Die Bewer­tun­gen von Fin­tech-Uni­corns haben neue Höhen erreicht. So wird der Markt­wert von Revo­lut auf 36–38 Mrd. Euro taxiert. Bei N26 sind es dage­gen “nur” 10 Mrd. Wie gerecht­fer­tigt sind die­se Bewertungen? 

Fintechs, ins­be­son­de­re Neo­ban­ken, ste­hen momen­tan bei den Inves­to­ren hoch im Kurs[1]The fun­ding fren­zy Invest­ment in fin­tech booms as upstarts go main­stream. Ein Ende ist nicht abzu­se­hen. Die Hoff­nung auf­sei­ten der Inves­to­ren scheint groß, die Inves­ti­tio­nen dem­nächst mit einem ordent­li­chen Auf­schlag wie­der her­ein­zu­ho­len. Denn irgend­wann – so die lei­ten­de Annah­me – ver­las­sen die Uni­corns die Ver­lust­zo­ne. Von dem Zeit­punkt an spru­deln – dank über­le­ge­ner Tech­no­lo­gie, der per­fek­ten User Expe­ri­ence und der nöti­gen Ska­lie­rung – die Gewin­ne. Nur: Bie­tet der Markt über­haupt genü­gend Lebens­raum für die stei­gen­de Zahl der Einhörner?

Seit Jah­ren wird von ver­schie­de­nen Sei­ten vor einer Fin­tech-Bla­se gewarnt[2]Fin­tech und die Dot­com-Bla­se 2.0. Mitt­ler­wei­le meh­ren sich auch in deut­schen Publi­ka­tio­nen kri­ti­sche Stim­men[3]Vgl. dazu: N26 Bank: Ist die­se Bank wirk­lich 10 Mil­li­ar­den wert? & Bewer­tun­gen: „Isch scheiß‘ dich sowat von zu mit mei­nem Geld“. Der Fall Wire­card hat hier zu einer Sen­si­bi­li­sie­rung geführt.

Haupt­ur­sa­chen für die hohen Bewer­tun­gen und Finan­zie­rungs­run­den sind die locke­re Geld­po­li­tik bzw. die Nied­rig­zins­po­li­tik der Zen­tral­ban­ken sowie der sys­te­ma­ti­sche Auf­bau eines Wag­nis­ka­pi­tal­mark­tes in der EU. Für Fran­zis­ka Coo­iman limi­tiert die Jagd nach den Ein­hör­nern Inno­va­ti­on. Das Modell Wag­nis­ka­pi­tal brin­ge es mit sich, dass Gewin­ne pri­va­ti­siert und Ver­lus­te bzw. Risi­ken ver­ge­mein­schaf­tet wür­den[4]Wag­nis­ka­pi­tal – Inno­va­ti­on von den Weni­gen für die Weni­gen.

Wei­te­re Ursa­chen für den gro­ßen Zuspruch, den Fin­tech-Uni­corns bei Inves­to­ren und in Tei­len der Medi­en fin­den, ist die fort­schrei­ten­de Finan­zia­li­sie­rung[5]Fin­tech und Finan­zia­li­sie­rung und der Auf­stieg des Finanz­ka­pi­ta­lis­mus[6]Vgl. dazu: Finan­zia­li­sie­rung, Demo­kra­tie und Gesell­schaft – zehn Jah­re nach Beginn der Finanz­kri­se & Finan­zia­li­sie­rung als Kern­pro­blem eines sozia­len Euro­pas & Unter­su­chung der nega­ti­ven … Con­ti­nue rea­ding. Damit ist die Durch­drin­gung nahe­zu aller Lebens­be­rei­che von Fin­tech bzw. Finanz­dienst­leis­tun­gen gemeint. Die aktu­ells­te Aus­prä­gung ist die Toke­ni­sie­rung. Mit dem Ver­spre­chen, das Finanz­we­sen zu demo­kra­ti­sie­ren, tre­ten Neo­bro­ker wie Robin­hood oder Trade Repu­blic auf. Das Geschäfts­mo­dell lässt jedoch Zwei­fel an der fro­hen Bot­schaft auf­kom­men[7]Robin­hood, Trade Repu­blic und die Mär von der Demo­kra­ti­sie­rung des Finanz­we­sens.

Zurück zur Aus­gangs­fra­ge: Sie die Fin­tech-Uni­corns überbewertet?

