Durch den “His­to­ri­ker­streit” bei der Auf­ar­bei­tung der NS-Ver­gan­gen­heit der Frank­fur­ter Spar­kas­se ist erneut die Fra­ge der Hand­lungs­frei­heit der Spar­kas­sen und ihrer Ver­tre­ter in den Blick­punkt gerückt. Wäh­rend die Frank­fur­ter Spar­kas­se und das Insti­tut für Bank- und Finanz­ge­schich­te (IBF) der Ansicht sind, dass die Spar­kas­sen über kei­ne nen­nens­wer­te Hand­lungs­frei­heit ver­fügt hät­ten, sind der His­to­ri­ker Ralf Roth und ande­re der gegen­tei­li­gen Auf­fas­sung[1]Streit um die Bewer­tung der NS-Geschich­te der Frank­fur­ter Spar­kas­se. Roth, der ursprüng­lich mit der Auf­ar­bei­tung der NS-Ver­gan­gen­heit der Frank­fur­ter Spar­kas­se beauf­tragt war, wird mit den Wor­ten zitiert: “Wer im Rah­men eines ver­bre­che­ri­schen Sys­tems mit­ent­schei­det, macht sich zum Mit­tä­ter”.  Dem­ge­gen­über haben die Kri­ti­ker von Roth Zwei­fel, ob es den han­deln­den Per­so­nen damals über­haupt bewusst sein konn­te, einem Unrechts­staat behilf­lich zu sein; zwar sei dies unwahr­schein­lich, gehö­re aber den­noch the­ma­ti­siert, so der spä­ter als wei­te­rer Gut­ach­ter hin­zu­ge­zo­ge­ne Pro­fes­sor für Wirt­schafts- und Unter­neh­mens­ge­schich­te Die­ter Zieg­ler von der Uni Bochum[2]In der Bro­schü­re “Zur Aus­ein­an­der­set­zung über die juden­feind­li­chen Akti­vi­tä­ten (Raub und Ent­eig­nung) der Frank­fur­ter Spar­kas­sen in der NS-Zeit” heißt es dazu: “Inter­es­sant sind hier auch … Con­ti­nue rea­ding

Mitt­ler­wei­le wur­de das Fritz Bau­er – Insti­tut mit der Auf­ar­bei­tung beauftragt.

In einer aktu­el­len Bespre­chung des Buches Der Deut­sche Spar­kas­sen- und Giro­ver­band zur Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus stellt der Rezen­sent Sebas­ti­an Kna­ke fest: “Gera­de dort, wo die Autorin Hand­lungs­spiel­räu­me für den Ver­band aus­lo­tet, waren die tat­säch­li­chen Kon­se­quen­zen sei­nes Han­delns äußerst über­schau­bar. So kann Sal­den zwar aus den rekon­stru­ier­ten Hand­lungs­spiel­räu­men und deren Nut­zung eine akti­ve und frei­wil­li­ge Betei­li­gung des DSGV an den Ver­bre­chen des Natio­nal­so­zia­lis­mus ablei­ten. Gleich­zei­tig stellt sie jedoch fest, dass die­se Betei­li­gung kaum nen­nens­wer­te Rele­vanz besaß. Der Ver­band war zwar bereit, sich aus oppor­tu­nis­ti­schen Grün­den an der Durch­füh­rung der genann­ten Ver­bre­chen zu betei­li­gen, er wur­de zu deren Durch­füh­rung jedoch kaum benö­tigt[3]Jani­na Sal­den, Der Deut­sche Spar­kas­sen- und Giro­ver­band zur Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus.

Einer­seits hat­ten die Spar­kas­sen sehr wohl ein gewis­ses Maß an Hand­lungs­frei­heit, waren ins­ge­samt jedoch zu unbe­deu­tend, als dass ihr Han­deln einen Unter­schied beim Ergeb­nis aus­ge­macht hätte?

