Von Ralf Keuper

Die Kran­ken­ver­si­che­run­gen stüt­zen sich bei der Berech­nung der Risi­ken vor­wie­gend auf eige­ne Schät­zun­gen, die auf aus­ge­feil­ten mathe­ma­ti­schen For­mel beru­hen. Ergeb­nis sind Pro­gno­sen mit einem Zeit­ho­ri­zont von meh­re­ren Jah­ren. Letzt­lich han­delt es sich dabei um eine Wet­te auf die mög­li­che Ver­si­che­rungs­leis­tung in der Zukunft, so Tho­mas Feld, CDO bei der Scheer GmbH. Es feh­len die Daten­his­to­rie und Erfah­run­gen mit Echt­zeit­da­ten. Das Betrei­ben eige­ner Platt­for­men für die Ver­wal­tung von Fit­ness- und Gesund­heits­da­ten stellt eine gro­ße orga­ni­sa­to­ri­sche, tech­no­lo­gi­sche und per­so­nel­le Her­aus­for­de­rung dar, wel­che klei­ne und mit­tel­gro­ße Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaf­ten scheu­en. Für KMUs sind eige­ne Bonus­pro­gram­me in den meis­ten Fäl­len schlicht zu teu­er und aufwändig.

Kri­ti­sche Öffentlichkeit

Hin­zu kommt, dass die Öffent­lich­keit, wenn es um die Ver­wal­tung und Aus­wer­tung von Gesund­heits­da­ten geht, beson­ders kri­tisch ist. Das muss­te vor eini­ger Zeit die Gene­ra­li-Ver­si­che­rung erfah­ren, als sie ihr Vita­li­ty-Pro­gramm vor­stell­te. Sport­lich akti­ve Kun­den, die bereit sind, ihre Fit­ness­da­ten, die sich mit­tels Smart Wat­ches oder Fit­ness-Arm­bän­dern erhe­ben las­sen, mit der Gene­ra­li-Kran­ken­kas­se zu tei­len, erhal­ten einen Bonus (“Pay as you live”). Gene­ra­li betont, dass es sich um ein Bonus- und kein Malus-Sys­tem han­de­le, d.h. Ver­si­cher­te, die nicht an dem Vital­tiy-Pro­gramm teil­neh­men, zah­len den “nor­ma­len” Bei­trag. Vor­wür­fen, Bonus-Pro­gram­me wie Vital­tiy wür­den das Soli­dar­prin­zip aus­he­beln, begeg­net der Chef von Gene­ra­li Deutsch­land, Gio­van­ni Livera­ni, mit dem Hin­weis, dass es sich ganz im Gegen­teil um eine Soli­da­ri­sie­rung der Infor­ma­ti­on han­de­le. Infor­ma­tio­nen, die Ver­si­cher­ten bis­lang nicht zur Ver­fü­gung stün­den, wür­den allen zugäng­lich, um von den Erfah­run­gen ande­rer zu pro­fi­tie­ren. Gene­ra­li ver­steht sein Pro­dukt als eine Art “vir­tu­el­len Fit­ness-Coach”. In Süd­afri­ka sei es dem Gene­ra­li-Part­ner Dis­co­very gelun­gen, sein “Vita­li­ty-Pro­gramn” als Life­style-Pro­dukt im Markt durchzusetzen.

Gui­ded Auto­no­mic Loca­ti­ons (Gui­ded AL)

Die Dis­kus­si­on zeigt, wie sen­si­bel das The­ma ist und wie groß die Erwar­tun­gen an Ver­si­che­rer und ent­spre­chen­de tech­ni­sche Lösun­gen sind. Das For­schungs­pro­jekt Gui­ded Auto­no­mic Loca­ti­ons (Gui­ded AL), das vom Bun­des­mi­nis­te­ri­um für Wirt­schaft und Ener­gie geför­dert wird, hat sich die Schaf­fung einer offe­nen, Inter­net basier­ten, stan­dar­di­sier­ten Daten­aus­tausch- und Dienste­platt­form zur Rea­li­sie­rung neu­ar­ti­ger intel­li­gen­ter Ser­vices zum Ziel gesetzt. Dazu zählt neben den Umfel­dern Woh­nen, Arbeit, Ein­kau­fen auch die Gesundheit.