Es gibt Bei­trä­ge, die in sich schlüs­sig argu­men­tie­ren, dass die Fin­tech-Start­ups nicht über­be­wer­tet sind, wie Are fin­tech com­pa­ny valua­tions too high?. Kri­ti­scher dage­gen der Tenor von Does It Mat­ter if Fin­tech Is Overva­lued?. In einer Stu­die, die Anfang ver­gan­ge­nen Jah­res ver­öf­fent­licht wur­de, kamen die Autoren zu dem Ergeb­nis, dass die Bewer­tun­gen der Tech-Uni­corns um 50 Pro­zent zu hoch aus­fal­len[8]Stu­dy: Tech Uni­corns Overva­lued By Near­ly 50 Per­cent.

Die Grün­de­rin des bri­ti­schen Fin­tech-Start­ups Open­Payd, Iana Dimit­ro­va, stell­te wäh­rend der aktu­el­len Finan­zie­rungs­run­de ver­blüfft fest, dass ihr Inves­to­ren ent­geg­ne­ten, sie wür­de zu wenig Geld ver­lan­gen. “Wir schrei­ben nur 100 Mil­lio­nen Dol­lar und mehr’ “, so Dimit­ro­va[9]This feels like 1999: Glo­bal start-up fun­ding fren­zy fuels fears of a bubble. Dimit­ro­va betrach­tet die Ent­wick­lung mit Sor­ge. Die Unter­neh­men wür­den sich nicht auf die Schaf­fung von Wer­ten kon­zen­trie­ren, son­dern auf die Ver­bren­nung und den Ein­satz von Bar­mit­teln. Eini­ge Inves­to­ren hät­ten über­dies ein “sehr begrenz­tes Ver­ständ­nis” für die Soft­ware von Open­Payd. Sie wür­den nur des­halb ein­stei­gen, “weil es jetzt der Raum ist, in dem man sein muss”.

Eine wei­te­re Facet­te bringt Ter­ri Fried­li­ne in Ban­king on a Revo­lu­ti­on: Why Finan­cial Tech­no­lo­gy Won’t Save a Bro­ken Sys­tem in die Dis­kus­si­on. Tech­no­lo­gie­en­thu­si­as­ten und eini­ge Ver­brau­cher­schüt­zer wür­den Fin­tech für sein Poten­zi­al, den Zugang zu Bank- und Finanz­dienst­leis­tun­gen zu erwei­tern loben. Die Geschich­te zei­ge jedoch, dass Fin­tech die digi­ta­len For­men des Red­li­ning ver­stär­ken und die fort­ge­setz­te Aus­beu­tung schwar­zer und brau­ner Gemein­schaf­ten durch die Ban­ken ermög­li­chen wer­de. Fried­li­ne zieht dar­in den opti­mis­ti­schen Glau­ben infra­ge, dass Fin­tech den Zugang zu Bank- und Finanz­dienst­leis­tun­gen erwei­tern kann. Sie plä­diert dafür, dass das Finanz­sys­tem eine von Men­schen geführ­te Revo­lu­ti­on braucht, die die Bedürf­nis­se, Erfah­run­gen und Per­spek­ti­ven der­je­ni­gen in den Mit­tel­punkt stellt, die es his­to­risch aus­ge­schlos­sen, mar­gi­na­li­siert und aus­ge­beu­tet hat.

Fazit

Es mag gute Grün­de für die hohen Bewer­tun­gen der Fin­tech-Uni­corns geben. Gera­de mit Blick auf Euro­pa stellt sich jedoch die Fra­ge, ob hier mitt­ler­wei­le nicht ein gerüt­tel­tes Maß an irra­tio­na­lem Über­schwang mit im Spiel ist. Sind die “Inno­va­tio­nen” wie sie bei­spiels­wei­se Neo­bro­ker und Anbie­ter von Buy now pay later – Lösun­gen auf den Markt brin­gen, von gesell­schaft­li­chem Nut­zen oder ver­schär­fen sie sogar noch bestehen­de Ungleich­ge­wich­te? Ist damit auf Dau­er tat­säch­lich so viel Geld zu ver­die­nen, wenn sich die wirt­schaft­li­che Situa­ti­on der Men­schen unterm Strich nicht verbessert?

Fin­tech-Uni­corns sind Stand heu­te sowohl öko­no­misch wie auch gesell­schaft­lich deut­lich überbewertet.