Von Ralf Keuper

Seit Wochen hält die Dis­kus­si­on dar­über an, ob der Finanz­platz Frank­furt Pro­fi­teur des Brexit sein wird bzw. sein könn­te. In Sind die kon­ti­nen­tal­eu­ro­päi­schen Fin­tech-Stand­or­te Pro­fi­teu­re des Brexit? habe ich erläu­tert, wes­halb ich nicht der Ansicht bin, dass Finanz­plät­ze wie Frank­furt oder Paris Nutz­nie­ßer des Brexit sind – jeden­falls nicht in grö­ße­rem Umfang.

Nun ver­sucht das Insti­tut der Deut­schen Wirt­schaft (IW) den Nach­weis zu erbrin­gen, dass Frank­furt durch den Brexit als Finanz­platz deut­lich auf­ge­wer­tet wer­de und sich auf einen Trans­fer von Jobs aus Lon­don freu­en kön­ne. Von bis zu 10.000 neu­en Arbeits­plät­zen in Frank­furt ist die Rede, wie es in Ban­ken nach dem Brexit-Votum: Vor­teil für Frank­furt steht.

Als Vor­tei­le von Frank­furt gegen­über Paris, Luxem­burg oder Dub­lin füh­ren die Autoren die Infra­struk­tur, die ver­gleichs­wei­se güns­ti­gen Prei­se für Gewer­be­im­mo­bi­li­en und die höhe­re Lebens­qua­li­tät an. Dabei beruft sich das IW u.a. auf ein Ran­king der Unter­neh­mens­be­ra­tung Mercer.

Wie bei allen Ran­kings, ist auch im Fall der Bewer­tung der Lebens­qua­li­tät gan­zer Städ­te Skep­sis ange­bracht. Übri­gens wei­chen die Ran­kings zum Teil deut­lich von­ein­an­der ab. Im Ran­king des Eco­no­mist belegt das aus­tra­li­sche Mel­bourne den ers­ten Platz, Wien den zwei­ten. Über­haupt sind unter den Top Ten des Eco­no­mist auf­fal­lend vie­le aus­tra­li­sche Städ­te ver­tre­ten, was, bei allem Respekt vor Aus­tra­li­en, dann doch etwas unplau­si­bel ist. Ein wei­te­res Städ­te-Ran­king sieht Ber­lin unter den Top 10. Ange­führt wird die Lis­te von Tokio und Wien. Frank­furt schafft es in in bei­den Ran­kings nicht unter die Top 10.

War­um Finanz­zen­tren ihre Attrak­ti­vi­tät nicht allein aus der Lebens­qua­li­tät bezie­hen, erläu­tert die welt­weit aner­kann­te Stadt­for­sche­rin Saskia Sas­sen in Brexit: Lon­don can safe­guard its glo­bal city sta­tus. Die Stär­ken des Finanz­zen­trums Lon­don sei­en, so Sas­sen, die Tätig­kei­ten mit hohem Kom­ple­xi­täts­grad, die sich nicht ein­fach so ver­la­gern lie­ßen, da hier das Zusam­men­spiel vie­ler spe­zia­li­sier­ter Finanz­un­ter­neh­men nötig sei. Eher schon könn­ten Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten, wie das Clea­ring, nach Frank­furt oder Paris ver­la­gert werden.

Als Bei­spiel für ihre The­se führt Sas­sen Hong Kong an. Als Hong Kong an Chi­na zurück fiel, hoff­ten vie­le Poli­ti­ker und staat­li­che Funk­tio­nä­re, dass vie­le Tätig­kei­ten von Hong Kong nach Shang­hai über­ge­hen wür­den. Das ist bis­her nicht ein­ge­tre­ten. Hong Kong ist noch immer das wich­tigs­te inter­na­tio­na­le Finanz­zen­trum Chi­nas. Eben­so uner­füllt geblie­ben ist die Hoff­nung auf ein inter­na­tio­na­les Super-Finanzzentrum.

Im glo­ba­li­sier­ten Finanz­markt behält der Raum wei­ter­hin sei­ne Bedeu­tung. So flach ist die Welt doch nicht. His­to­risch gewach­se­ne Struk­tu­ren las­sen sich nicht so ein­fach obso­let machen.

Für eine Ver­la­ge­rung von Tätig­kei­ten von Lon­don nach Frank­furt bzw. nach Kon­ti­nen­tal­eu­ro­pa im gro­ßen Stil feh­len bis auf wei­te­res die öko­no­mi­schen Vor­aus­set­zun­gen. Für eine Dezen­trie­rung und eine dar­auf fol­gen­de Zen­trie­rung reicht es, im wirt­schafts­his­to­ri­schen Sinn, (noch) nicht aus:

Jedes­mal, wenn eine Dezen­trie­rung statt­fin­det, kommt es auch zu einer erneu­ten Zen­trie­rung, als ob die Welt­wirt­schaft nicht ohne Schwer­punkt, nicht ohne Pol exis­tie­ren könn­te. Aber die­se Dezen­trie­run­gen und Rezen­trie­run­gen sind sel­ten, wodurch sie frei­lich um so bedeut­sa­mer wer­den. Im Fal­le Euro­pas und der Zonen, die es sich ein­ver­leibt hat, kam es in den 80er Jah­ren des 14. Jahr­hun­derts zu einer Zen­trie­rung zuguns­ten von Vene­dig. Gegen 1500 gab es plötz­lich einen rie­si­gen Sprung von Vene­dig nach Ant­wer­pen, danach – zwi­schen 1550 und 1560 – eine Rück­kehr zum Mit­tel­meer, dies­mal jedoch zuguns­ten von Genua; schließ­lich ver­la­ger­te sich das öko­no­mi­sche Zen­trum zwi­schen 1590 und 1610 nach Ams­ter­dam, wo es sich fast zwei Jahr­hun­der­te lang hal­ten konn­te. Zwi­schen 1780 und 1815 ver­schob es sich dann nach Lon­don und 1929 schließ­lich auf die ande­re Sei­te des Atlan­tiks, nach New York (in: “Die Dyna­mik des Kapi­ta­lis­mus” von Fer­nand Braudel).

Wei­te­re Informationen:

“Metro­po­len des Kapi­tals. Die Geschich­te der inter­na­tio­na­len Finanz­zen­tren” von Yous­sef Cassis

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