Von Ralf Keuper

Als Her­aus­ge­ber von For­tu­ne und Har­vard Busi­ness Publi­shing hat Wal­ter Kie­chel die Ent­wick­lung der Stra­te­gie­be­ra­tungs­bran­che über Jahr­zehn­te beglei­tet. Wie nur weni­ge hat er dabei durch per­sön­li­che Kon­tak­te mit den Prot­ago­nis­ten der ver­gleichs­wei­se jun­gen Bran­che tie­fe Ein­bli­cke gewon­nen, die er in sei­nem Buch The Lords of Stra­tegy einem brei­ten Publi­kum zugäng­lich macht.

Zu Beginn der 60er und im Ver­lauf der 70er Jah­re des ver­gan­ge­nen Jahr­hun­derts setz­te laut Kie­chel ein Para­dig­men­wech­sel ein, der Fra­gen der Stra­te­gie, die bis dahin fast nur im mili­tä­ri­schen Umfeld behan­delt wur­den, in die Geschäfts­welt ein­führ­te. Für Kie­chel eine Revolution.

Vor der Stra­te­gie-Revo­lu­ti­on ver­such­te sich jedes Unter­neh­men selbst ein Bild von sich und, wenn über­haupt, von der Umwelt zu machen, ohne jedoch dabei sys­te­ma­tisch vorzugehen.

Haupt­merk­mal der Stra­te­gie­re­vo­lu­ti­on ist für Kie­chel der sog. >Grea­ter Taylorism<.

“Vater” der Stra­te­gie­be­ra­tung in der Welt der Wirt­schaft ist für Kie­chel Bruce Hen­der­son, legen­dä­rer Grün­der der Unter­neh­mens­be­ra­tung Bos­ton Con­sul­ting Group. Ähn­lich wie sein Gegen­part bei McK­in­sey, Mar­vin Bower, hielt Hen­der­son mit sei­ner Mei­nung nicht hin­term Berg – selbst wenn dies unan­ge­neh­me Kon­se­quen­zen hatte.

Dass die Stra­te­gie­be­ra­tung als intel­lek­tu­el­le Dis­zi­plin Fuss fas­sen konn­te, führt Kie­chel u.a. auf die Ver­öf­fent­li­chung der Per­spec­ti­ves zurück, in denen Hen­der­son sei­ne (unkon­ven­tio­nel­len) Ansich­ten zum Busi­ness zum Bes­ten gab.

Das ers­te Bera­tungs­pro­dukt mit durch­schla­gen­dem Erfolg war die von Hen­der­son ent­wi­ckel­te Lern­kur­ve für Produktionsbetriebe.

Spä­ter kam mit der Growth-Share Matrix ein wei­te­rer Ver­kaufs­schla­ger hinzu.

Inso­fern ist es nicht über­trie­ben, in Bruce Hen­der­son und BCG die eigent­li­chen Begrün­der der moder­nen Stra­te­gie­be­ra­tung zu sehen.

Hen­der­son war bestrebt, für sei­ne Unter­neh­mens­be­ra­tung die bes­ten Absol­ven­ten der füh­ren­den Uni­ver­si­tä­ten im Land zu gewin­nen – allen vor­an Har­vard. Beruf­li­che Erfah­rung war für ihn kein ent­schei­den­des Kri­te­ri­um, ja sogar von Nach­teil. Die Mit­ar­bei­ter soll­ten vor allem über her­aus­ra­gen­de ana­ly­ti­sche Fähig­kei­ten ver­fü­gen; ein Kri­te­ri­um, das auch heu­te noch bei BCG u.a. hoch im Kurs steht.

Sei­ne wohl fol­gen­schwers­te Per­so­nal­ent­schei­dung war die Ein­stel­lung von Bill Bain, der spä­ter Bain & Com­pa­ny grün­den sollte.

Im Gegen­satz zu sei­nem Men­tor Bruce Hen­der­son und des­sen BCG, war Bill Bain um mög­lichst lang­fris­ti­ge Geschäfts­be­zie­hun­gen zu sei­nen Kun­den bemüht. Wei­ter­hin galt bei ihm die Devi­se, nur einen Kun­den pro Bran­che zu bera­ten; den dafür aber um so inten­si­ver. Um es nicht nur bei der rei­nen Bera­tung zu belas­sen, waren die Mit­ar­bei­ter von Bain selbst als Mana­ger beim Kun­den aktiv. Fort­an gal­ten die Bai­nes als Exper­ten für die Stra­te­gie­im­ple­men­tie­rung. Spä­ter ging Bain sogar dazu über, sich selbst an Unter­neh­men zu betei­li­gen. Hier­für grün­de­te er eigens Bain Capi­tal, deren pro­mi­nen­tes­ter Mit­ar­bei­ter der Prä­si­dent­schafts­kan­di­tat Mitt Rom­ney sein dürfte.

