Die Pro­gno­sen der Öko­no­men zur wirt­schaft­li­chen Ent­wick­lung erwei­sen sich für gewöhn­lich als nicht zutref­fend. Nur weni­ge Mona­te nach der ers­ten Pro­gno­se, steht eine Kor­rek­tur an, da sich die gesamt­wirt­schaft­li­che Lage – uner­war­tet – ver­än­dert hat. Schon Win­s­ton Chur­chill gab daher den wert­vol­len Rat:

Der bes­te Zeit­punkt für die Pro­gno­se ist unmit­tel­bar nach dem Ereignis.

Und tat­säch­lich: Nach­dem das – uner­war­te­te – Ereig­nis ein­ge­tre­ten ist, sind die Öko­no­men in der Lage, genau zu sagen, war­um es genau­so kom­men muss­te, und nicht anders. Meis­tens ver­ges­sen sie in dem Zusam­men­hang zu erwäh­nen, dass ihre Pro­gno­sen sich damit als falsch her­aus­ge­stellt haben.

Augen­fäl­lig wur­de das Ver­sa­gen der Zunft in der letz­ten Finanz­kri­se. Auf die Fra­ge, war­um es ihnen nicht gelang, die Finanz­kri­se vor­her­zu­sa­gen, ent­geg­ne­ten die Öko­no­men sei­ner­zeit, dass eine Kri­se die­ses Aus­ma­ßes nicht zu pro­gnos­ti­zie­ren sei. Öko­no­men, so Lisa Nien­haus in ihrem Buch Die Blind­gän­ger. War­um die Öko­no­men auch künf­ti­ge Kri­sen nicht erken­nen wer­den, “ver­glei­chen sol­che Ereig­nis­se ger­ne mit Natur­ka­ta­stro­phen und nen­nen sie exo­ge­ne Schocks, Situa­tio­nen, die plötz­lich und uner­war­tet ein­tre­ten wie Erd­be­ben, Meteo­ri­ten­ein­schlä­ge und neu­er­dings anschei­nend auch Finanz­kri­sen. Der Grund dafür, dass Öko­no­men die­se Schocks als exo­gen bezeich­nen, liegt dabei ein­fach dar­in, dass sie sie nicht erklä­ren kön­nen”.

Kurz­um, die Ursa­che für die Finanz­kri­se kam irgend­wie von außen, qua­si aus dem Nichts. Die­se Erklä­rung ist, so Nien­haus, inak­zep­ta­bel und dar­über hin­aus das Ein­ge­ständ­nis eige­ner Inkom­pe­tenz: “Eine Finanz­kri­se aller­dings kann nun wirk­lich nicht als exo­ge­ner Schock genannt wer­den. Die Kri­se wur­de aus­ge­löst durch die Über­trei­bun­gen der Märk­te und eine fal­sche Regu­lie­rung und Steue­rung sei­tens des Staa­tes. Bei­des, die Märk­te und ihre Steue­rung durch den Staat, sind zen­tra­le The­men der Volks­wir­te. Das zu bestrei­ten gleicht einer Selbst­ver­leug­nung der eige­nen Wis­sen­schaft. Was soll eine Öko­no­mie brin­gen, die alles, was unre­gel­mä­ßig ist, nicht mehr für ihre Auf­ga­be hält? Eine sol­che Wis­sen­schaft des ewi­gen gemä­ßig­ten Vor­wärts­brau­sens ist welt­fremd. Man muss sich fra­gen, ob die Welt Pro­gnos­ti­ker benö­tigt, die nur das Gleich­mä­ßi­ge vor­her­se­hen kön­nen, nicht den Schock, die Kri­se, den Boom”.

Nien­haus fragt: “Irgend­et­was muss mit ihrem Modell der Wirk­lich­keit, mit ihren Annah­men oder mit ihren Inter­es­sen nicht gestimmt haben. Irgend­wo müs­sen sie einen Feh­ler gemacht haben. Was glaub­ten also die Öko­no­men, bevor die Ban­ken­kri­se sie in die Sinn­kri­se stürzte?

