Von Ralf Keuper
Das Invest­ment­ban­king stand in der Finanz­bran­che lan­ge in dem Ruf eine Königs­dis­zi­plin zu sein. Nach Ansicht eini­ger ihrer Ver­tre­ter gilt die­ser Befund noch immer. Die Finanz­kri­se hat aller­dings dafür gesorgt, dass die­ses (Selbst-)Bild tie­fe Ris­se bekom­men hat.
Seit­dem reisst der Strom der Ver­öf­fent­li­chun­gen nicht ab, die sich mit den nähe­ren Ursa­chen des Stil­wan­dels im Invest­ment­ban­king beschäf­ti­gen, wie aktu­ell der Doku­men­ta­ti­ons­film Der Ban­ker – Mas­ter of the uni­ver­se oder der Bei­trag Wie die Invest­ment­ban­ker reich wur­den
Davor nah­men sich eini­ge nam­haf­te Sozi­al­wis­sen­schaft­ler wie Wolf­gang Stre­eck und Sig­hard Neckel et al. des The­mas an. Chris­toph Deutsch­mann nahm in sei­nem Paper Der kol­lek­ti­ve „Bud­den­brooks-Effekt“ auch die Mit­tel­schicht in die Ver­ant­wor­tung. Mit The Big Short – Wie eine Hand­voll Trader die Welt ver­zock­te schrieb Micha­el Lewis einen inter­na­tio­na­len Bestseller. 
Aber auch aus den eige­nen Rei­hen kam und kommt Kri­tik. So übten die graue Emi­nenz des Invest­ment­ban­king, Joseph Perel­la, eben­so wie Leon­hard Fischer nach Aus­bruch der Finanz­kri­se schar­fe Kri­tik an ihrer Branche. 
Die Anfän­ge die­ses Stil­wan­dels rei­chen weit zurück. Nicht weni­ge ver­le­gen ihn in die 1980er Jah­re, als ange­stell­te Invest­ment­ban­ker an die Stel­le der Teil­ha­ber tra­ten, die noch mit ihrem eige­nen Ver­mö­gen für die geschäft­li­chen Risi­ken haf­te­ten. Zu die­ser Zeit mach­te sich an der Wall Street und in der Lon­do­ner City unter den Invest­ment­ban­kern der alten Schu­le Unmut über ihre all­zu for­schen Nach­fol­ger breit, wie Paul Fer­ris in Das Mil­li­ar­den­kar­tell – Macht und Ein­fluss der Welt­ban­ker berichtete:

Die neue Wall Street ist eini­gen zuwi­der, was die Ansicht einer Gene­ra­ti­on über die nächs­te reflek­tiert. Zu ihren Kri­ti­kern gehört Sta­nis­las Yas­suko­vich, Sohn eines Wall-Street-Ban­kers und jetzt selbst ein bekann­ter Ban­ker in Lon­don. Er sagt, dass die Part­ner alten Stils, oft von Geburt aus reich und nicht Jahr für Jahr auf die Gewin­ne der Fir­ma ange­wie­sen waren, “von Leu­ten ersetzt wor­den sind, die mög­li­cher­wei­se här­ter arbei­ten, wahr­schein­lich schlau­er und sicher ehr­gei­zi­ger sind. Sie fan­gen ohne Geld an und sind dar­auf aus, es schnell zu ver­die­nen, was eine ande­re ethi­sche Ein­stel­lung erzeugt”. 

Wohl kaum einer hat den Invest­ment­ban­ker alten Stils so ver­kör­pert wie Sieg­mund War­burg, wovon Jac­ques Attali in der Bio­gra­fie Sieg­mund G. War­burg – Das Leben eines gro­ßen Ban­kiers einen Ein­druck vermittelt:

