Von Ralf Keuper

Wer in einer bestimm­ten Epo­che auf­wächst, über­nimmt dabei zwangs­läu­fig vie­le tra­dier­te Sicht- und Ver­hal­tens­wei­sen. Zu dem über­lie­fer­ten Bestand an Regeln, Kon­ven­tio­nen und Tra­di­tio­nen, ohne die eine (moder­ne) Gesell­schaft nicht funk­tio­nie­ren wür­de, gehö­ren auch die Insti­tu­tio­nen. Zu den lang­le­bigs­ten Insti­tu­tio­nen zäh­len in unse­rem Kul­tur­kreis  inzwi­schen die Ban­ken. Das ver­stärkt den Ein­druck, dass es sich hier­bei um beson­de­re Gebil­de han­delt, die nicht den­sel­ben Bedin­gun­gen zu unter­lie­gen schei­nen wie “gewöhn­li­che” Wirt­schafts­un­ter­neh­men oder Bran­chen. Die Zeit scheint ihnen nichts anha­ben zu kön­nen. Ein Trug­schluss, wie Peter L. Ber­ger und Tho­mas Luck­mann in ihren Klas­si­ker Die gesell­schaft­li­che Kon­struk­ti­on der Wirk­lich­keit fest­stell­ten. (Hin­weis: Ber­ger und Luck­mann bezie­hen sich an kei­ner Stel­le auf Ban­ken, son­dern betrach­ten Insti­tu­tio­nen als solche)

Insti­tu­tio­na­li­sie­rung ist jedoch kein unwi­der­ruf­li­cher Pro­zess, obwohl Insti­tu­tio­nen, sind sie erst ein­mal ent­stan­den, eine Nei­gung zur Dau­er­haf­tig­keit zei­gen. Aus einer Viel­zahl his­to­ri­scher Grün­de kann der Spiel­raum für insti­tu­tio­na­li­sier­te Tätig­kei­ten auch klei­ner wer­den. Ent­in­sti­tu­tio­na­li­sie­rung gewis­ser Berei­che des gesell­schaft­li­chen Lebens kann um sich grei­fen. (ebd.)

Um in der öffent­li­chen Wahr­neh­mung erst gar kei­ne Brü­che ent­ste­hen zu las­sen, die dazu füh­ren könn­ten, dass die Gesell­schaft den Sinn und Zweck der Insti­tu­ti­on infra­ge stellt , muss die Legi­ti­ma­ti­on regel­mä­ßig, ja stän­dig erneu­ert wer­den, da ande­ren­falls die her­an­wach­sen­de Gene­ra­ti­on abfal­len würde:

Das Pro­blem der Legi­ti­ma­ti­on ent­steht unwei­ger­lich erst dann, wenn die Ver­ge­gen­ständ­li­chung einer insti­tu­tio­na­len Ord­nung einer neu­en Gene­ra­ti­on ver­mit­telt wer­den muss. Zu die­sem Zeit­punkt kann .. der Gewiss­heits­cha­rak­ter der Insti­tu­tio­nen nicht län­ger mehr mit­tels Erin­ne­rung und Habi­tua­li­sie­rung auf­recht­erhal­ten wer­den. .. Um sie wie­der­her­zu­stel­len .. muss man zu Erklä­run­gen und Recht­fer­ti­gun­gen in den Augen sprin­gen­der Ele­men­te der insti­tu­tio­nel­len Über­lie­fe­rung über­ge­hen. Legi­ti­mie­rung ist der Pro­zess die­ses Erklä­rens und Recht­fer­ti­gens. (ebd.)

Seit Aus­bruch der Finanz­kri­se sind die Ban­ken eif­rig bemüht, ihre Funk­ti­on als Finanz­in­ter­me­diä­re in der Wirt­schaft im öffent­li­chen Bewusst­sein zu ver­an­kern und ver­lo­ren gegan­ge­nes Ver­trau­en zurück­zu­ge­win­nen. Neu hin­zu­ge­kom­men in die Dis­kus­si­on, in den Pro­zess der gesell­schaft­li­chen Kon­struk­ti­on der Wirk­lich­keit, ist der Begriff der Systemrelevanz.

Das alles kann jedoch nicht ver­de­cken, dass die alte gesell­schaft­li­che Kon­struk­ti­on des­sen, was als Bank gilt, an Bin­de­kraft ver­liert. Die sym­bo­li­sche Sinn­welt, für die die Ban­ken ste­hen, ist pro­ble­ma­tisch geworden:

Jede sym­bo­li­sche Sinn­welt ist poten­ti­ell pro­ble­ma­tisch. Die Fra­ge ist also, bis zu wel­chem Gra­de sie pro­ble­ma­tisch gewor­den ist.

Mitt­ler­wei­le haben wir hier einen hohen Grad erreicht.

Das alles stellt aber an sich noch kei­ne ernst­haf­te Bedro­hung einer fest eta­blier­ten Insti­tu­ti­on, wie einer Bank dar. Finanz­kri­sen, selbst Krie­ge haben den Ban­ken bis heu­te nicht viel anha­ben kön­nen. Auch eine Ver­trau­ens­kri­se, und sei sie noch so schwer­wie­gend, ist noch kei­ne exis­tenz­be­dro­hen­de Gefahr.

Bri­sant wird es erst dann, wenn Alter­na­ti­ven zur Ver­fü­gung ste­hen, deren sym­bo­li­sche Sinn­welt, deren Funk­ti­on bes­ser zur Gesell­schaft passen:

Das Auf­tau­chen einer alter­na­ti­ven sym­bo­li­schen Sinn­welt ist eine Gefahr, weil ihr blo­ßes Vor­han­den­sein empi­risch demons­triert, dass die eige­ne Sinn­welt nicht wirk­lich zwin­gend ist.

Denn:

Weil Sinn­wel­ten his­to­ri­sche Pro­duk­te der Akti­vi­tät von Men­schen sind, ver­än­dern sie sich.

Die Zahl der Alter­na­ti­ven ist durch die vie­len Fin­Tech-Start­ups und die neu­en Her­aus­for­de­rer, wie die gro­ßen Inter­net­kon­zer­ne, in den letz­ten Jah­ren sprung­haft ange­stie­gen. Die neue Gene­ra­ti­on wächst in einer Welt von alter­na­ti­ven Ange­bo­ten und sym­bo­li­schen Sinn­wel­ten auf. Die Tra­di­ti­on wird brü­chig, das Mono­pol der Ban­ken auf nahe­zu alle Geschäf­te die mit der Trans­ak­ti­on von Geld zu tun haben, ist in Auf­lö­sung begrif­fen. Der sozia­le Wan­del wirkt destabilisierend:

Mono­pol­si­tua­tio­nen .. set­zen einen hohen Grad von Sta­bi­li­tät der Gesell­schafts­struk­tur vor­aus und wir­ken selbst struk­tur­sta­bi­li­sie­rend. Tra­di­tio­nel­le Wirk­lich­keits­be­stim­mun­gen behin­dern sozia­len Wan­del. Umge­kehrt beschleu­nigt der Zusam­men­bruch des Gewiss­heits­cha­rak­ters eines Mono­pols sozia­len Wandel.

Kein Mono­pol, kei­ne Insti­tu­ti­on kann ihre Rol­le behaup­ten, wenn sich in der Gesell­schaft der Ein­druck ver­fes­tigt, dass sie dem sozia­len Wan­del, dem Stil­wan­del im Weg steht. Das gilt natür­lich auch für Banken.

Eine “Digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on”, so wich­tig und rich­tig sie ist, reicht hier keineswegs.

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