In sei­ner Dis­ser­ta­ti­on Spa­ren wäh­rend der Zeit des Natio­nal­so­zia­lis­mus. Ein Kapi­tel aus der „geräusch­lo­sen Kriegs­fi­nan­zie­rung“ unter beson­de­rer Berück­sich­ti­gung der Spar­kas­sen hält Cars­ten Bro­desser fest: “Der geschäfts­po­li­ti­sche Hand­lungs­spiel­raum der Spar­kas­sen wur­de zwar durch die staat­li­che Kapi­tal­len­kung dras­tisch ein­ge­schränkt, doch ver­hin­der­ten die staat­lich regle­men­tier­ten Ertrags­fel­der sowie die lan­ge Zeit posi­ti­ve öffent­li­che Mei­nung, dass aus Spar­kas­sen­funk­tio­nä­ren Wider­stands­kämp­fer wur­den. … Die his­to­ri­sche Nähe zum poli­ti­schen Ent­schei­dungs­trä­ger und die mit dem mehr­stu­fi­gen Auf­bau des Spar­kas­sen­sek­tors ver­bun­de­ne Regel­treue der Spar­kas­sen­in­sti­tu­te garan­tier­ten eine stö­rungs­freie Funk­ti­ons­fä­hig­keit. Die gesetz­li­che und öko­no­mi­sche Ein­schrän­kung der Hand­lungs­spiel­räu­me der Spar­kas­sen schu­fen die Vor­aus­set­zung für eine Kana­li­sie­rung der Spar­gelder in die Ver­fü­gungs­sphä­re des Staa­tes. In kei­nen der aus­ge­wer­te­ten Geschäfts­un­ter­la­gen (Sit­zungs­pro­to­kol­le, Geschäfts­an­wei­sun­gen und Rund­schrei­ben) las­sen sich Anzei­chen von Wider­stand oder Oppo­si­ti­on gegen­über der Regie­rung oder über­ge­ord­ne­ten Stel­len erken­nen. Inso­fern trifft die Auf­fas­sung Pohls bezüg­lich der sog. „Selbst­ver­wal­tung der Spar­kas­sen­spit­zen­ver­bän­de“ auch grund­sätz­lich für die wei­te­ren Glie­de­run­gen des Spar­kas­sen­sek­tors zu. … Wenn auch nicht alle Ent­schei­dun­gen im Rah­men der Betriebs­dis­po­si­ti­on vom Vor­stand ent­schie­den wer­den muss­ten, so konn­te der Ein­fluss des Vor­stan­des durch die Mög­lich­keit von Even­tu­al­ein­grif­fen in die lau­fen­den Geschäf­te domi­nie­rend sein. Hin­zu kam, dass die neu­en poli­ti­schen Macht­ha­ber eine Posi­ti­ons­stär­kung des Spar­kas­sen­sek­tors im kre­dit­wirt­schaft­li­chen Wett­be­werb in Aus­sicht stell­ten und für die Spar­kas­sen meis­tens „freund­li­che“ Wor­te fan­den. So waren nach Ansicht des füh­ren­den NS-Rechts­theo­re­ti­kers und zeit­wei­li­gen Regie­rungs­prä­si­den­ten von Mag­de­burg, Hel­mut Nico­lai, die Spar­kas­sen „rech­te Kin­der des Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Wirt­schafts­den­kens“ und stan­den „mus­ter­gül­tig für die gesam­te Ban­ken­po­li­tik im drit­ten Rei­che“. Da die Spar­kas­sen seit je her den „klei­nen Mann“ und den Mit­tel­stand im geschäfts­po­li­ti­schen Fokus sowie den gemein­nüt­zi­gen Cha­rak­ter in ihren Sta­tu­ten ver­an­kert hat­ten, kamen sie der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Paro­le „Gemein­nutz geht vor Eigen­nutz“ sehr ent­ge­gen. Tat­säch­lich lässt sich eine Rei­he von wei­te­ren Über­schnei­dun­gen zwi­schen dem Selbst­ver­ständ­nis des Spar­kas­sen­sek­tors und den Über­zeu­gun­gen der Natio­nal­so­zia­lis­ten aus­ma­chen, doch spä­tes­tens bei der ras­sen­po­li­ti­schen Dimen­si­on der natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Wirt­schafts- und Sozi­al­ideo­lo­gie fehlt die­se Über­ein­stim­mung. … Die über­wie­gen­de Mehr­heit der Ent­schei­dungs­trä­ger im Spar­kas­sen­sek­tor dürf­te sich ras­sen­ideo­lo­gi­schen Dis­kus­sio­nen ent­zo­gen haben und woll­te – wie auch Hjal­mar Schacht – auf die wirt­schaft­li­chen Res­sour­cen der jüdi­schen Bevöl­ke­rung nicht ver­zich­ten. Die Spar­kas­sen pass­ten viel­mehr auf­grund ihrer his­to­ri­schen Geschäfts­ent­wick­lung (hier: pas­siv getrie­be­nes Bilanz­wachs­tum durch ste­tig stei­gen­de Spar­ein­la­gen­zu­flüs­se) und ihrer regio­na­len Auf­bau­or­ga­ni­sa­ti­ons­struk­tur in die wirt­schafts­po­li­ti­schen Zie­le des Regimes”.

Die Spar­kas­sen pass­ten sich dem NS-Sys­tem wider­stands­los an und tru­gen zum rei­bungs­lo­sen Ablauf des Wirt­schafts­le­bens bei: “Die Selbst­ver­wal­tung war haupt­säch­lich dar­auf aus­ge­rich­tet, staat­li­che Maß­nah­men zu bera­ten, vor­zu­be­rei­ten und durch­zu­füh­ren. Die Funk­ti­ons­trä­ger des Spar­kas­sen­sek­tors erkann­ten die gesetz­ten Rah­men­be­din­gun­gen an und übten – auch aus Man­gel an geschäfts­po­li­ti­schen Alter­na­ti­ven – die gewünsch­te Funk­ti­on der Kapi­tal­um­schlag­stel­le aus. Nur in den wenigs­ten Fäl­len sind kri­ti­sche Anmer­kun­gen den Unter­la­gen zu ent­neh­men. In der über­wie­gen­den Anzahl der Fäl­le funk­tio­nier­te die Maschi­ne­rie des Spar­kas­sen­sek­tors rei­bungs­los”. Also in etwa das, was der His­to­ri­ker Dani­el Gold­ha­gen ein­mal als “wil­li­ge Voll­stre­cker” bezeich­ne­te – nicht mehr und nicht weniger.

