Von Ralf Keuper

Die Fra­ge, ob die kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schen Fin­tech-Stand­or­te wie Frank­furt, Luxem­burg, Ber­lin oder Ams­ter­dam von einem Brexit pro­fi­tie­ren, wird unter Bran­chen­be­ob­ach­tern und ‑insi­dern schon seit Mona­ten heiß dis­ku­tiert. Nun, nach­dem die Ent­schei­dung gefal­len ist, sehen vie­le schon Frank­furt oder Ber­lin als Pro­fi­teu­re des Brexit. Gro­ßer Ver­lie­rer ist nach gän­gi­ger Mei­nung London.

Was hat es damit auf sich?

Dass der Brexit nicht zwangs­läu­fig zu einem Bedeu­tungs­ver­lust der Lon­do­ner bzw. der bri­ti­schen Fin­tech-Sze­ne füh­ren muss, hob das Adam Smith Insti­tu­te vor eini­gen Wochen in There’s as Reason Fin­tech Com­pa­nies like the Euro­pean Uni­on her­vor. Soll­te es zu einem Brexit kom­men, so der Autor Tim Worstall, könn­ten die bri­ti­schen Fin­tech-Start­ups den Zugang zum kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schen Markt durch eine Nie­der­las­sung in Dub­lin auf­recht erhal­ten. Die Rege­lung, auf die der Bei­trag anspielt, ist das sog. EU-Pass­port­ing. Danach kön­nen Ban­ken, die in ihrem EU-Her­kunfts­land eine Zulas­sung der dor­ti­gen Bank­auf­sicht haben, Nie­der­las­sun­gen in einem ande­ren EU-Mit­glied­staat grün­den oder dort grenz­über­schrei­tend ihre Dienst­leis­tun­gen anbie­ten, ohne ein geson­der­tes Zulas­sungs­ver­fah­ren im Auf­nah­me­land durch­lau­fen zu müs­sen. Das könn­te also ein mög­li­ches Schlupf­loch sein.

Wie steht der Finanz­platz Lon­don der­zeit da?

Erst vor weni­gen Wochen wur­de bekannt, dass Lon­don New York als größ­tes Finanz­zen­trum der Welt über­holt hat. Frank­furt, das sich ger­ne als wich­tigs­ter oder größ­ter Finanz­platz Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pas bezeich­net, belegt der­zeit den 19. Platz welt­weit – nach Zürich (Platz 7) und Genf (18). Frank­furt hat als Fin­tech-Stand­ort unter Grün­dern nicht den bes­ten Ruf. Statt Auf­bruch­stim­mung herr­sche, so die FAZ vor eini­ger in Zeit in Zu teu­er, zu kon­ser­va­tiv: Frank­furt frus­triert Fin­tech-Start­ups Ernüch­te­rung. Einen Man­gel an Grün­der­geist und eine gerin­ge Unter­stüt­zung durch die Regie­rung bzw. die Stadt sagt man Lon­don nicht nach. Ob die jüngs­ten Initia­ti­ven der Frank­fur­ter Finanz­sze­ne und der hes­si­schen Lan­des­re­gie­rung hier etwas dau­er­haft ver­än­dern kön­nen, bleibt abzu­war­ten. Inter­es­sant in dem Zusam­men­hang ist das Working Paper Glo­ba­le Finanz­plät­ze im Ver­gleich. Frank­furt und Syd­ney zwi­schen Glo­bal City und loka­ler Varia­ti­on. Dar­aus geht u.a. her­vor, dass, einem Bericht der Lan­des­bank Hes­sen-Thü­rin­gen aus dem Jahr 2014 zu Fol­ge, die Beschäf­tig­ten­zahl in den Finanz- und Ver­si­che­rungs­dienst­leis­tun­gen in Frank­furt bis Ende 2016 von 64.900 auf 60.000 zurück­ge­hen wird. Mit Blick auf die jüngs­ten Mel­dun­gen der Deut­schen Bank über einen Per­so­nal­ab­bau sowie über ähn­li­che Per­so­nal-Redu­zie­run­gen bei der DZ Bank erscheint dies plausibel.

