Unter­neh­men kri­sen­si­cher machen – das ist das Ziel von Risk Gover­nan­ce. Das noch jun­ge Wis­sen­schafts­ge­biet, das von zwei Sie­ge­ner For­schern gegrün­det wur­de, gewinnt bei Unter­neh­men immer mehr an Bedeu­tung. Auch die aktu­el­len Kri­sen spie­len dabei eine trei­ben­de Rolle.

Vor zehn Jah­ren haben Prof. Arnd Wie­demann und Prof. Vol­ker Stein von der Uni­ver­si­tät Sie­gen bei Null ange­fan­gen, um ein völ­lig neu­es Wis­sen­schafts­ge­biet inner­halb der Betriebs­wirt­schafts­leh­re (BWL) auf­zu­bau­en: Risk Gover­nan­ce – eine Risi­ko­steue­rung, die das gan­ze Unter­neh­men durch­dringt, Teil der Unter­neh­mens­stra­te­gie ist und dazu befä­higt, pro­ak­tiv vor sowie wäh­rend Kri­sen und Not­fäl­len effek­tiv zu han­deln. „Die Kri­sen der ver­gan­ge­nen Jah­re haben vie­le Unter­neh­men zum Umden­ken gebracht. Vie­le Ent­schei­der sehen jetzt mehr denn je die Not­wen­dig­keit, war­um sie sys­te­ma­ti­sche Werk­zeu­ge benö­ti­gen, um gegen Kri­sen gewapp­net zu sein. Das war frü­her in dem Maße ein­fach nicht der Fall“, erklärt Wie­demann, Pro­fes­sor für Finanz- und Bank­ma­nage­ment an der Uni Sie­gen. Mitt­ler­wei­le wen­den etli­che Unter­neh­men die anwen­dungs­ori­en­tier­te Grund­la­gen­for­schung in der Pra­xis an.

Ziel von Risk Gover­nan­ce ist es, Unter­neh­men mög­lichst kri­sen­fest zu machen. Frü­her habe man in vie­len Fäl­len genug Zeit gehabt, auf Kri­sen und Pro­ble­me zu reagie­ren, wenn sie bereits ein­ge­tre­ten waren. Heu­te habe man die­se Zeit oft nicht mehr, sagt Stein. Pan­de­mie, Ener­gie­eng­päs­se, Zins­ent­wick­lung, Kli­ma­wan­del, Krieg, Wet­ter­ex­tre­me, Lie­fer­knapp­hei­ten. „Die heu­ti­gen Kri­sen ver­stär­ken und beein­flus­sen sich gegen­sei­tig. Die Reak­ti­ons­ge­schwin­dig­keit von Unter­neh­men muss stei­gen“, for­dert Wie­demann. Des­halb sei es sinn­voll, schon Plä­ne in der Hin­ter­hand zu haben, bevor eine Kri­se aus­bricht bzw. die Kri­se kom­men zu sehen, um pro­ak­tiv zu han­deln. „Wir haben die­se Ideen vor zehn Jah­ren schon pro­pa­giert, vie­le Unter­neh­men haben sich aber lan­ge bewusst oder unbe­wusst dage­gen ent­schie­den“, so Wie­demann. „Aber spä­tes­tens jetzt wird der Hand­lungs­druck größer.“

Jeder Ange­stell­te wird zum Risikomanager

„Es ist nicht wich­tig und in vie­len Fäl­len sogar unmög­lich, immer die opti­ma­le Lösung fürs Unter­neh­men zu fin­den“, erklärt Stein, Pro­fes­sor für Per­so­nal und Unter­neh­mens-Orga­ni­sa­ti­on an der Uni Sie­gen. „Ent­schei­dend ist, die exis­tenz­be­droh­lichs­ten Feh­ler zu ver­mei­den.“ Die­se aber über­haupt zu iden­ti­fi­zie­ren und so glo­bal im Unter­neh­men prä­sent zu haben, dass jeder Ange­stell­te vor­aus­schau­end nach fest­ge­leg­ten Maxi­men han­delt – das sei die Auf­ga­be von Risk Governance.

