Von Ralf Keuper

Wer sich mit der Ent­wick­lung im Ban­king der letz­ten Jah­re beschäf­tigt, bekommt schnell den Ein­druck, dass der geo­gra­fi­sche Raum nahe­zu bedeu­tungs­los gewor­den ist. Statt für die Erle­di­gung der eige­nen Bank­ge­schäf­te auf Filia­len und den direk­ten Kon­takt mit den Bank­mit­ar­bei­tern ange­wie­sen zu sein, ist es mit dem Smart­phone und dem Tablet-PC – zumin­dest prin­zi­pi­ell – mög­lich, stand­or­tun­ge­bun­den zu agie­ren. Von jedem Ort aus und zu jeder Zeit kön­nen heu­te Bank­ge­schäf­te erle­digt wer­den. Nur noch weni­ge Geschäfts­vor­fäl­le machen es nötig, eine Filia­le aufzusuchen.

Ent­fer­nun­gen, räum­li­che Distan­zen haben ihren begren­zen­den Cha­rak­ter ver­lo­ren. Die Welt scheint flach gewor­den zu sein.

Für den fran­zö­si­schen His­to­ri­ker Fer­nand Brau­del ist der Kampf mit der Ent­fer­nung das viel­leicht wich­tigs­te Dra­ma in der Menschheitsgeschichte:

Gro­ße geo­gra­fi­sche Revo­lu­tio­nen, dies­mal vom Men­schen bewirkt, haben ent­schei­den­de Etap­pen der Geschich­te mar­kiert: um 2000 v. Chr. die Ein­füh­rung des Pfer­des im Vor­de­ren Ori­ent, des­sen stil­les Glück damit been­det ist; im 3. Jahr­hun­dert unse­rer Zeit die Ein­füh­rung des Kamels von der west­li­chen Saha­ra bis zu den tri­po­li­ta­ni­schen Relais­sta­tio­nen; dann die Ein­füh­rung des “nave”; um 1850 die Ein­füh­rung des dampf­ge­trie­be­nen Eisen­s­team­ers zunächst auf dem Nord­at­lan­tik unter eng­li­scher Flag­ge, der sei­nen Riva­len, den aus Holz gebau­ten Segel­clip­per – damals der bewun­der­te Cham­pi­on -, vom Oze­an ver­drängt. Es dürf­te kaum nötig sein, Ihnen auch noch vom Explo­si­ons­mo­tor und sei­nen ver­schie­de­nen, suk­zes­si­ven Anwen­dun­gen zu erzäh­len: Mit dem Auto, dem Last­wa­gen, dem Ket­ten­fahr­zeug und schließ­lich dem Flug­zeug sind wir in der Gegen­wart ange­langt, deren revo­lu­tio­nä­rer Cha­rak­ter, der immer noch anhält, Ihnen sicher nicht ent­geht. (in: Geschich­te als Schlüs­sel zur Welt. Vor­le­sun­gen in deut­scher Gefan­gen­schaft 1941)

Neu hin­zu gekom­men ist die Infor­ma­ti­ons­re­vo­lu­ti­on. Das Inter­net und die Digi­ta­li­sie­rung mar­kie­ren einen wei­te­ren dra­ma­ti­schen Höhe­punkt im Kampf der Mensch­heit gegen die Entfernung.

Ban­king über Kon­ti­nen­te und Zeit­zo­nen hin­weg ist Stan­dard. Stö­run­gen, man den­ke an die “Flash Crahs”,  kön­nen sich bin­nen Sekun­den­bruch­tei­len ver­brei­ten und die Kapi­tal­märk­te erschüttern.

Hat das Ban­king sei­ne Wur­zeln, sei­nen Bezug zum Raum verloren?

Nicht ganz.

Der Raum, selbst der kleins­te, ist im Ban­king kei­nes­falls zur blo­ßen Neben­be­din­gung her­ab­ge­sun­ken. Wie das Bei­spiel der Flash-Boys zeigt, ist der Raum – para­do­xer­wei­se – gera­de im Hoch­ge­schwin­dig­keits­han­del “das Züng­lein an der Waage”.

Fin­Tech-Start­ups sie­deln sich bevor­zugt an Orten an, die über einen hohen Anteil an “infor­ma­ti­on cen­tric indus­tries” wie Ban­ken, Medi­en, Ver­si­che­run­gen, Wer­bung, Bera­tung und Han­del ver­fü­gen. Inter­na­tio­na­le Finanz- und Han­dels­zen­tren üben eine gro­ße Sog­wir­kung auf Ideen, Talen­te und – selbst­re­dend – Kapi­tal aus. Der Raum, der Stand­ort als das ent­schei­den­de Kri­te­ri­um – noch immer.