Neben Frank­furt, Luxem­burg und Ber­lin rech­net man sich auch in Zürich eini­ge Chan­cen aus, von mög­li­chen Abwan­de­run­gen bri­ti­scher Fin­tech-Start­ups pro­fi­tie­ren zu kön­nen, wie es in Fin­tech nach dem “Brexit” heisst. In Zürich hof­fen eini­ge, dass das erwähn­te EU-Pass­port­ing auf die Schweiz aus­ge­dehnt wer­den könn­te. Mit dem Ban­ken­platz Zürich, den renom­mier­ten Uni­ver­si­tä­ten und dem hohen Aus­bil­dungs­ni­veau fühlt man sich dort ande­ren Stand­or­ten, wie Paris oder Ber­lin, deut­lich über­le­gen. Was die Dyna­mik des Fin­tech-Stand­orts Schweiz betrifft, ist Marc Ber­neg­ger in sei­ner Bewer­tung in Man muss als Fin­tech nicht zwin­gend nach Lon­don oder Ber­lin zurückhaltender.

Vor­läu­fi­ges Fazit

Lon­don, dar­an ändert auch der Brexit kaum etwas, ist das wich­tigs­te Finanz­zen­trum welt­weit. Auch wenn New York erneut an Lon­don vor­bei zie­hen soll­te, ändert das wenig am Gesamt­be­fund. Inso­fern ist jedes Fin­tech-Start­up in Lon­don gut bera­ten, sich den Schritt einer Ver­la­ge­rung des Unter­neh­mens­sit­zes nach Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa reif­lich zu über­le­gen. Eine sol­che Kon­zen­tra­ti­on an Know How, an Kapi­tal und Kun­den ist in Euro­pa sonst nir­gends zu fin­den und es ist schwer vor­stell­bar, dass sich dar­an etwas in abseh­ba­rer Zeit ändert. Auch hier lohnt es, die his­to­ri­sche Per­spek­ti­ve ein­zu­neh­men, wie Yous­sef Cas­sis in Metro­po­len des Kapi­tals. Die Geschich­te der inter­na­tio­na­len Finanz­zen­tren. Laut Cas­sis legt die lang­fris­ti­ge his­to­ri­sche Ana­ly­se den Schluss nahe, dass der Auf­stieg eines Finanz­plat­zes eng mit der Wirt­schafts­kraft sei­nes Hei­mat­lan­des zusam­men hängt. Nun kann man mit gutem Grund ein­wen­den, dass Groß­bri­tan­ni­en mit dem Brexit sei­ne Wirt­schafts­kraft schwächt und damit sei­ne Stel­lung als Finanz­zen­trum und Fin­tech-Stand­ort gefähr­det. Ande­rer­seits aber dür­fen wir davon aus­ge­hen, dass die der­zei­ti­ge und künf­ti­ge bri­ti­sche Regie­rung sich der Bedeu­tung der Finanz­in­dus­trie für ihr Land bewusst ist und nach Wegen suchen wird, die Ban­ken und Unter­neh­men im Land zu hal­ten. In der Ver­gan­gen­heit hat es an Initia­ti­ven jeden­falls nicht gefehlt. Bei­spiel­haft dafür ist der Regie­rungs­be­richt Fin­Tech Futures. The UK als a World Lea­der in Finan­cial Tech­no­lo­gies. Ganz all­ge­mein ist die Fra­ge berech­tigt, ob Groß­bri­tan­ni­en mitt­ler­wei­le nicht zu hohe Erwar­tun­gen an die Finanz­in­dus­trie richtet.

Einen Exodus von Fin­tech-Start­ups und Ban­ken im gro­ßen Stil wird es m.E. nicht geben. Das schließt nicht aus, dass es zu Ver­la­ge­run­gen kom­men wird, wie sie in der Ver­gan­gen­heit bereits vor­ge­kom­men sind, wie von Frank­furt nach Lon­don, man den­ke an die Deut­sche Bank. Es könn­te also durch­aus sein, dass Frank­furt und Ber­lin von dem Brexit – in Maßen – pro­fi­tie­ren. So lan­ge Lon­don das füh­ren­de Finanz­zen­trum der Welt bleibt und es zu kei­ner signi­fi­kan­ten Ver­schie­bung in der Welt­wirt­schaft kommt, d.h. kein neu­es Zen­trum erscheint, das Lon­don sei­ne Rol­le strei­tig machen kann, wird sich an dem Sta­tus quo indes wenig ändern.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen /​ Update:

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Opi­ni­on: Brexit is a tra­ge­dy, but it could be the making of UK Fintech

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