Öko­no­men bewe­gen sich bei ihrer Arbeit in Modell­wel­ten, die nicht sel­ten auf mehr oder weni­ger rea­li­täts­frem­den Annah­men, wie den Home Oeco­no­mic­us, beru­hen. Für den Phy­si­ker Lee Smo­lin ist der wis­sen­schaft­li­che Gehalt der Öko­no­mie, die ihre Aus­sa­gen ger­ne auf mathe­ma­ti­sche Berech­nun­gen stützt, mehr als dürf­tig[1]Der Phy­si­ker Lee Smo­lin über den wis­sen­schaft­li­chen Gehalt der neo­klas­si­schen Öko­no­mie.

John Ken­neth Gal­braith schrieb über den “Modell­pla­to­nis­mus” der Öko­no­mie: “Was die Wirt­schafts­theo­rie außer­dem an die Ver­gan­gen­heit und an das klas­si­sche Modell bin­det, ist die tech­ni­sche Wirk­lich­keits­flucht, wie man es nen­nen könn­te. Die zen­tra­le Annah­me der klas­si­schen Natio­nal­öko­no­mie – ein Markt mit voll­kom­me­nem Wett­be­werb von den Pro­duk­ti­ons­prei­sen bis zu den Prei­sen der Pro­duk­ti­ons­fak­to­ren – läßt sich vor­züg­lich tech­nisch und mathe­ma­tisch immer aus­ge­feil­ter dar­stel­len. Die­se Ver­fei­ne­run­gen wer­den aber nicht dar­auf­hin geprüft, wie weit sie die wirk­li­che Welt abbil­den, son­dern auf ihre inne­re Logik und die theo­re­ti­sche und mathe­ma­ti­sche Strin­genz, die sich in Ana­ly­se und Dar­stel­lung zeigt. Aus die­ser in sich geschlos­se­nen intel­lek­tu­el­len Übung, die alle Mit­wir­ken­den fas­zi­niert, sind Fach­frem­de und Kri­ti­ker aus­ge­schlos­sen – oft­mals auf eige­nen Wunsch, weil sie nicht über die for­ma­len Qua­li­fi­ka­tio­nen ver­fü­gen. Was aber noch bedeut­sa­mer ist: Auch das wirk­li­che Wirt­schafts­le­ben ist davon aus­ge­schlos­sen, weil es sich in sei­ner viel­fäl­ti­gen Unge­ord­ne­t­heit mathe­ma­tisch nicht abbil­den läßt”[2]“Die Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung der Wirt­schaft: Grund­vor­aus­set­zun­gen öko­no­mi­schen Den­kens”.

Die Tätig­keit der Öko­no­men erin­nert daher eher an die des Astro­lo­gen, der die Zukunft aus dem Stand der Ster­ne deu­tet. “Kein Volks­wirt wür­de sich selbst mit einem Stern­deu­ter ver­glei­chen und doch ver­hal­ten sich eini­ge von ihnen so. Sie betrach­ten Daten der Ver­gan­gen­heit und deu­ten aus ihnen die zukünf­ti­ge Ent­wick­lung der Wirt­schaft. Damit machen sie die Wirt­schafts­wis­sen­schaft zum Ora­kel. Der Astro­lo­ge unter den Öko­no­men sagt punkt­ge­nau das künf­ti­ge Brut­to­in­lands­pro­dukt vor­aus, weiß, wie­vie­le Arbeits­lo­se es in einem Jahr geben wird und wel­chen Bran­chen Unheil droht. Er hat genaue Vor­stel­lun­gen über die Ent­wick­lung von Infla­ti­on und Zin­sen”.