Ein Bei­spiel aus der Pra­xis: Vie­le Unter­neh­men hät­ten in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten ihre Pro­duk­ti­on nach Ost­eu­ro­pa aus­ge­la­gert mit der Begrün­dung, dass es dort güns­ti­ger sei. „Je abhän­gi­ger ein Unter­neh­men von die­sen Lie­fer­ket­ten wird, des­to mehr Lohn kön­nen die ost­eu­ro­päi­schen Arbeit­neh­mer völ­lig zurecht ver­lan­gen“, erklärt Wie­demann die inter­na­tio­na­len Ver­flech­tun­gen. „Die Prei­se stei­gen jetzt ent­spre­chend. Das wäre selbst­ver­ständ­lich vor­aus­zu­se­hen gewe­sen, wenn man ent­spre­chen­de Mecha­nis­men gehabt hät­te, um Zukunfts­ent­wick­lun­gen auf dem Schirm zu haben. Aber man hat die­se Ent­wick­lung nicht gese­hen – oder woll­te sie schlicht nicht sehen.“

riskgov_web„Unse­re Grund­la­gen­for­schung passt plötz­lich zum Zeitgeist“

Um mög­lichst viel­fäl­ti­ge Per­spek­ti­ven in die Risk Gover­nan­ce For­schung ein­zu­brin­gen, haben sich Stein und Wie­demann mit ihren unter­schied­li­chen Fach­ge­bie­ten zusam­men­ge­tan. Wie­demann bringt die eher „har­ten Fak­to­ren“ aus der Finanz­welt ein, Stein die eher „wei­chen Fak­to­ren“ wie die per­so­nel­len Aspek­te, Unter­neh­mens­kul­tur und ‑visio­nen. „Die Kom­bi­na­ti­on ist in der BWL nicht so weit ver­brei­tet, aber extrem frucht­bar. Wir pushen uns gegen­sei­tig, die­nen uns als Spar­rings­part­ner. So haben wir die Schnitt­stel­len stra­te­gisch aus­ge­baut“, sagt Stein. Die bei­den BWLer erfor­schen unter ande­rem, wie bei Risk Gover­nan­ce ver­schie­de­ne Ziel­grup­pen berück­sich­tigt wer­den kön­nen – z.B. Ange­stell­te, Kun­den, Zulie­fe­rer und Geld­ge­ber. Sie hin­ter­fra­gen gän­gi­ge Risi­ko­mo­del­le und ana­ly­sie­ren, wie Unter­neh­men erfolg­reich ihre Risi­ko­steue­rungs­in­fra­struk­tur auf­bau­en können.

Wis­sen­schaft­le­rIn­nen in vie­len Län­dern for­schen mitt­ler­wei­le zu Risk Gover­nan­ce. Zuletzt haben die bei­den Sie­ge­ner BWL-Pro­fes­so­ren im Herbst eine Kon­fe­renz zum zehn­jäh­ri­gen Bestehen des Wis­sen­schafts­ge­biets ver­an­stal­tet. Wis­sen­schaft­le­rIn­nen und Prak­ti­ke­rIn­nen kamen aus den USA, Nie­der­lan­den, aus Finn­land, Öster­reich, Polen sowie aus meh­re­ren deut­schen Städ­ten nach Sie­gen. Außer­dem haben Wie­demann und Stein gemein­sam mit ihrem Kol­le­gen Mark Fon­se­ca gera­de ein Buch zum The­ma „Risk Gover­nan­ce in Orga­niza­ti­ons: Future Per­spek­ti­ves“ her­aus­ge­bracht. „Unse­re Grund­la­gen­for­schung passt plötz­lich zum Zeit­geist, Ent­schei­der im Unter­neh­men neh­men jetzt wahr, dass sie Res­sour­cen für län­ger­fris­ti­ge Struk­tu­ren auf­bau­en soll­ten“, beschreibt Stein die Situa­ti­on. „Wenn Unter­neh­men hier struk­tu­rell vor­ge­hen und das Kri­sen­ma­nage­ment trai­nie­ren, fällt es leich­ter, schnell zu han­deln.“ Wich­tig sei aber die Erkennt­nis: Auch ohne aku­te Kri­sen sei Risk Gover­nan­ce wesentlich.

Quel­le: „Ent­schei­dend ist, die exis­tenz­be­droh­lichs­ten Feh­ler zu vermeiden“