Von Ralf Keuper
Offshore-Finanzzentren und die damit verbundenen Praktiken bergen erhebliche Risiken und Gefahren für die globale Wirtschaft und Gesellschaft. In ihrem Buch Offshore. Wie Vermögensverwalter Reichtum tarnen und einen neuen Kolonialismus schaffen, beleuchtet Brooke Harrington die Schattenseiten des Offshore-Finanzsystems und die damit einhergehenden Herausforderungen.
Für ihre Recherchen ließ sich die Soziologin Brooke Harrington zur Vermögensverwalterin ausbilden. Dadurch war es ihr möglich, mit den Insidern in deren Sprache zu sprechen und ein gewisses Vertrauensverhältnis aufzubauen. Sie besuchte nicht nur die “klassischen” Finanzzentren wie London, Zürich oder New York, sondern begab sich für ihre Interviews auch an die eigentlichen Orte des Geschehens, wie z.B. auf die Cayman Islands. In den Steueroasen, bei denen es sich fast ausschließlich um ehemalige Kolonien des britischen Empires handelt, geht es im Gegensatz zu den Finanzzentren der westlichen Welt ausgesprochen hemdsärmelig und rustikal zu. Vornehme Zurückhaltung, um wenigstens den Schein zu wahren, ist hier überflüssig.
Nach dem Zusammenbruch des Empires waren viele ehemalige Kolonien in der Peripherie gezwungen, sich ein neues Geschäftsmodell zuzulegen. Dabei kam es ihnen zugute, dass sie auf der rechtlichen und finanziellen Infrastruktur des Empires zurückgreifen können. Es fungierte laut Harrington als Betriebssystem, das zum Vorteil der neuen Élite umgebaut wurde. An die Stelle des Mutterlandes Großbritannien traten die staatenlosen Superreichen. Diese setzten, wenn überhaupt, nur selten ihren Fuß auf die Inseln. Da der Aufbau einer Steueroase, anders als bei einem Land, das seinen Wohlstand aus Rohstoffgewinnung oder produzierendem Gewerbe erwirtschaftet, kaum Investitionen erfordert und in der Mehrzahl nur geringqualifiziertes Personal benötigt, kommen die Segnungen des enormen buchhalterischen Reichtums in der Gesellschaft nicht an. Investitionen in öffentliche Infrastruktur werden auf das absolute Minimum beschränkt. Der Zweck einer Steueroase besteht aus Sicht der Klienten ja ohnehin darin, von Steuern und Abgaben, die für die Unterhaltung der öffentlichen Infrastruktur verwendet werden könnten, verschont zu bleiben. Dies führt zu erheblichen Steuerausfällen für die Heimatländer und verstärkt soziale Ungleichheiten. Die komplexen Strukturen und Holdingsysteme in Offshore-Zentren machen es für Steuerbehörden äußerst schwierig, den Geldfluss nachzuverfolgen und faire Besteuerung durchzusetzen.
Offshore-Zentren bieten die Möglichkeit, nationale Gesetze und Regulierungen zu umgehen. Dies untergräbt die Rechtsstaatlichkeit und schafft ein Zweiklassensystem, in dem wohlhabende Individuen und Unternehmen sich den geltenden Regeln entziehen können. Die Existenz solcher “Schlupflöcher” schwächt das Vertrauen in staatliche Institutionen und die Fairness des Finanzsystems.
Eine entscheidende Rolle spielen die sog. Trusts, die in ihrer Mehrzahl nach dem britischen Common Law errichtet werden. Dabei handelt es sich um private Vereinbarungen, mit denen Vermögenswerte rechtlich in den Besitz eines Treuhänders übergehen, aber von einer anderen Person (Treuhandnehmer) genutzt werden. “In vielen Ländern müssen Trusts nicht behördlich registriert werden, was bedeutet, dass sie ihm Geheimen existieren können. .. Außerdem sind Trusts anders als Gesellschaften und Stiftungen keine rechtlichen Einheiten, was bedeutet, dass sie weder bankrottgehen noch verklagt werden können. Schließlich kann das in einem Trust aufbewahrte Vermögen ohne oder fast ohne Steuerabzüge wachsen, wenn der Treuhänder in einem der vielen Rechtsräume in den ehemaligen britischen Kolonien ansässig ist, in denen es keine oder nur geringe Steuern gibt”.