So wie einst Kep­ler sei­ne astro­lo­gi­schen Fähig­kei­ten in die Diens­te Wal­len­steins stell­te, stre­ben die Öko­no­men heu­te den Sta­tus des “Wirt­schafts­wei­sen” an, der den Regie­ren­den in Fra­gen der Wirt­schaft bera­tend zur Sei­te steht. [3]Der Unter­schied ist jedoch, dass Kep­ler sei­nen Auf­trag­ge­ber Wal­len­stein zutref­fend Schwie­rig­kei­ten und sein Todes­jahr 1634 vor­her­sag­te. Kep­ler gilt heu­te zu Recht als einer der Begrün­der der … Con­ti­nue rea­ding. “Sie äußern sich zu allen Aspek­ten des wirt­schaft­li­chen Lebens, tre­ten in (fast) allen Medi­en auf und sind nicht sel­ten über kurz oder lang zumin­dest halb­wegs pro­mi­nent. … Das bedeu­tet für Nicht-Öko­no­men: Die Wei­sen sind vor­ran­gig dafür da, Kri­sen zu erken­nen und zu ana­ly­sie­ren. Letz­te­res haben sie auch stets gemacht. Beim Erken­nen aku­ter Kri­sen aber haben sie sich zuletzt nicht gera­de her­vor­ge­tan … . Dass die Wirt­schafts­wei­sen in die­sem Punkt dann doch nicht wei­ser sind als ande­re Öko­no­men, ist bedau­er­lich, denn weni­ge ande­re Volks­wir­te ver­fü­gen über ähn­li­che Mög­lich­kei­ten, laut und deut­lich vor Fehl­ent­wick­lun­gen zu war­nen. Weni­ge ande­re Volks­wir­te haben einen solch unein­ge­schränk­ten Zugang zum poli­ti­schen Per­so­nal”.

Wäh­rend in den Natur­wis­sen­schaf­ten von der For­schung und Rea­li­tät wider­leg­te Model­le über kurz oder lang in der Ver­sen­kung ver­schwin­den, füh­ren sie in der Öko­no­mie meh­re­re Leben. Immer wie­der kommt es zur fröh­li­chen Wie­der­auf­er­ste­hung. Das Ver­schwin­den über­hol­ter Model­le voll­zieht sich hier nicht ein­mal, wie von Tho­mas Kuhn in Die Struk­tur wis­sen­schaft­li­cher Revo­lu­tio­nen beschrie­ben, bio­lo­gisch, in der Wei­se näm­lich, dass eine Gene­ra­ti­on abtritt und mit ihr deren Denk­mo­del­le: “Viel­mehr wer­den sie manch­mal ein­fach ver­ges­sen oder auf­grund von Ein­zel­er­eig­nis­sen für falsch erklärt. Es geschieht immer wie­der, dass eins­ti­ge Wahr­hei­ten ver­wor­fen wer­den, weil die Beweis­last gegen sie erdrü­ckend erscheint – nur um spä­ter wie­der her­vor­ge­kramt zu wer­den”.

Zu den Theo­rien, die – in die­sem Fall unbe­rech­tig­ter­wei­se – regel­mä­ßig in Ver­ges­sen­heit gera­ten, zählt die Kri­sen­theo­rie von Hyman Min­sky[4]Dar­in unter­schei­det er fünf Stu­fen, die cha­rak­te­ris­tisch für die Ent­ste­hung von Bla­sen sind: Ver­drän­gung (Auf­re­gung der Anle­ger durch ein neu­es Para­dig­ma, z. B. tech­no­lo­gi­sche Fort­schrit­te oder … Con­ti­nue rea­ding).

In einer Umfra­ge unter Öko­no­men aus dem Jahr 2006, was einen guten Volks­wirt aus­ma­che, gaben 76% der Befrag­ten an, dass sehr gute Kennt­nis­se auf dem Fach­ge­biet sehr wich­tig sei­en. Das Wis­sen über die aktu­el­le Wirt­schafts­la­ge fan­den dage­gen weni­ger als 50% der Befrag­ten für sehr wichtig.

Dass Öko­no­men eine her­auf­zie­hen­de Wirt­schafts­kri­se nicht erken­nen, ist indes nicht neu. In sei­nen Erin­ne­run­gen aus mei­nem Leben schreibt der Ban­kier und Öko­nom Felix Soma­ry über den Stand der Öko­no­mie am Vor­abend der Weltwirtschaftskrise:

Mir kam es klar zum Bewusst­sein, wie furcht­bar die poli­ti­sche Öko­no­mie gelit­ten hat­te, seit­dem sie von einem Zweig der Staats­kunst zu einer blo­ßen Schul­weis­heit hin­ab­ge­glit­ten ist. Was bedeu­te­ten einst Bodin und Sul­ly für Frank­reich, wie tief wirk­ten Adam Smith und Tur­got. Aber die bra­ven Schul­meis­ter, .., spür­ten kei­nen Hauch von dem Sturm, der da her­an­braus­te. Man erhitz­te sich in Detail­fra­gen, die Welt­la­ge inter­es­sier­te nicht. Auch am Abend in mei­nem Hau­se waren Her­kner, Som­bart, Emil Lede­rer sich dar­in einig, dass eine Kri­se nicht in Sicht sei – sei­en doch die Waren­prei­se über­haupt nicht gestie­gen. .. Es waren hier Ver­tre­ter von min­des­tens einem Dut­zend Kon­junk­tur­theo­rien anwe­send, aber kei­ner ahn­te das nahe Kom­men der größ­ten Kri­se unse­rer Generation.