Über­blick “Gui­ded Auto­no­mic AL”

Ein Bestand­teil des For­schungs­pro­jekts Gui­ded Al ist eine Fit­ness­da­ten­stu­die, die feder­füh­rend von der Scheer GmbH betreut wird. Dabei wur­den 200 Teil­neh­mer gebe­ten, ihre Fit­ness­da­ten auf anony­mi­sier­ter Basis bereit zu stel­len und einen anony­men Fra­ge­bo­gen zur Bewer­tung der Gesund­heits­ri­si­ken und des Nut­zer­ver­hal­tens zu beant­wor­ten. Das Pro­jekt läuft noch bis zum 31.02.2019.

Fra­gen, auf die das Pro­jekt Ant­wor­ten fin­den will:

  • Gibt es einen Zusam­men­hang zwi­schen den Fit­ness­da­ten und dem Gesund­heits­zu­stand der Teilnehmer?
  • Wie unter­schei­den sich die Fit­ness­da­ten zwi­schen den ein­zel­nen Probandengruppen?
  • Kann man Indi­ka­to­ren erken­nen, die Pro­gno­sen für den Gesund­heits­zu­stand ermöglichen?

Siche­re Gesundheitsplattformen

Ziel ist die Schaf­fung einer siche­ren Gesund­heits­platt­form für Ver­si­che­run­gen und deren Kun­den. Die Kun­den kön­nen dabei meh­re­re Smart Ser­vices in Anspruch neh­men. Dane­ben ist die Lösung GDPR-compliant.

Quel­le: Vor­trag ” Fit­ness- und Gesund­heits­da­ten als Wett­be­werbs­fak­tor in der Ver­si­che­rungs­wirt­schaft”, von Cars­ten Kuhl­mann, 18.09.2018

Die Platt­form arbei­tet nach dem “Pri­va­cy by Design” – Prin­zip (“Daten­schutz durch Tech­nik­ge­stal­tung”). Die Ver­si­che­rung erhält nur Zugriff auf die anony­mi­sier­ten Daten.

Quel­le: Vor­trag ” Fit­ness- und Gesund­heits­da­ten als Wett­be­werbs­fak­tor in der Ver­si­che­rungs­wirt­schaft”, von Cars­ten Kuhl­mann, 18.09.2018

Für Tho­mas Feld von Scheer liegt der Vor­teil der Lösung dar­in, dass dadurch die Posi­ti­on der Ver­si­cher­ten gestärkt und die Ver­si­cher­bar­keit erhöht wer­de. Ein Punkt übri­gens, den der Ethik­rat in sei­ner Stel­lung­nah­me Prä­dik­ti­ve Geund­heits­in­for­ma­tio­nen beim Abschluss von Ver­si­che­run­gen vor eini­gen Jah­ren problematisierte:

Struk­tu­rel­le Unter­le­gen­heit ist beim Abschluss eines nor­ma­len Ver­si­che­rungs­ver­tra­ges regel­mä­ßig gege­ben. Der Antrag­stel­ler kann nicht gleich­be­rech­tigt ver­han­deln. Er sieht sich einem gewich­ti­gen Part­ner gegen­über, der die Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen bis hin zum Text der Ver­trags­for­mu­la­re vor­ab bestimmt. Jeden­falls bei den übli­chen Ver­si­che­rungs­ver­trä­gen des täg­li­chen Lebens ist der Antrag­stel­ler in der weit­aus schwä­che­ren Posi­ti­on. For­mal steht es ihm zwar frei, eine Unter­su­chung zur Krank­heits­vor­aus­sa­ge, die das Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men ver­langt, zu akzep­tie­ren oder abzu­leh­nen. Aller­dings hat der Antrag­stel­ler zu gewär­ti­gen, dass eine Ableh­nung den Ver­trags­schluss schei­tern und ihn ohne den ange­streb­ten Ver­si­che­rungs­schutz las­sen wür­de. Ein Aus­wei­chen auf ande­re Ver­si­che­rungs­un­ter­neh­men als Ver­trags­part­ner ver­spricht ange­sichts der weit­ge­hen­den Gleich­ar­tig­keit der Ver­si­che­rungs­be­din­gun­gen in der Bran­che kei­nen Ausweg.