Neben den Suppereichen wissen auch Kriminelle die Anonymität und mangelnde Transparenz in Offshore-Zentren zu schätzen, um illegal erworbene Gelder zu waschen und in den legalen Wirtschaftskreislauf einzuschleusen. Besonders besorgniserregend ist, dass in etwa drei Viertel aller größeren Drogenhandelsfälle Offshore-Zentren eine Rolle spielen.
Anders als im alten Kolonialismus, wo die “Drecksarbeit” von identifizierbaren Personen und Organisationen in aller Öffentlichkeit durchgeführt wurden, und in einigen Fällen zu offener Rebellion führen konnten, ist die Lage beim Offshore-Finanzsystem anders. “Durch den gekonnten Einsatz von Geheimhaltung und Komplexität konnte das größte Problem des Kolonialismus vermieden werden: die Revolte der Kolonisierten. Wenn sich die Ausgebeuteten der Ausbeutung nicht bewusst sind und keinen Unterdrücker sehen können, werden sie keinen Widerstand leisten”.
Obwohl Regulierung und Gesetzgebung gerne als ultimative Werkzeuge genannt werden, um die Steueroasen trocken zu legen, sehen Harrington und viele andere in den Reputationsrisiken ein wirksameres Druckmittel. In Zeiten zunehmender Transparenz und öffentlichen Drucks kann die Enthüllung von Offshore-Aktivitäten zu schwerwiegenden Imageschäden und Vertrauensverlusten führen. “Die soziale Ächtung wirkt bei den Eliten, und sie wirkt rascher und besser als viele Gesetze. Gegen formale Strafen wie Gerichtsverfahren können sich die Superreichen gut wehren, aber eine Bedrohung ihres Ansehens und ihres sozialen Status ist schmerzhaft und provoziert heftige Reaktionen”.
Ein weiteres effektives Mittel ist, den Vermögensverwaltern die Zusammenarbeit mit Personen zu untersagen, über die Sanktionen verhängt wurden, wie im Fall russischer Oligarchen. Vermögensverwalter können so schnell nicht durch neue ersetzt werden, zumal die Vermögensverwalter durch Kenntnis intimster Details aus dem Leben ihrer Klienten nahezu unkündbar und unersetzbar sind. Es dauert für gewöhnlich sehr lange, bis sich zwischen einem Klienten und einem Vermögensverwalter ein Vertrauensverhältnis entwickelt, das den natürlichen Schwankungen des Alltags standhält.
Harrington bringt neben dem Aspekt der wachsenden Ungleichheit, die durch Offshore-Finnazzentren verstärkt werden, einen weiteren Punkt, der von ausgewiesenen Anhängern des Kapitalismus und der Marktwirtschaft stammt. Anders als z.B. Peter Thiel, der Monopole und die Einschränkung des Wettbewerbs bevorzugt, war für Friedrich August von Hayek und Joseph Schumpeter die Zerstörung von Monopolen und veralteter Geschäftsmodelle ein erstrebenswertes Ziel. Das Offshore-Finanzsystem hingegen ermöglicht es sehr reichen Personen, sich gegen viele Risiken und Verluste abzuschotten und ihren Reichtum rasch zu vermehren. Nach Ansicht der Ökonomen Anastasia Nesvetailova und Ronan Plan entstehen heute viele Vermögen nicht, indem Wert erzeugt wird, sondern indem Eliten mit einer Hand die staatliche Aufsicht sabotieren und mit der anderen Hand die Staatskasse plündern.