Ein ande­res The­ma sind die Ban­ken, die den räum­li­chen Bezug zu ihrem her­vor­ste­chen­den Merk­mal machen: Die Regio­nal­ban­ken. Wel­che Chan­cen hat die­se Raum-Inter­pre­ta­ti­on im Ban­king künf­tig noch?

Ähn­lich ver­hält es sich mit den Filialen.

Wie­viel, wel­che Art von Raum benö­tigt das Ban­king der Zukunft ? (Die Fra­gen der Geo­po­li­tik und der inter­na­tio­na­len Gesetz­ge­bung las­se ich hier außen vor). Dass es ohne ihn auch wei­ter­hin nicht aus­kom­men kann, dürf­te wohl unstrit­tig sein.

In sei­nem Buch Natio­na­le Wett­be­werbs­vor­tei­le hob Micha­el E. Por­ter die Bedeu­tung des hei­mi­schen Umfelds für eine pro­spe­rie­ren­de Volks­wirt­schaft hervor:

Es könn­te den Anschein haben, als mach­te die Glo­ba­li­sie­rung des Wett­be­werbs das Land unwich­ti­ger, doch offen­bar wer­tet sie es noch auf. … Der hei­mi­sche Stütz­punkt ist das Land, in dem die wesent­li­chen Wett­be­werbs­vor­tei­le des Unter­neh­mens geschaf­fen und gewahrt wer­den. .. Der hei­mi­sche Stütz­punkt ist der Ort vie­ler der pro­duk­tivs­ten Arbeits­plät­ze, der Kern­tech­no­lo­gien und der höchs­ten Qua­li­fi­ka­tio­nen. Die Exis­tenz des hei­mi­schen Stütz­punkts in einem Land hat zugleich die größ­ten posi­ti­ven Ein­flüs­se auf ande­re ver­wand­te Bran­chen und führt zu wei­te­ren Vor­tei­len für den Wett­be­werb in der Wirt­schaft eines Lan­des. (ebd.)

Nun ist damit in ers­ter Linie das pro­du­zie­ren­de Gewer­be gemeint. Das Bank­ge­schäft, das eigent­lich “nur” aus rei­ner Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung besteht, scheint – zumin­dest auf den ers­ten Blick – nicht zu dem Raum­be­griff von Por­ter zu pas­sen. Die wach­sen­de Ver­brei­tung und Akzep­tanz der Cloud-Tech­no­lo­gien ver­schärft die­se Kluft zunächst. Die grenz­über­schrei­ten­de Super­bank erscheint bereits für eini­ge Kom­men­ta­to­ren und Akteu­re am Firmament.

Nur – wo bleibt dabei – neben dem Raum – der Mensch, die Gesellschaft?

Der anfangs erwähn­te Fer­nand Brau­del war davon über­zeugt, dass wir eine Geo­his­to­rie brau­chen, da wir ande­ren­falls ver­ges­sen, wie sehr unse­re Exis­tenz von äuße­ren, von Umwelt­fak­to­ren abhängt:

Das Leben einer Gesell­schaft hängt von phy­si­schen und bio­lo­gi­schen Fak­to­ren ab; sie steht mit ihnen in Kon­takt, geht mit ihnen eine Sym­bio­se ein, und sie model­lie­ren, unter­stüt­zen oder behin­dern ihr Leben, also ihre Geschich­te, zwar nicht ihre gesam­te Geschich­te, aber doch einen Teil, für den wir gera­de den Begriff “Geo­his­to­rie” vor­schla­gen. (ebd.)

Ein The­ma für die Umweltbanken.

Alles in allem: Der Raum wird auch im digi­ta­len Zeit­al­ter nicht zur blo­ßen Neben­be­din­gung. Aller­dings wer­den wir unse­re Vor­stel­lun­gen vom Raum den ver­än­der­ten Bedin­gun­gen – Stich­wort Glo­ba­li­sie­rung – anpas­sen – das gilt nicht nur für das Banking.

Der Raum bleibt ein, viel­leicht: das prä­gen­des Element.

Noch ein­mal Braudel:

Die Gesell­schaft pro­ji­ziert sich in den Raum und haf­tet an ihm. .. Die­se Haf­tung als eine For­mung zu begrei­fen und durch Letz­te­re die Gesell­schaft zu erklä­ren, genau das erwar­te ich mir von den alten und neu­en Kräf­ten der Geo­gra­fie. (ebd.)

Wie sehr formt die Geo­gra­fie das Ban­king und wie sehr das Ban­king die Geo­gra­fie? Wel­che Rol­le kann dabei die Loca­ti­on Based Intel­li­gence (Geo­in­for­ma­ti­ons­sys­te­me) übernehmen?

Das ist eine der wich­tigs­ten Fra­gen des Ban­king in der Zukunft – auch und gera­de im Zeit­al­ter der Digitalisierung.

 

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