Von Ralf Keuper

Grup­pen, die gemein­sa­me Vor­stel­lun­gen tei­len, ten­die­ren dazu, stö­ren­de oder irri­tie­ren­de Infor­ma­tio­nen, die sie zu einer Über­prü­fung der eige­nen Annah­men zwin­gen wür­den, zu igno­rie­ren oder zu baga­tel­li­sie­ren. In der Fach­spra­che exis­tie­ren meh­re­re Begrif­fe, die ver­su­chen die­ses Phä­no­men zu beschrei­ben, wie Groupt­hink, Denk­kol­lek­tiv oder Framing. Letz­te­rer Begriff ist für die vor­lie­gen­de Ana­ly­se beson­ders geeig­net. Framing wird hier ver­stan­den als kogni­ti­ve Struk­tu­ren, Inter­pre­ta­ti­ons- und Deu­tungs­mus­ter zur Infor­ma­ti­ons­ver­ar­bei­tung[1]Framing im hier ver­stan­de­nen Sin­ne behan­delt Lud­wig Witt­gen­stein in sei­nem Text Welt­be­schrei­bung

In Die Wire­card-Links zu Deut­sche Bank und Com­merz­bank stellt Heinz-Roger Dohms fest:

Dass kaum einer der Pay­ment- und Fin­tech-Jün­ger da drau­ßen die vie­len Ver­dachts­mo­men­te gegen das eige­ne Aus­hän­ge­schild wirk­lich Ernst genom­men hat – das ist kein gutes Zei­chen. Sor­ry, Jungs.

Das bered­te Schwei­gen der ver­sam­mel­ten Fin­tech- und Pay­ment-Com­mu­ni­ty zur Cau­sa Wire­card sei schon irgend­wie ver­stö­rend, so Dohms.

In der Tat: Die hie­si­ge Fin­tech-Com­mu­ni­ty hat in der Ver­gan­gen­heit Wire­card häu­fig und mit Vor­lie­be als das Para­de­bei­spiel für die Zei­ten­wen­de im Ban­king her­an­ge­zo­gen. Die ansons­ten in den sozia­len Netz­wer­ken, Bei­trä­gen und Pod­casts so red­se­li­gen und mit­tei­lungs­freu­di­gen Ver­tre­ter und Ver­tre­te­rin­nen der Fin­tech-Com­mu­ni­ty sind im Fall Wire­card erstaun­lich wort­karg. Von kri­ti­scher Selbst­re­fle­xi­on, deren Feh­len man ansons­ten ger­ne den Ban­ken attes­tiert, kei­ne Spur. Statt­des­sen Denk- und Dis­kurs­ver­wei­ge­rung[2]Digi­ta­le Evan­ge­lis­ten, Apo­ka­lyp­ti­ker, Dis­kurs­su­cher, ‑ver­wei­ge­rer und Münch­hau­sens Tri­lem­ma, die man auch als demons­tra­ti­ve Gleich­gül­tig­keit bezeich­nen könn­te. Nach dem Mot­to: So what?

Was aber sind die Grund­an­nah­men, die gemein­sa­men Vor­stel­lun­gen bzw. Glau­bens­sät­ze, die für die­ses Framing ver­ant­wort­lich sind. Da wären z.B.:

  • Soft­ware is eating the world
  • Cus­to­mer Jour­ney über­la­gert alles andere
  • Kun­den­zen­trie­rung
  • Fin­tech-Start­ups sind dyna­misch und innovativ
  • Ban­ken müs­sen sich in Tech­no­lo­gie- und Soft­ware­un­ter­neh­men verwandeln

Die­se Fak­to­ren bestim­men die Sicht auf die Din­ge. So lan­ge ein Fin­tech-Start­up eines oder meh­re­re die­ser Kri­te­ri­en erfüllt bzw. man die­ser Ansicht ist, besteht kein Grund, näher auf abwei­chen­de Beob­ach­tun­gen ein­zu­ge­hen. Dazu zäh­len dann auch Mel­dun­gen über schlech­te Arbeits­be­din­gun­gen bei Fin­tech-Start­ups oder nega­ti­ve Kun­den[3]Kun­den­ser­vice von Fidor und N26 wei­ter in der Kri­tik- und Arbeit­ge­ber­be­wer­tun­gen[4]Hoher Ver­schleiß an (Führungs-)Personal bei Revo­lut. Erstaun­lich dar­an ist, dass selbst die Kri­tik der­je­ni­gen, die eigent­lich von Fin­tech pro­fi­tie­ren soll­ten, die Mit­ar­bei­ter und die Kun­den, auf ein­mal nur neben­säch­lich sind – jeden­falls hält man es nicht für nötig, sich inten­si­ver mit die­sem Pro­blem zu beschäf­ti­gen und es zu the­ma­ti­sie­ren. Solan­ge die Rich­tung und die Sto­ry stim­men, besteht dafür in den selbst­re­fe­ren­ti­el­len Fin­tech-Zir­keln anschei­nend kein Anlass.

Schon nach weni­gen Jah­ren zeigt uns Fin­tech, dass es mit der Zei­ten­wen­de nicht all­zu weit her ist[5]Fin­tech als Trei­ber des tech­no­lo­gi­schen und gesell­schaft­li­chen Wan­dels – eine eher ernüch­tern­de Zwi­schen­bi­lanz.