Von Ralf Keuper
Vor etwas über einem Jahr habe ich mich auf die­sem Blog in Von plu­ra­lis­ti­scher Igno­ranz und Gestal­tungs­hem­mung im Ban­king mit der selek­ti­ven Wahr­neh­mung der Ban­ken und ihrer Lei­tung beschäftigt. 
Dar­in bezog ich mich u.a. auf die Arbei­ten des Orga­ni­sa­ti­ons­for­schers Karl Weick, der in sei­nem Haupt- und Stan­dard­werk Der Pro­zess der Orga­ni­sie­rens davon spricht, dass die Spit­zen einer Orga­ni­sa­ti­on dazu nei­gen, ihre Grund­an­nah­men nicht infra­ge zu stel­len, und falls doch, nur im Ver­gleich zu Orga­ni­sa­tio­nen, die eine ähn­li­che Sicht haben. So kann es kom­men, dass in Chef­eta­gen Annah­men über den Markt und die Kun­den als gesi­cher­te Erkennt­nis­se kur­sie­ren, die sich bei nähe­rer Betrach­tung als Luft­schlös­ser her­aus­stel­len. Weick schreibt: 

Eine die­ses gan­ze Buch durch­zie­hen­de Annah­me ist es, dass Mana­ger oft viel weni­ger über ihre Umwel­ten und Orga­ni­sa­tio­nen wis­sen, als sie anneh­men. Ein Grund für die­se Unvoll­kom­men­heit des Wis­sens liegt dar­in, dass Mana­ger unbe­wusst und ins­ge­heim mit­ein­an­der über­ein­kom­men, Tests zu ver­mei­den. Und sie ent­wi­ckeln detail­lier­te Erklä­run­gen, war­um Tests ver­mie­den wer­den müs­sen, war­um man unter mut­maß­lich gefähr­li­chen Rah­men­be­din­gun­gen nicht han­deln dürfe/​könne. .. Die­ses Gefühl von Wis­sen wird gestärkt dadurch, dass jeder die glei­chen Din­ge zu sehen und zu mei­den scheint. Und wenn alle über irgend etwas einer Mei­nung sind, dann muss es auch exis­tie­ren und wahr sein. 

Von einem sol­chen Fall berich­tet Kars­ten Sei­bel in Die fata­le Selbst­täu­schung der Bank­chefs. Dar­in bezieht sich Sei­bel auf die noch nicht ver­öf­fent­lich­te Stu­die “Pri­vat­kun­den­ge­schäft 2020” der Unter­neh­mens­be­ra­tung Inves­tors Mar­ke­ting. Dem­nach weicht die Selbst­ein­schät­zung der Ban­ken­chefs, was das Anse­hen ihrer Bank bei den Kun­den betrifft, z.T. deut­lich von den Bewer­tun­gen der Kun­den ab. 

“Egal ob Fair­ness, Kom­pe­tenz oder Wert­schät­zung – Kun­den haben ein durch­weg schlech­te­res Bild von Ban­ken, als die Kre­dit­in­sti­tu­te sich auf Ent­schei­der­ebe­ne selbst ein­re­den”, kom­men­tie­ren Oli­ver Mihm, Chef der auf Finanz­dienst­leis­ter spe­zia­li­sier­ten Unter­neh­mens­be­ra­tung Inves­tors Mar­ke­ting, und einer der Autoren. Das wirk­li­che Ver­trau­en der End­kun­den in Ban­ken wer­de von den Ent­schei­dern gran­di­os über­schätzt. Für die Stu­die “Pri­vat­kun­den­ge­schäft 2020” wur­den 1029 Kun­den und 81 Füh­rungs­kräf­te – von Bereichs­lei­ter bis Vor­stand – befragt.

Sicher: Stu­di­en, gleich wel­cher Art, soll­ten nicht über­be­wer­tet wer­den. Jedoch kom­men der­zeit aus ver­schie­de­nen Rich­tun­gen ähn­li­che Signa­le, so dass wir hier von Evi­denz spre­chen können. 
Mit zu der ver­zerr­ten Sicht der Ban­ken bei­getra­gen, haben die diver­sen Bera­tungs­un­ter­neh­men, die die Ban­ken in der Ver­gan­gen­heit all­zu häu­fig in ihren zen­tra­len Annah­men bestä­tigt und die Bedro­hung durch neue Tech­no­lo­gien, Anbie­ter und gesell­schaft­li­che Ent­wick­lun­gen her­un­ter gespielt haben. Statt­des­sen erklang das alte Lied der Kos­ten­ein­spa­run­gen und Effi­zi­enz. Jetzt auf ein­mal ent­de­cken sie das digi­ta­le Ban­king und es kann nicht mehr schnell genug gehen. Zum Glück ist es noch nicht zu spät (?) – wir sind bei euch … 
Hin und wie­der kann es daher nicht scha­den, sich selbst ein Bild zu machen und die eige­nen Annah­men empi­risch zu unter­su­chen bzw. der Fal­si­fi­ka­ti­on aus­zu­set­zen. Das ist häu­fig schmerz­haft, aber immer noch bes­ser, als sich in fal­scher Sicher­heit zu wiegen. 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert