ent­pupp­te, wäh­rend die BaFin taten­los zusah – oder schlim­mer noch, kri­ti­sche Stim­men ver­folg­te statt das Unter­neh­men zu prü­fen. Was folg­te, war mehr als nur ein Skan­dal: Es war der Beginn einer bei­spiel­lo­sen Trans­for­ma­ti­on der deut­schen Finanzaufsicht.

Heu­te, vier Jah­re spä­ter, erlebt die Fin­tech-Bran­che die Kon­se­quen­zen die­ses Wen­de­punkts am eige­nen Leib. Ein Buß­geld hier, eine Ermah­nung dort – was harm­los begann, ent­wi­ckel­te sich zu einer sys­te­ma­ti­schen Auf­ar­bei­tung jah­re­lang tole­rier­ter Schwä­chen. Die Bilanz liest sich wie ein Sün­den­re­gis­ter der digi­ta­len Finanz­re­vo­lu­ti­on: Sola­ris zahlt 6,5 Mil­lio­nen Euro wegen man­geln­der Geld­wä­sche­prä­ven­ti­on, N26 wird mit 9,2 Mil­lio­nen Euro zur Kas­se gebe­ten, Payo­ne darf zeit­wei­se gar kei­ne Trans­ak­tio­nen mehr abwi­ckeln. Was hier geschieht, ist nichts Gerin­ge­res als das Ende einer Ära.

Das Sys­tem der ver­nach­läs­sig­ten Pflichten

Die Ana­to­mie des Pro­blems wird beson­ders deut­lich, wenn man die Fäl­le im Detail betrach­tet. Da ist zunächst Sola­ris, einst gefei­er­tes Ban­king-as-a-Ser­vice-Unter­neh­men, das ande­ren Fir­men die tech­ni­sche Infra­struk­tur für Finanz­dienst­leis­tun­gen bereit­stellt. Bereits 2020 stell­te die BaFin Män­gel fest und setz­te einen Son­der­be­auf­trag­ten ein. Doch statt nach­hal­ti­ger Bes­se­rung folg­te ein Déjà-vu in Zeit­lu­pe: 2024 ver­häng­te die Auf­sicht eine Geld­bu­ße von 6,5 Mil­lio­nen Euro wegen sys­te­ma­ti­scher Defi­zi­te bei Ver­dachts­mel­dun­gen zur Geld­wä­sche. Als ob das nicht genug wäre, kas­sier­te Sola­ris 2025 wei­te­re 500.000 Euro – dies­mal wegen wie­der­hol­ter Ver­stö­ße gegen Großkreditgrenzen.

Noch dra­ma­ti­scher ver­lief die Lei­dens­ge­schich­te von N26, Euro­pas pro­mi­nen­tes­ter Neo­bank. Was 2021 mit Mah­nun­gen wegen man­gel­haf­ter Geld­wä­sche­prä­ven­ti­on begann, eska­lier­te zu einer der schärfs­ten auf­sichts­recht­li­chen Maß­nah­men der jün­ge­ren Geschich­te: einer Wachs­tums­be­schrän­kung. Für ein Unter­neh­men, des­sen Geschäfts­mo­dell auf expo­nen­ti­el­les Wachs­tum pro­gram­miert ist, gleich­be­deu­tend mit einer Fuß­fes­sel. Drei Jah­re lang durf­te N26 nur eine begrenz­te Zahl von Neu­kun­den pro Monat auf­neh­men. Die 2024 ver­häng­te Stra­fe von 9,2 Mil­lio­nen Euro wegen ver­spä­te­ter Ver­dachts­mel­dun­gen war da nur noch das i‑Tüpfelchen einer bei­spiel­lo­sen regu­la­to­ri­schen Demü­ti­gung. Obwohl die Wachs­tums­be­schrän­kung inzwi­schen auf­ge­ho­ben wur­de, über­wacht ein Son­der­be­auf­trag­ter wei­ter­hin das Geschäft.

Wenn Pay­ment-Rie­sen straucheln

Doch die Pro­ble­me beschrän­ken sich nicht auf die schil­lern­den Neo­bank-Stars. Payo­ne, einer der füh­ren­den deut­schen Pay­ment-Dienst­leis­ter, erleb­te 2023 sei­nen regu­la­to­ri­schen Alb­traum, als die BaFin dem Unter­neh­men wegen “hoher Geld­wä­sche­ri­si­ken und gra­vie­ren­der Defi­zi­te” schlicht­weg unter­sag­te, Trans­ak­tio­nen abzu­wi­ckeln. Für einen Pay­ment-Anbie­ter ist das etwa so, als wür­de man einem Restau­rant ver­bie­ten, Essen zu ser­vie­ren. 2025 folg­ten erhöh­te Eigen­mit­tel­an­for­de­run­gen und die Bestel­lung eines Son­der­be­auf­trag­ten – Maß­nah­men, die tief in die ope­ra­ti­ve Geschäfts­tä­tig­keit eingreifen.