Übri­gens: Auch in Ban­ken- und Finanz­krei­sen gab es so etwas wie resis­ten­tes Ver­hal­ten, wie bei der Baye­ri­schen Ver­eins­bank. So kam der Mün­che­ner His­to­ri­ker Horst Möl­ler, der die Geschich­te der Ver­eins­bank unter­such­te, zu dem auch für ihn über­ra­schen­den Ergeb­nis, dass die Ver­eins­bank zwar kein Hort des Wider­stands gewe­sen sei, jedoch habe sie die ihr zur Ver­fü­gung ste­hen­den Mit­tel pas­si­ven Wider­stands bis zur Gren­ze genutzt[4]Die Baye­ri­sche Ver­eins­bank zwi­schen Resis­tenz und Gleich­schal­tung 1933–1945. Möl­ler stellt fest: “Wäh­rend der Begriff „Gleich­schal­tung“ für die Ban­ken inso­fern eine begrenz­te­re Bedeu­tung hat­te, als sie kei­ne Ver­fas­sungs­or­ga­ne, staat­li­che Ver­wal­tun­gen, poli­ti­sche Par­tei­en oder gesell­schaft­li­che Orga­ni­sa­tio­nen waren, trifft die Fra­ge nach der mög­li­chen „Resis­tenz“ den Kern: Ban­ken waren kein „Hort des Wider­stands“ oder der Oppo­si­ti­on, ihre Vor­stän­de bzw. Auf­sichts­rä­te konn­ten – auch ange­sichts der ihnen gegen­über kri­tisch ein­ge­stell­ten Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Betriebs­zel­len – aller­dings den Ver­such machen, sich der Ein­fluss­nah­me von NSFunk­tio­nä­ren und ihrer Ideo­lo­gie zu ent­zie­hen”.

Von einer resis­ten­ten Hal­tung bei den Spar­kas­sen wis­sen die Quel­len bis­lang nicht zu berichten.

In dem Buch Das Bank­haus M.M. War­burg & Co. 1798–1938 schil­dern E. Rosen­baum und A.J. Sher­man eine Bege­ben­heit, die zeigt, dass sich unter den Ban­ken noch ande­re Bei­spie­le (offe­nen) Wider­stands gegen das NS-Régime fin­den las­sen, wie sich den fol­gen­den Zei­len ent­neh­men lässt:

Als man Max M. War­burg sei­nen Auf­sichts­rats­sitz in dem von ihm mit­ge­grün­de­ten Ham­bur­ger Wirt­schafts­dienst nahm, wur­de ihm die Mit­tei­lung durch einen ganz jun­gen Ange­stell­ten gemacht, der ihm nicht ein­mal bekannt war; in ver­schie­de­nen ande­ren Fäl­len war ein kurz­ge­hal­te­ner Brief die ein­zi­ge Beloh­nung für vie­le Jah­re frucht­ba­rer Zusam­men­ar­beit. Nur in einem ein­zi­gen Fall, näm­lich bei dem Kie­ler Insti­tut für See­ver­kehr und Welt­wirt­schaft, kam es zu einem Soli­da­ri­täts­be­kennt­nis durch zwei ande­re Vor­stands­mit­glie­der, die ihrer Empö­rung über die neu­en Maß­nah­men Aus­druck ver­lie­hen, indem sie gemein­sam mit War­burg zurücktraten.

Refe­ren­ces

Refe­ren­ces
1 Streit um die Bewer­tung der NS-Geschich­te der Frank­fur­ter Sparkasse
2 In der Bro­schü­re “Zur Aus­ein­an­der­set­zung über die juden­feind­li­chen Akti­vi­tä­ten (Raub und Ent­eig­nung) der Frank­fur­ter Spar­kas­sen in der NS-Zeit” heißt es dazu: “Inter­es­sant sind hier auch die von geschichts­re­vi­sio­nis­ti­schen His­to­ri­kern favo­ri­sier­ten Wech­sel von Per­so­nen zu Insti­tu­tio­nen. Es wird die Fra­ge auf­ge­wor­fen: Wel­chen Hand­lungs­spiel­raum hat­te denn die Spar­kas­sen­lei­tung? Und es folgt die sich her­me­neu­tisch geben­de Fra­ge, dass doch geprüft wer­den muss, ob das .. Unrecht über­haupt als Unrecht erkannt wor­den sei- was – unglaub­lich aber wahr – als unwahr­schein­lich ein­ge­schätzt wird”
3 Jani­na Sal­den, Der Deut­sche Spar­kas­sen- und Giro­ver­band zur Zeit des Nationalsozialismus
4 Die Baye­ri­sche Ver­eins­bank zwi­schen Resis­tenz und Gleich­schal­tung 1933–1945