Der Kapitalismus fiel nicht vom Himmel, noch war er das Ergebnis planvoller, vom Staat gelenkter Aktionen, ebensowenig wie er von einer unsichtbaren Hand in Szene gesetzt wurde. Es war, wie so oft, weitaus profaner, obschon einige Konstellationen seinen Lauf geprägt haben. Dass der moderne Kapitalismus seinen Ausgangspunkt in Europa hatte, das zu jenem Zeitpunkt weit hinter entwickelten Ländern wie China zurückstand, hätte, folgt man den Klassikern der Nationalökonomie, eigentlich nicht geschehen dürfen. Die Produktivität war in China und Indien keinesfalls geringer als in England, dem Mutterland der Industrialisierung. Auch war die Wirtschaft weit entwickelt, wie die Textilherstellung in Indien. Und doch haben die europäischen Länder und Kolonialmächte den Welthandel beherrscht und zahlreiche Länder in ein für sie unvorteilhaftes Abhängigkeitsverhältnis gedrängt. Widerstand setzte erst relativ spät ein – er hält bis heute an, wie die Aktivitäten der sog. BRICS-Staaten zeigen, deren primäres Ziel es ist, den Dollar als Leitwährung abzuschaffen. Die wirtschaftliche Vormacht des Westens hält bis heute an. Dennoch ist kaum noch zu übersehen, dass der Zenit überschritten ist.
Die Frage, wie es überhaupt dazu kommen konnte, dass relativ kleine Länder wie Spanien, Portugal, die Niederlande und Großbritannien weite Teile der Welt beherrschten, wird seit Jahrzehnten diskutiert. Die bekanntesten Erklärungen stammen von David Landes, Jared Diamond, Jürgen Osterhammel und dem Autorenpaar Daron Acemoglu/James A. Robinson. Dem stellt nun Friedrich Lenger in Der Preis der Welt seine Globalgeschichte des Kapitalismus zur Seite. Lenger behandelt in seinem Buch die Frage “nach dem Zusammenspiel zwischen kapitalistischer Dynamik und globaler Asymmetrie seit dem 15. Jahrhundert. Wer investiert wo, wofür und mit welchen Erwartungen wieviel Kapital, und welche Rolle spielen Markt und Macht bei der Umsetzung solcher Investitionsentscheidungen?”.
Bereits vor der Entdeckung der Neuen Welt waren die wirtschaftlichen Verbindungen der westlichen Länder und Stadtrepubliken wie Venedig mit Indien, China und dem Mittleren Osten intensiv. Eine wichtige Handelsroute war die Seidenstraße. Mit der Einführung des Wechsels war es möglich, den aufwändigen und riskanten Transport von Zahlungsmitteln durch ein streng terminiertes Zahlungsversprechen zu ersetzen. Dennoch, so Lenger, waren diese und andere Finanzinnovationen in China und Indien schon weit verbreitet, als sie in Europa eingeführt wurden. Insgesamt, so Länger, war die Handelswelt Europas im 15. Jahrhundert nicht mehr als ein Anhängsel einer um den indischen Ozean konzentrierten Ökonomie.
Die Ersten, welche die bis dahin gültige Weltordnung erschütterten, waren die Portugiesen. Ein Einschnitt war die Umschiffen des Kaps der Guten Hoffnung durch Bartholomäus Dias und die Verbindung nach Indien über diese Route durch Vasco da Gama. Die portugiesische Krone strebte die führende Rolle im Gewürzhandel an. Scho…