Selbst eta­blier­te Play­er wie fla­tex­DE­GI­RO blie­ben nicht ver­schont. Der Online-Bro­ker kas­sier­te nicht nur ein Buß­geld von 1,05 Mil­lio­nen Euro, son­dern muss­te sich 2023 eben­falls einen Son­der­be­auf­trag­ten ins Haus holen, der erst im Sep­tem­ber 2024 wie­der abbe­ru­fen wur­de – ein andert­halb­jäh­ri­ger Kon­troll­be­such der beson­de­ren Art.

Beson­ders bezeich­nend ist auch der Fall Rate­pay, eines Anbie­ters für “Buy Now, Pay Later”-Lösungen. Das ver­häng­te Buß­geld von 25.000 Euro mag im Ver­gleich zu den Mil­lio­nen-Stra­fen gegen Sola­ris oder N26 wie Klein­geld erschei­nen. Doch es zeigt: Die BaFin ahn­det kon­se­quent jeden Ver­stoß, egal wie groß oder klein das Unter­neh­men ist. Bei Rate­pay monier­te die Auf­sicht das Feh­len eines ange­mes­se­nen Daten­ver­ar­bei­tungs­sys­tems zur Geld­wä­sche­prä­ven­ti­on – ein Grund­bau­stein ord­nungs­ge­mä­ßer Compliance.

Von Wire­card zu Greens­ill: Die Schock­wel­len des Versagens

Hin­ter die­ser regu­la­to­ri­schen Offen­si­ve steht mehr als nur büro­kra­ti­scher Per­fek­tio­nis­mus. Sie ist die direk­te Ant­wort auf eine Serie von Skan­da­len, die das Ver­trau­en in die deut­sche Finanz­auf­sicht nach­hal­tig erschüt­ter­ten. Allen vor­an der Wire­card-Kol­laps 2020 – ein 1,9 Mil­li­ar­den Euro schwe­res Luft­schloss, das unter den Augen der BaFin jah­re­lang flo­rie­ren konn­te. Das Dax-Unter­neh­men, einst Stolz der deut­schen Fin­tech-Sze­ne, ent­pupp­te sich als gigan­ti­scher Betrug. Die BaFin, die eigent­lich hät­te war­nen müs­sen, ver­folg­te statt­des­sen kri­ti­sche Jour­na­lis­ten und Leerverkäufer.

Der Wire­card-Schock war der Wen­de­punkt. Plötz­lich wur­de offen­sicht­lich, dass eine zu nach­sich­ti­ge Auf­sicht nicht nur ein­zel­ne Unter­neh­men, son­dern das gesam­te Sys­tem gefähr­den kann. Als dann auch noch der Greens­ill-Skan­dal folg­te und die Rai­sin Bank bzw. Welt­Spa­ren als Zins­platt­form Mil­lio­nen von Klein­an­le­gern an die kol­la­bier­te Greens­ill Bank ver­mit­telt hat­te, war das Ver­trau­en end­gül­tig zer­rüt­tet. Die Kri­tik war ver­nich­tend: Durch staat­li­che Ein­la­gen­si­che­rung geschütz­te ris­kan­te Geschäf­te wur­den für Pri­vat­an­le­ger attrak­tiv gemacht, ohne die wah­ren Gefah­ren trans­pa­rent zu kommunizieren.

Als die BaFin 2023 auch bei Raisin/​WeltSparen for­mell Män­gel in der Geld­wä­sche­prä­ven­ti­on fest­stell­te – Defi­zi­te in der Risi­ko­ana­ly­se, bei der Kun­den­be­wer­tung und im EDV-Moni­to­ring –, war das mehr als nur ein wei­te­rer regu­la­to­ri­scher Schlag. Es war die spä­te Erkennt­nis einer Auf­sichts­be­hör­de, die nach Wire­card erkannt hat­te, dass jah­re­lang Inno­va­ti­on über Com­pli­ance und Wachs­tum über Risi­ko­ma­nage­ment gestellt wor­den war. Die BaFin muss­te ler­nen, dass ihr Ruf als kom­pe­ten­te Auf­sichts­be­hör­de nur durch kom­pro­miss­lo­se Durch­set­zung der Regeln wie­der­her­ge­stellt wer­den konn­te. Mitt­ler­wei­le hat Rai­sin erneut Ärger mit der BaFin – wie­der in Sachen Geldwäsche.

