Von Ralf Keuper
Das von Otto Wagner entworfene und realisierte Postsparkassengebäude in Wien ist nach Ansicht vieler Architekturtheoretiker und ‑kritiker ein Schlüsselwerk der europäischen Moderne. Errichtet in zwei Bauabschnitten, zwischen 1904–1906 und 1910–1912, ist es einer der prägendsten Bauten aus der Zeit des Jugendstils.
Obwohl Wagner mit dem Postsparkassengebäude nebenbei dem Jugendstil ein Denkmal setzte, stand er dem Stilbegriff in der Architektur skeptisch bis ablehnend gegenüber:
In der neuen Gesellschaft kann von der Wahl eines Stils als Unterlage einer baukünstlerischen Schöpfung nicht mehr die Rede sein. Der Architekt muss danach trachten, neue Formen zu bilden oder jene Formen, welche sich am leichtesten unseren modernen Konstruktionen und Bedürfnissen fügen, also schon so der Wahrheit am besten entsprechen fortzubilden. Die Architektur muss aufhören, unterwürftig die Stilrichtungen der Vergangenheit zu imitieren.
Sein eigener Stil wurde von Zeitgenossen nicht ohne ironischen Unterton als “Ästhetik des Schein” bezeichnet.
Bis dahin war es unter Architekturtheoretikern allgemeiner Konsens, dass Materialien und Struktur eines Bauwerkes klar erkennbar sein sollten. Wagner setzte sich über dieses Diktum hinweg, indem er die Mauern aus Ziegelsteinen bauen und die Fassade verkleiden ließ. Diese Bauweise hatte den Vorzug, ökonomischer zu sein, d.h. Bauzeit und Baukosten konnten gering gehalten werden.
Wagner fasst diese Haltung in die Worte:
Das Praktische, beinahe möchte man sagen, Militärische unserer Anschauungsweise muss, wenn das entstehende Werk ein getreues Spiegelbild unserer Zeit sein werden soll, voll und ganz zum Ausdruck kommen.
Die Innenräume waren so gestaltet, dass, wie es ein zeitgenössischer Journalist ausdrückte, “in diesen makellosen Räumen kein Drückeberger dem wachsamen Auge entgeht.” Vom Konzept her schon Großraumbüros. Auch die Gestaltung der Stühle spiegelte die bankinterne Hierarchie wieder.
Bevorzugte Werkstoffe waren Marmor, Aluminium und Linoleum, die beiden letzteren zu jener Zeit noch neuartig. Die Schlichtheit wurde durch die Farbwahl unterstützt; monochrom war das prägende Stilmittel. Farbe war den höheren Rängen, vor allem dem Direktor, vorbehalten. Auf diese Weise sollte der Besucher sofort erkennen, in welche Welt er Zutritt erhielt, wenn er von den nüchternen Schalterhallen in die Räume des Direktoriums wechselte.
Das Postsparkassengebäude stand bereits in einer langen Tradition. Bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts empfingen große europäische Banken ihre Kunden in Hallen mit Glasdächern, in überdachten Innenhöfen. Durch diesen Modus war es leicht, eindrucksvolle Räume zu schaffen. Die Bankenarchitektur erinnerte weniger an Kaufhäuser, sondern eher an die funktionale Gliederung von Bahnhöfen, Messehallen oder Maschinenhallen. Die neue Bankarchitektur übernahm den traditionellen Grundriss einer christlichen Basilika: Ein hohes Mittelschiff, flankiert von niedrigeren Seitenschiffen. Die Schalterhalle wurde dabei so funktional wie ein Maschinenraum. Das Geld wurde in die Seitenflügel verbannt.
Die Leitung der Bank entschied sich damals, sicherlich auch aus Kostengründen, für einen innovativen Entwurf, um sich von der Konkurrenz sichtbar abheben zu können. Handelte es sich dabei nur um eine geschäftliche Entscheidung, oder spielten damals noch weitere Motive hinein?
Jedenfalls gibt die Architektur eines Gebäudes immer auch einen Eindruck von der Geisteshaltung der Auftraggeber, die wiederum vom jeweiligen Zeitgeist beeinflusst wird.
Was können wir heute aus der Architektur von vor einhundert Jahren für das Bankwesen der Gegenwart lernen? Welchen Eindruck vermittelt die Bankarchitektur heute auf den Besucher, Betrachter?
Die Schalterhallen sind auf dem Rückzug. Die Maschinenhallen-Atmosphäre gehört endgültig der Vergangenheit an. Gelitten haben dagegen die funktionale Klarheit und die Transparenz. Von Ästhetik oder Schönheit kann kaum noch die Rede sein. Die Bankenarchitektur trägt dem Umstand zunehmend Rechnung, dass Kunden nur noch selten die Geschäftsräume betreten.
Zu den wenigen Banken der letzten Jahre, die mit ihren Gebäuden Akzente gesetzt haben, zählt die ING Bank mit ihrer Licht-Architektur. Lobend erwähnen kann man in dem Zusammenhang die WestLB, über deren Geschichte wir ansonsten besser den Mantel des Schweigens legen sollten. In der SZ vom 21./22. Januar 2012 (Wunsch nach Größe) schrieb Stefan Rethfeld:
Im Rückblick ergeben die WestLB-Neubauten als wichtiger Beleg der Nachkriegsmoderne in ihrer Gesamtheit eine eindrucksvolle Gebäudefamilie. Bei gleichem Erscheinungsbild zeigen sie ein Panorama unterschiedlicher Strategien: Münster – die Landschaft, Dortmund – der Stadtbaustein, Luxemburg – die Villa, Düsseldorf – der Stadtblock.
Heute hat sich die Bank in das Netz, auf die mobilen Endgeräte, wie Smartphones, Tablet PCs und Smart Watches verlagert. Gebäude aus Stein verlieren an Anziehungskraft, wogegen auch die schönste Architektur kaum noch etwas auszurichten vermag. Die Filialen haben sich über die Jahrzehnte weder von der Architektur noch von der Raumgestaltung her nennenswert weiterentwickelt. Der Sündenfall war wohl die Einrichtung eines Maschinenparks (GAAs, KADs) in der ehemaligen Vorhalle. Da Bargeld an Bedeutung verliert, werden die Anlässe für den Besuch einer Filiale immer geringer. Insofern ist es nur folgerichtig, dass die Filialen wegen des fortschreitenden Funktionsverlustes aus dem Stadt- und Dorfbild verschwinden. Die Funktion einer Bank hat sich gewandelt, ohne dass sich die Form verändert hätte. Noch immer sind viele Banken von der Annahme geleitet, dass nur Gebäude aus Stein und Beton den Anspruch eines Geldhauses einlösen können. Daraus wird dann schnell Form ohne Inhalt bzw. Form und Funkion ohne Sinn.
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Komponist des urbanen Raums