Ver­gleichs­wei­se spät betrat die bis heu­te bekann­tes­te Unter­neh­mens­be­ra­tung der Welt, McK­in­sey, die Büh­ne der Stra­te­gie­be­ra­tung. Trei­ben­de Kraft neben dem bereits erwähn­ten Mar­vin Bower war hier Fre­de­rick Gluck. Gluck erkann­te schon früh die Bedeu­tung des Know­ledge Manage­ments. Auf sei­ne Initia­ti­ve hin wur­den die Mit­ar­bei­ter von McK­in­sey in inter­nen Semi­na­ren in Fra­gen der Stra­te­gie geschult. Als Ant­wort auf die growth-share Matrix von BCG ent­warf McK­in­sey die 9‑box matrix.

Gluck ist es zu ver­dan­ken, dass McK­in­sey spä­tes­tens seit den 80er Jah­ren als “die” Stra­te­gie­be­ra­tung gilt.

Eben­falls in den 70er Jah­ren begann ein wei­te­rer Stern am Him­mel der Stra­te­gie zu leuch­ten, und zwar der von Micha­el E. Por­ter. Ihm vor allem ist es laut Kie­chel zu dan­ken, dass die Stra­te­gie sich auch als wis­sen­schaft­li­che Dis­zi­plin eta­blie­ren konn­te. Gegen zum Teil erheb­li­che, inter­ne Wider­stän­de gelang es Por­ter, die Stra­te­gie fest in die Lehr­plä­ne zu integrieren.

Geschult an der Indus­trie­ge­schich­te, ging Por­ter der Fra­ge nach den Gemein­sam­kei­ten inner­halb der ver­schie­de­nen Bran­chen nach und kaum zu dem Schluss, dass es allen Unter­schie­den zum Trotz, Bestim­mungs­fak­to­ren für die Bran­chen gibt, denen alle Unter­neh­men aus­ge­setzt sind. Ein Ergeb­nis war das five forces frame­work bzw. die Bran­chen­struk­tur­ana­ly­se.

Der Durch­bruch gelang Por­ter dann mit der Defi­ni­ti­on der Wert­ket­te und der Ver­öf­fent­li­chung sei­nes Buches Com­pe­ti­ti­ve Stra­teg­ty. Seit­dem wird Por­ter auch der Posi­tio­nie­rungs­schu­le zugerechnet.

Es gehört wohl nur wenig Über­trei­bung dazu, Por­ters Theo­rien für die ein­fluss­reichs­ten im Bereich der Stra­te­gie der letz­ten Jahr­zehn­te zu erklä­ren. Nicht ganz zu Unrecht fragt Kie­chel, wes­halb Por­ter noch nicht der Nobel­preis für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten zuge­spro­chen wur­de. Schaut man sich die Lis­te derer an, die ihn bekom­men haben und die Ergeb­nis­se, die ihre Theo­rien in der Pra­xis erzielt haben, wäre Por­ter wahr­lich kein schlech­ter Preisträger.

Bereits Anfang der 80er Jah­re mach­ten sich Zwei­fel breit, ob die Stra­te­gie allei­ne für den dau­er­haf­ten Erfolg eines Unter­neh­mens wirk­lich so ent­schei­dend ist. Aus­ge­rech­net zwei Mit­ar­bei­ter von McK­in­sey, Tom Peters und Robert Water­man, führ­ten die Rie­ge der Zweif­ler an, zunächst jedoch “under­co­ver”.

Von McK­in­sey mit einem Pro­jekt beauf­tragt, die Quel­len des Erfol­ges der Markt­füh­rer aus­fin­dig zu machen, ent­deck­ten Peters und Water­man meh­re­re Fak­to­ren, die in einem Unter­neh­men zu her­aus­ra­gen­den Ergeb­nis­se füh­ren – auch als 7S – Modell und durch das Buch Auf der Suche nach Spit­zen­leis­tun­gen bekannt geworden.

Nicht unbe­dingt zur Freu­de des Auf­trag­ge­bers, McK­in­sey, war die Stra­te­gie nur ein Fak­tor von sie­ben. Das wie­der­um trug nicht unwe­sent­lich dazu bei, dass Peters und Water­man kei­ne lan­ge Ver­weil­dau­er in der Fir­ma beschie­den war. Für Peters und Water­man bil­de­ten die Erfolgs­fak­to­ren eines Unter­neh­mens ein Sys­tem, in dem alle Tei­le gleich­be­rech­tigt sind. Eine Ansicht, die seit­dem wei­te Ver­brei­tung gefun­den hat, wenn­gleich die Erfolgs­fak­to­ren­for­schung heu­te deut­lich kri­ti­scher gese­hen wird als damals.

