Das Unternehmen Signicat zählt zu den europäischen Marktführern im Bereich digitaler Identitäten und eSignaturen. Bankstil fragte den Geschäftsführer der deutschen Niederlassung, Anders Ljungqvist (Foto), warum Deutschland in diesen Bereichen noch weit hinterherhinkt und wie er das ändern will.
- Was genau macht Signicat?
Signicat ist ein europaweit tätiges Unternehmen für die innovative Verifizierung digitaler Identitäten und das Erstellen sicherer digitaler Signaturen – beides Voraussetzungen für die rechtskräftige Abwicklung von digitalen Geschäftsvorgängen. Interessant ist das insbesondere für alle Unternehmen, die mit ihren Kunden online Geschäfte abwickeln wollen, Verträge unterzeichnen und diese archivieren wollen – etwa Banken, Finanzdienstleister, Versicherungsgesellschaften, öffentliche Dienstleister.
- Worin unterscheidet sich der deutsche Markt für digitale Identifizierung von anderen Märkten in Europa, insbesondere von den skandinavischen?
In allen skandinavischen Ländern hat jede Bürgerin und jeder Bürger ab 15 Jahren eine nationale elektronische Identität (eID) – 100 Prozent der geschäftsfähigen Bevölkerung sind damit elektronisch erfasst. Die breite Nutzung von eIDs bei privaten und staatlichen Diensten ist in diesen Ländern eine Selbstverständlichkeit: Durchschnittlich werden eIDs dort etwa einmal täglich genutzt!
In Deutschland gibt es öffentliche und privatwirtschaftliche Lösungen, die im Gegensatz dazu noch sehr stark mit der Akzeptanz und Verbreitung zu kämpfen haben. Hier liegt die durchschnittliche Nutzung eher bei einmal pro Monat – obwohl inzwischen mehr als 60 Prozent der neuen deutschen Personalausweise (nPA) die eID-Funktionalität aktiviert haben: Der Ausweis wird nämlich seit Mai 2017 standardmäßig mit einer aktivierten eID-Funktion ausgegeben.
- Lässt sich das skandinavische Modell 1:1 auf Deutschland übertragen?
Sicher nicht! Die Skandinavier sind ungleich technikaffiner. Münzen und Scheine sind dort als Zahlungsmittel praktisch abgeschafft. In Deutschland gibt es eine weit verbreitete Technik-Skepsis – die eIDs einschließt – und das als Grundrecht besonders ausgeprägte „Recht auf informationelle Selbstbestimmung“. Daher gibt es keine vergleichbare Akzeptanz, dass z. B. Banken eIDs verwalten und persönliche Daten herausgeben. Eine einheitliche Regelung über nur eine Institution ist momentan nicht in Sicht: Deutschland hat ein historisch stark föderal aufgebautes System mit Bundesländern und Gebietskörperschaften, die zumeist auf ihre Eigenständigkeit achten. Das zeigt sich dann nicht nur im Wirtschaftsleben, sondern auch in der öffentlichen Verwaltung.
Trotzdem glaube ich, dass speziell die digitale Nutzung des nPA künftig massiv an Bedeutung gewinnen wird. Die Kombination mehrerer eIDs über einen Hub wie denjenigen von Signicat ist deswegen eine gute Alternative.
- Was unterscheidet die digitale Identifizierung von Signicat von den Lösungen anderer Anbieter?
Signicat ist nicht an eine Methode der Identifizierung gebunden. Dank der „Digital Identity Platform“ kann der Kunde wählen, wie er sich identifizieren möchte. In Deutschland geht das z. B. mit ID-Methoden wie nPA, yes, Verimi und mittels VideoIDent. Darüber hinaus kann Signicat mehr als 30 weitere europäische eID-Methoden in die Plattform integrieren Aber auch einer Internationalisierung der Signicat-Kunden steht nichts im Wege. Alle eIDs und Know-Your-Customer (KYC)-Onboarding-Methoden werden über einheitliche Schnittstellen europaweit aggregiert.
- Inzwischen machen sich biometrische Verfahren und Methoden der künstlichen Intelligenz (KI) in der digitalen Identifizierung breit—wie steht Signicat dazu?
Das ist eine perfekte Lösung für wiederkehrende Kunden. Signicat unterstützt dies über sein MobileID-Framework, das bereits mehrere Banken und Finanzinstitute in Skandinavien unterstützt. Der kritische Teil ist nach wie vor die erstmalige Registrierung durch ein rechtskonformes Onboarding, unter Berücksichtigung der KYC-Prozesse. Hierbei haben die Einhaltung der EU-Verordnung und die nationalen Gesetze absolute Priorität.
- Wo liegt derzeit das größte Potenzial in der digitalen Identifizierung – und welchen Einfluss hat die aktuelle Corona-Pandemie darauf?