Mit Blick auf die Zukunft gilt demnach:

Machen wir es wie die Öko­no­men: Las­sen wir uns überraschen!

Refe­ren­ces

Refe­ren­ces
1 Der Phy­si­ker Lee Smo­lin über den wis­sen­schaft­li­chen Gehalt der neo­klas­si­schen Ökonomie
2 “Die Ent­my­tho­lo­gi­sie­rung der Wirt­schaft: Grund­vor­aus­set­zun­gen öko­no­mi­schen Denkens”
3 Der Unter­schied ist jedoch, dass Kep­ler sei­nen Auf­trag­ge­ber Wal­len­stein zutref­fend Schwie­rig­kei­ten und sein Todes­jahr 1634 vor­her­sag­te. Kep­ler gilt heu­te zu Recht als einer der Begrün­der der moder­nen Natur­wis­sen­schaf­ten: “Johan­nes Kep­ler ent­deck­te die Gesetz­mä­ßig­kei­ten, nach denen sich Pla­ne­ten um die Son­ne bewe­gen. Sie wer­den nach ihm Kep­ler­sche Geset­ze genannt. Er mach­te die Optik zum Gegen­stand wis­sen­schaft­li­cher Unter­su­chung und bestä­tig­te die Ent­de­ckun­gen, die sein Zeit­ge­nos­se Gali­leo Gali­lei mit dem Tele­skop gemacht hat­te. Kep­ler zählt damit zu den Begrün­dern der moder­nen Natur­wis­sen­schaf­ten. Mit sei­ner Ein­füh­rung in das Rech­nen mit Log­arith­men trug Kep­ler zur Ver­brei­tung die­ses mathe­ma­ti­schen Ver­fah­rens bei. In der Mathe­ma­tik wur­de ein nume­ri­sches Ver­fah­ren zur Berech­nung von Inte­gra­len nach ihm Kep­ler­sche Fass­re­gel benannt”, in: Wikipedia
4 Dar­in unter­schei­det er fünf Stu­fen, die cha­rak­te­ris­tisch für die Ent­ste­hung von Bla­sen sind:

Ver­drän­gung (Auf­re­gung der Anle­ger durch ein neu­es Para­dig­ma, z. B. tech­no­lo­gi­sche Fort­schrit­te oder his­to­risch nied­ri­ge Zinssätze)
Boom (Die Prei­se stei­gen zunächst lang­sam, gewin­nen dann aber an Schwung, wenn mehr Teil­neh­mer in den Markt ein­tre­ten. Die Angst, etwas zu ver­pas­sen, lockt noch mehr Teil­neh­mer an. Folg­lich steigt die Bekannt­heit der betref­fen­den Anlageklasse)
Eupho­rie (Die Prei­se von Ver­mö­gens­wer­ten stei­gen expo­nen­ti­ell an; bei der Ent­schei­dungs­fin­dung sind kaum noch ratio­na­le Grün­de erkenn­bar. In die­ser Pha­se wer­den neue Bewer­tungs­maß­stä­be und Metri­ken ange­prie­sen, um den unauf­halt­sa­men Anstieg der Ver­mö­gens­prei­se zu rechtfertigen.)
Gewinn­mit­nah­men (Die weni­gen, die erkannt haben, was vor sich geht, machen ihren Gewinn, indem sie ihre Posi­tio­nen ver­kau­fen. Dies ist der rich­ti­ge Zeit­punkt, um aus­zu­stei­gen, wird aber von der Mehr­heit nicht erkannt)
Panik (Inzwi­schen ist es zu spät, und die Prei­se für Ver­mö­gens­wer­te bre­chen so schnell ein, wie sie einst gestie­gen sind. Da jeder ver­sucht, aus der Situa­ti­on Kapi­tal zu schla­gen, über­steigt das Ange­bot die Nach­fra­ge und vie­le müs­sen gro­ße Ver­lus­te hinnehmen