Waren Peters und Water­man wenigs­tens noch von ihrer Her­kunft her Stra­te­gie­be­ra­ter, begann in den 90er Jah­ren das Zeit­al­ter der Gurus, die sich auf bestimm­te Aspek­te eines Unter­neh­mens kon­zen­trier­ten. Allen vor­an Pra­ha­lad und Hamel mit ihrem Kon­zept der Kern­kom­pe­ten­zen. Eine ähn­li­che Wir­kung wie Pra­ha­lad und Hamel erziel­ten Ham­mer und Cham­py mit ihrem Busi­ness Pro­cess Reen­gi­nee­ring. Damit rich­te­te sich der Blick nach innen.

Aus sei­nen Bemer­kun­gen geht her­vor, dass Kie­chel die­se Ent­wick­lung für einen Rück­schritt, einen Bruch hält. Seit den 90er Jah­ren hat sich kein Stra­te­gie­an­satz mehr eta­blie­ren kön­nen, der eine ähn­li­che Wir­kung erzielt hät­te, wie die Lern­kur­ve von Hen­der­son oder Por­ters Wertkette.

Der welt­weit lukra­tivs­te Markt für die Stra­te­gie­be­ra­tun­gen ist übri­gens Deutsch­land. Deutsch­land ver­dankt die Stra­te­gie­be­ra­tung eini­ge der wich­tigs­ten Impul­se. Über­haupt fiel das stra­te­gi­sche Den­ken in Deutsch­land auf frucht­ba­ren Boden.

An der Finanz­kri­se von bzw. seit 2008 wird für Kie­chel ein schlei­chen­der Bedeu­tungs­ver­lust der Stra­te­gie­be­ra­tun­gen deut­lich. Waren die Ban­ken bis Anfang des ers­ten Jahr­zehnts die­ses Jahr­hun­derts noch die treu­es­ten Kun­den, setz­te mit der neu­en Gene­ra­ti­on von Bank­ma­na­gern wie Jamie Dimon ein Wan­del ein. Fort­an wur­den die Enga­ge­ments der Stra­te­gie­be­ra­tun­gen deut­lich zurück­ge­fah­ren. Statt­des­sen über­nah­men die sog. Quants die Regie. Ein Pro­fil, das BCG, McK­in­sey & Co. so nicht im Ange­bot hatten.

Die größ­te Her­aus­for­de­rung für die Stra­te­gie­be­ra­tun­gen in der Zukunft lie­gen für Kie­chel in der Fra­ge, wie sich Stra­te­gie und die Men­schen mit­ein­an­der ver­bin­den las­sen. Ein Pro­blem, das bis­her kei­ne Stra­te­gie­be­ra­tung hat lösen kön­nen, viel­leicht auch nicht wol­len. Zu unüber­sicht­lich scheint die Welt der Wirt­schaft gewor­den zu sein, um Stan­dard­ant­wor­ten oder auch nur Rah­men­wer­ke lie­fern zu kön­nen, die Ori­en­tie­rung geben. Kie­chel ver­misst auch bei Micha­el Por­ter eine schlüs­si­ge Ant­wort. Der hat jedoch mit dem Kon­zept des Shared Value m.E. einen ers­ten wich­ti­gen Schritt getan.

Kie­chel räumt ein, dass die Share­hol­der-Ori­en­tie­rungt zu kurz greift und ande­re Ansät­ze, wie, ohne es beim Namen zu nen­nen, das Inte­gra­ted Report­ing, nötig sind. Jeden­falls reicht die her­kömm­li­che Pro­fit­ori­en­tie­rung, die sich noch immer an den Satz von Mil­ton Fried­man ori­en­tiert “Die sozia­le Ver­ant­wor­tung eines Unter­neh­mens besteht dar­in, Pro­fit zu erwirt­schaf­ten” nicht mehr aus bzw. erweist sich zuneh­mend als kon­tra­pro­duk­tiv.

Trotz aller berech­tig­ten Kri­tik hat die Beschäf­ti­gung mit Fra­gen der Stra­te­gie für Kie­chel wei­ter­hin Zukunft, nicht zuletzt im Sin­ne stra­te­gi­scher Früh­auf­klä­rung, wie sie Andy S. Gro­ve vor Jah­ren in sei­nem Buch Nur die Para­no­iden über­le­ben beschrei­ben hat. Über­haupt dür­fen die Ver­diens­te der Stra­te­gie­be­ra­tung nicht über­se­hen werden.

Auch wer sich nicht pri­mär für Stra­te­gie oder Stra­te­gie­be­ra­tun­gen inter­es­siert, oder dem The­ma kri­tisch bis ableh­nend gegen­über­steht, kann aus dem Buch sehr viel über den Ver­lauf der Wirt­schaft der letz­ten Jahr­zehn­te ler­nen und wich­ti­ge Anre­gun­gen ent­neh­men, was sich dar­aus für die Gegen­wart und Zukunft ler­nen lässt.

Zuerst erschie­nen auf Econ­lit­te­ra