Von Ralf Keuper

Wäh­rend sich die Anzei­chen fast täg­lich ver­dich­ten, dass die Ban­ken­welt in weni­gen Jah­ren ihr Gesicht gra­vie­rend ver­än­dert haben wird, erschei­nen noch immer Kom­men­ta­re, die sich gedank­lich vor­nehm­lich in der Welt von Ges­tern bewegen.

Exem­pla­risch dafür ist Busi­ness Models Are­n’t Sacrosanct—But Rela­ti­onships Are von Dave Martin.

Zwar räumt der Autor dar­in ein, dass es rei­nes Wunsch­den­ken wäre, wonach die Ban­ken von den durch die Digi­ta­li­sie­rung aus­ge­lös­ten Umbrü­chen, wie in der Medi­en­bran­che, ver­schont blei­ben wür­den. Den­noch ist er der Über­zeu­gung, dass der per­sön­li­che Kon­takt, die Bezie­hung der Bank zu ihrem Kun­den, auch wei­ter­hin von aus­schlag­ge­ben­der Bedeu­tung für das Ban­king blei­ben wird.

Im wei­te­ren Ver­lauf neh­men die Wider­sprü­che in der Argu­men­ta­ti­on indes zu. Zwar wird die Bedeu­tung tech­no­lo­gi­scher Inno­va­tio­nen für das Ban­king her­vor­ge­ho­ben, aller­dings nur inso­weit, als sie die gute alte Zeit in ein neu­es, digi­ta­les Kleid zu ste­cken ver­mö­gen. Neu­er Wein in alte Schläu­che. Kei­ne Rede von den neu­es­ten Ent­wick­lun­gen im Bereich Mobi­le Pay­ments, kei­ne Erwäh­nung der Bedro­hung durch die gro­ßen Inter­net­kon­zer­ne, ganz zu schwei­gen von den zahl­rei­chen FinTech-Startups.

Hier wird Tech­no­lo­gie noch immer ledig­lich als Mit­tel ver­stan­den, mit dem sich das bestehen­de Geschäft, die ver­trau­ten Abläu­fe und Denk­wei­sen – bruch­los – fort­set­zen las­sen. Ein gefähr­li­cher Irrglaube.

Damit ist nicht gesagt, dass die per­sön­li­che Kom­po­nen­te im Ban­king aus­ge­dient habe. Inso­fern ist es gut, dass es auch ande­re Stim­men gibt, wie die von Colin Weir in Digi­tal first ban­king is back­wards.

Jedoch soll­te man schon Kennt­nis von den Ver­än­de­run­gen neh­men, die sich der­zeit in Form der Digi­ta­li­sie­rung Gel­tung ver­schaf­fen. Kei­nes­wegs wird die­se Ent­wick­lung alle Zeit­schich­ten (Koselleck) des Ban­king in glei­cher Wei­se betref­fen. Aber wohl mehr, als vie­le der­zeit noch anzu­neh­men scheinen.

Wohl unter Anspie­lung auf Ste­fan Zweigs lesens­wer­te auto­bio­gra­fi­sche Schrift Die Welt von Ges­tern, die ich in der Über­schrift neben dem bekann­ten, sehens­wer­ten Film “Und täg­lich grüßt das Mur­mel­tier” eben­falls im Sinn habe, schrieb Egon Frie­dell in sei­nem Klas­si­ker Kul­tur­ge­schich­te der Neu­zeit eini­ge Zei­len dar­über, war­um die Welt schon immer von ges­tern ist:

Wer macht die Rea­li­tät? Der “Wirk­lich­keits­mensch”? Die­ser läuft ihr hin­ter­her. Gewiss schafft auch der Geni­us nicht aus dem Nichts, aber er ent­deckt eine neue Wirk­lich­keit, die vor ihm nie­mand sah, die also gewis­ser­ma­ßen vor ihm noch nicht da war. Die vor­han­de­ne Wirk­lich­keit, mit der der Rea­list rech­net, befin­det sich immer schon in Ago­nie. Bis­marck ver­wan­delt das Ant­litz Mit­tel­eu­ro­pas durch Divin­a­ti­on, Rönt­gen­blick, Kon­jekt­ur: durch Phan­ta­sie. Phan­ta­sie brau­chen und gebrau­chen Cäsar und Napo­le­on sogut wie Dan­te und Shake­speare. Die ande­ren: die Prak­ti­schen, Posi­ti­ven, dem “Tat­be­stand” Zuge­wand­ten leben und wir­ken, näher betrach­tet, gar nicht in der Rea­li­tät. Sie bewe­gen sich in der Welt, die nicht mehr wahr ist. Sie befin­den sich in einer ähn­lich selt­sa­men Lage wie etwa die Bewoh­ner eines Sterns, der so weit von sei­ner Son­ne ent­fernt wäre, dass deren Licht erst in ein oder zwei Tagen zu ihm gelang­te: die Tages­be­leuch­tung, die die­se Geschöp­fe erblick­ten, wäre sozu­sa­gen >nach­da­tiert<. In einer sol­chen fal­schen Beleuch­tung, für die aber der Augen­schein spricht, sehen die meis­ten Men­schen den Tag. Was sie Gegen­wart nen­nen, ist eine opti­sche Täu­schung, her­vor­ge­ru­fen durch die Unzu­läng­lich­keit ihrer Sin­ne, die Lang­sam­keit ihrer App­er­zep­ti­on. Die Welt ist immer nur von ges­tern (ebd.)

So gese­hen leben vie­le Ban­ken und Bran­chen­be­ob­ach­ter noch zu sehr in der Rea­li­tät und Gegenwart.

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