Redu­zie­rung der Infor­ma­ti­ons­asym­me­trie durch eine “Soli­da­ri­sie­rung der Gesund­heits­in­for­ma­tio­nen” – Stär­kung der Prävention 

Im Ide­al­fall lie­ße sich die ange­spro­che­ne Infor­ma­ti­ons­asym­me­trie durch eine “Soli­da­ri­sie­rung der Gesund­heits­in­for­ma­tio­nen” aus Sicht der Ver­si­cher­ten deut­lich redu­zie­ren. Die Prä­ven­ti­on wür­de einen neu­en Stel­len­wert bekom­men, so Tho­mas Feld. Durch die Erhe­bung von Echt­zeit­da­ten könn­ten Fehl­ent­wick­lun­gen früh­zei­tig erkannt wer­den. Der Ver­gleich von Ver­si­cher­ten mit ähn­li­chem Krank­heits­bild trägt dazu bei, Gesund­heits­ri­si­ken vor­zei­tig zu iden­ti­fi­zie­ren. An die Stel­le der Betrach­tung eines bestimm­ten Zeit­punkts (Ver­trags­ab­schluss) tritt die kon­ti­nu­ier­li­che Beob­ach­tung (Ver­hal­ten wäh­rend der Vertragslaufzeit).

Data Sci­ence as a Service

Klei­ne und mitt­le­re Ver­si­che­rungs­ge­sell­schaf­ten könn­ten den Ser­vice einer Gesund­heits­platt­form, wie sie von Gui­ded AL vor­ge­se­hen ist, nut­zen, ohne sel­ber ent­spre­chen­de Infra­struk­tu­ren auf­bau­en und unter­hal­ten zu müs­sen. Als Anbie­ter kom­men dabei nur beson­ders ver­trau­ens­wür­di­ge Unter­neh­men oder Insti­tu­tio­nen infra­ge. Denk­bar ist auch die Bil­dung ent­spre­chen­der Genos­sen­schaf­ten, an denen sich meh­re­re Kran­ken­ver­si­che­rer betei­li­gen. Je grö­ßer der Daten­be­stand, um so bes­se­re Erkennt­nis­se las­sen sich dar­aus gewinnen.

Öko­sys­te­me für Gesundheitsdaten

Vor­stell­bar ist die Bil­dung eines Öko­sys­tems um die Gesund­heits­platt­form her­um, so Tho­mas Feld wei­ter. So könn­ten Phar­ma­un­ter­neh­men anony­mi­sier­te Daten zur Ver­fü­gung gestellt wer­den. Glei­ches gilt für die wis­sen­schaft­li­che For­schung an Uni­ver­si­tä­ten und Insti­tu­ten. Eben­so lie­ßen sich die Daten der Gesund­heits­platt­form durch For­schungs­da­ten anrei­chern. Die Ver­si­cher­ten, als die eigent­li­chen Kun­den des Gesund­heits­sys­tems, wer­den damit in den Pro­zess zur Ver­bes­se­rung der Gesund­heits­ver­sor­gung mit einbezogen.

Bis­lang kon­zen­trie­ren sich die Emp­feh­lun­gen zur Ver­bes­se­rung der Wert­schöp­fung im Gesund­heits­we­sen auf die Indus­trie und For­schung (Vgl. dazu: Stra­te­gien zur Über­win­dung von Hür­den der Wert­schöp­fungs­ket­te in der Gesund­heits­for­schung). Die Öko­sys­te­me könn­ten über­dies eine wich­ti­ge Rol­le beim Kampf gegen bis­lang häu­fig ver­nach­läs­sig­te, sel­te­ne Krank­hei­ten spie­len (Vgl. dazu: Unab­hän­gi­ge Phar­ma­for­schung). Die Ver­knüp­fung mit Daten über Umwelt­be­las­tun­gen und ‑risi­ken erscheint sinn­voll (Vgl. dazu: Open Govern­ment Data – Zugang zu Umwelt- und Gesund­heits­da­ten). Die gesell­schaft­li­che Wis­sens­ba­sis wür­de sich in einem wich­ti­gen und sen­si­blen Bereich verbreitern.