Alle durch die BaFin regulierten Unternehmen wie Banken und Versicherungen haben die Notwendigkeit seit Längerem erkannt. Aber nicht nur diese Unternehmen rüsten beim Thema Digitalisierung nach. Corona sorgt bei der digitalen Identifizierung für starken Rückenwind.
Verschiedene Umfragen bestätigen den Bedarf an kompletten digitalen Prozessen, insbesondere bei der jüngeren Zielgruppe. Immer mehr Bankfilialen werden geschlossen, deren Dienstleistungen durch benutzerfreundliche digitale Abläufe ersetzt werden müssen. Der wachsende Bedarf an „sicheren Geschäftsprozessen“ und das Verhindern jeglicher Betrugs-Szenarien eröffnen ein enormes Potential für Identifizierungslösungen. Aber auch rechtskräftige elektronische Signaturen spielen in Zeiten von Corona eine immer wichtigere Rolle.
- Ist das Marktpotenzial der digitalen Identifizierungslösungen auf Dauer ausreichend für Signicat und andere Anbieter – oder werden noch weitere Services dazu kommen?
Der Markt für digitale Signaturen hat eine Wachstumsrate von mehr als 35, bei eIDs sogar von über 40 Prozent. Diese Wachstumsraten werden noch mindestens in den nächsten fünf bis zehn Jahren anhalten. Das gesamte Thema Digitalisierung hat in Deutschland noch mächtig Potential. Insbesondere der Bereich E‑Government kann noch deutlich aufholen, wie auch der im Auftrag der EU-Kommission erstellte eGovernment Benchmark 2020 aufzeigt.
Darüber hinaus erhöhen neue Vorschriften zum Geldwäschegesetz und viele weitere Vorschriften die Nachfrage. Zusätzlich erweitert Signicat die Dienste um Register-Abfragen, die B2C- und B2B-Dienste absichern. Indem Signicat den Zugang zu PSD2-Gateways hinzufügt, erhalten die Zahlungsanbieter eine Option für One-Stop-Shopping. Es gibt noch viel zu tun…
- Wie steht Signicat zu Kooperationen – gibt es welche?
Kooperationen sind unser Geschäftsmodell! Als Aggregator und Broker von elektronischen Identitäten in ganz Europa ist Signicat auf Partner und Kooperationen angewiesen. Signicat kooperiert in Deutschland beispielsweise mit den Unternehmen yes, Verimi, WebID und mit der Bundesdruckerei zum Lesen des Personalausweises. In anderen Ländern bestehen bereits bewährte Kooperationen mit vielen weiteren eID-Anbietern. Signicat kooperiert mit den Auskunfts-Registern Schufa, Infoscore, Bisnode, D&B, Experian usw., mit Trusted Service Providern wie Swisscom, Namirial und GlobalSign und mit Independent Software Vendor (ISV), mit Systemintegratoren (SI) und mit Beratern wie KPMG, Deloitte, Capco, Arkwright.
- Was halten Sie von der Idee der EU-Kommission, jeden Bürger mit einer EU-ID auszustatten?
Die Idee finde ich prinzipiell gut, die Frage ist: Wie lässt sie sich am besten umsetzen? Ich glaube, dass ein nationaler Ausweis gemäß den bereits verbindlichen EU-/eIDAS-Standards sinnvoll ist, der einem Bürger des jeweiligen Landes ähnlich wie ein Reisepass ausgehändigt wird. Grenzüberschreitende Dienste – wie die von Signicat – sollten dann in der Lage sein, die Bürger auch in anderen Ländern zu verifizieren.
Das Schema für eine einheitliche „EU-Identität“ müsste allerdings wirklich gut ausgearbeitet werden, um die Identität einer Person in Land A mit der Identität derselben Person in Land B zu verbinden. Dies betrifft nur „offizielle nationale Identitäten“. Darüber hinaus sind Anreize notwendig, um eIDs in anderen Ländern überhaupt einzuführen. Das muss nicht zwangsläufig durch Regierungen erfolgen, aber sie sollten beteiligt sein: Alle bislang erfolgreichen nationalen Einführungen sind Kooperationen zwischen Banken und Regierung.
- Was meinen Sie, wie könnte der Markt für die digitale Identifizierung in fünf Jahren aussehen und wo kommt Signicat darin vor?
Wir gehen davon aus, dass es künftig strengere Vorschriften geben wird, die eine stärkere Konzentration auf eIDs erfordern. In diesem Zuge wird es zu einer Konsolidierung von Dienstleistungen, Unternehmen und Service Providern kommen.
eIDs und digitale Signaturen werden eine Schlüsselfunktion bei der allgemeinen Digitalisierung haben. Das betrifft Dienstleistungen sowie alle Interaktionen im B2C und B2B-Business. Das größte Wachstum im Bereich eIDs erwarten wir allerdings in den nächsten Jahren im Bereich öffentlicher Dienst und im B2B-Markt. Unser Ziel ist es, einer der führenden Anbieter in diesem Markt zu werden.
Zuerst erschienen auf Identity Economy