Die Metho­dik der Entschleunigung

Was alle die­se Fäl­le eint, ist ein erkenn­ba­res Mus­ter der BaFin-Stra­te­gie. Die Auf­sicht setzt nicht nur auf Geld­stra­fen, son­dern auf ein gan­zes Arse­nal von Instru­men­ten, die tief in die Geschäfts­tä­tig­keit ein­grei­fen. Son­der­be­auf­trag­te über­wa­chen mona­te­lang oder jah­re­lang die Umset­zung von Auf­la­gen. Wachs­tums­be­schrän­kun­gen brem­sen expan­si­ons­hung­ri­ge Geschäfts­mo­del­le aus. Trans­ak­ti­ons­ver­bo­te tref­fen Unter­neh­men an ihrer emp­find­lichs­ten Stel­le – dem ope­ra­ti­ven Geschäft. Erhöh­te Eigen­mit­tel­an­for­de­run­gen bin­den Kapi­tal, das ander­wei­tig für Inves­ti­tio­nen genutzt wer­den könnte.

Die­se Maß­nah­men sind mehr als nur regu­la­to­ri­sche Ohr­fei­gen – sie sind eine sys­te­ma­ti­sche Ent­schleu­ni­gung einer Bran­che, die lan­ge Zeit haupt­säch­lich auf Tem­po und Dis­rup­ti­on gesetzt hat­te. Die BaFin zwingt die Unter­neh­men dazu, inne­zu­hal­ten und ihre inter­nen Sys­te­me grund­le­gend zu überarbeiten.

Para­dig­men­wech­sel mit Ansage

Der Wan­del in der Auf­sichts­pra­xis ist kein Zufall, son­dern folgt einer bewuss­ten stra­te­gi­schen Neu­aus­rich­tung. Die Zei­ten, in denen deut­sche Fin­tech-Unter­neh­men von einem infor­mel­len “Wel­pen­schutz” pro­fi­tier­ten, sind end­gül­tig vor­bei. Heu­te gel­ten die­sel­ben stren­gen Maß­stä­be für alle Markt­teil­neh­mer – egal ob tra­di­tio­nel­le Groß­bank oder hip­pe App-basier­te Neobank.

Die­se neue Här­te mag kurz­fris­tig schmerz­haft sein für eine Bran­che, die sich dar­an gewöhnt hat­te, pri­mär an ihren Inno­va­tio­nen und weni­ger an ihrer Com­pli­ance gemes­sen zu wer­den. Doch lang­fris­tig könn­te genau die­se Stren­ge das sein, was der deut­schen Fin­tech-Land­schaft gefehlt hat: Glaub­wür­dig­keit und Vertrauen.

Das Ende der Unschuld

Was wir heu­te erle­ben, ist das Ende der Unschuld des deut­schen Fin­tech-Sek­tors – und sei­ner Auf­sicht. Der Wire­card-Skan­dal war dabei der Kata­ly­sa­tor, der eine längst über­fäl­li­ge Kurs­kor­rek­tur ein­lei­te­te. Die roman­ti­sche Vor­stel­lung von der digi­ta­len Dis­rup­ti­on des ver­staub­ten Ban­ken­we­sens weicht der har­ten Rea­li­tät regu­la­to­ri­scher Anfor­de­run­gen. Unter­neh­men, die jah­re­lang haupt­säch­lich über ihre Bewer­tun­gen und ihr Wachs­tum defi­niert wur­den, müs­sen nun bewei­sen, dass sie auch die weni­ger gla­mou­rö­sen Aspek­te des Bank­ge­schäfts beherr­schen: Risi­ko­ma­nage­ment, Com­pli­ance und Geldwäscheprävention.

Die Bot­schaft der BaFin ist unmiss­ver­ständ­lich: Inno­va­ti­on ist will­kom­men, aber nicht um jeden Preis. Wer im deut­schen Finanz­markt mit­spie­len will, muss sich an die Regeln hal­ten – alle Regeln, nicht nur die ange­neh­men. Nach Wire­card kann sich die BaFin kei­ne wei­te­re Bla­ma­ge leis­ten. Die Zeit der Nach­sicht ist unwi­der­ruf­lich vor­bei, die gro­ße Abrech­nung hat begonnen.


Quel­len:

 

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