Jedes Geschäft muss, damit alle Bescheid wis­sen kön­nen, von zwei, wenn es wich­tig ist, von vier Per­so­nen behan­delt wer­den, sogar dann, wenn Sieg­mund es selbst bear­bei­tet. Jeden Mor­gen öff­net einer der höhe­ren Ange­stell­ten die Post und notiert den Inhalt jedes Brie­fes in ein oder zwei Zei­len und fasst dann die­se Stich­wor­te in einer Gesamt­no­tiz zusam­men, die weni­ge Stun­den spä­ter in der gan­zen Bank ver­teilt wird. Auch sämt­li­che Tele­fon­ge­sprä­che wer­den noch am sel­ben Tag von denen, die sie geführt haben, fest­ge­hal­ten, und jeder Brief muss, bevor er das Haus ver­lässt, von einem ande­ren höhe­ren Mit­ar­bei­ter gegen­ge­zeich­net und wie­der­um zum Nut­zen aller in Zusam­men­fas­sung ver­teilt wer­den. “Stil” ist Sieg­munds Ste­cken­pferd, und das Wort “gedie­gen” gilt für alles, was bei ihm vorgeht. 

Die­ser aus heu­ti­ger Sicht anti­quiert und auto­kra­tisch wir­ken­de Füh­rungs- und Geschäfts­stil war aber nur eine Sei­te des Ban­kiers Sieg­mund War­burg. Als Aus­län­der schaff­te er das Kunst­stück, sich in der Lon­do­ner City mit sei­nem Bank­haus einen Platz in der ers­ten Rei­he zu erobern und die­sen zu Leb­zei­ten zu behaup­ten. Sei­ne wohl größ­te “Finanz­in­no­va­ti­on” war die ers­te Euro­bond-Emis­si­on im Jahr 1963. 
Auch sonst ver­folg­te War­burg das Gesche­hen auf den Finanz­märk­ten mit wachen Augen und einem aus­ge­präg­ten Geschäftssinn:

Sei­ne Metho­den sind ori­gi­nell, gren­zen für die dama­li­ge Zeit sogar ans Skan­da­lö­se. Er arbei­tet von einem ein­zi­gen Zen­trum aus, hat weder Büros im Aus­land noch Filia­len in der gan­zen Welt. .. Sei­ne Mit­ar­bei­ter leben in stän­di­gem Alarm­zu­stand. Schon weni­ge Stun­den nach Ein­gang einer Nach­richt von einem Infor­man­ten vor Ort star­tet ein Kom­man­do von zwei oder drei Mit­ar­bei­tern in Lon­don, nutzt die erhal­te­ne Infor­ma­ti­on und erzeugt beim künf­ti­gen Kun­den den Bedarf. Sieg­mund hält sich auch über die Tätig­keit der ande­ren auf dem lau­fen­den: In Lon­don bil­det er .. eine klei­ne Grup­pe, die die Akti­vi­tät der sechs­hun­dert wich­tigs­ten Ban­ken der Welt ver­folgt und stän­dig zu wis­sen hat, wer gera­de eine Anlei­he plant, damit man sich an ihr betei­li­gen kann, oder wer ver­füg­ba­res Kapi­tal besitzt, damit man bei ihm eine Emis­si­on unterbringt.

Auch War­burg blieb die Ent­wick­lung im Invest­ment­ban­king nicht ver­bor­gen; er sah sie mit Sor­ge. Die Gier schien Über­hand zu gewin­nen, wes­halb er bereits 1963 schrieb:

Ich hof­fe noch auf eine neue Aris­to­kra­tie, eine neue Éli­te, zu deren Eigen­schaf­ten die Ver­ach­tung von Luxus und Ansamm­lung mate­ri­el­ler Güter, die Ach­tung vor dem Inhalt anstel­le des Scheins, der Vor­zug der Qua­li­tät vor der Quan­ti­tät, schließ­lich edle Gesin­nung und unab­hän­gi­ges Urteil gehö­ren müssen.

Von die­sem Ide­al sind wir wohl noch ein gutes Stück entfernt. 
Wie auch immer.
In den 1990er Jah­ren ent­stand das Bild von Ban­ken als “Risi­ko-Waren­häu­sern”, die selbst aktiv an der Ent­wick­lung an den Finanz­märk­ten mit­wirk­ten. So heisst es bei Hans Sieg­wart und Juli­an Maha­ri in ihrem Buch Stra­te­gi­sches Manage­ment von Finanzinnovationen:

Für die kom­men­den Jah­re dürf­ten sich die Finanz­in­sti­tu­te durch den sys­te­ma­ti­schen Auf­bau von Posi­tio­nen in Risi­ko­in­stru­men­ten und durch die akti­ve Teil­nah­me an Ter­min­bör­sen zu soge­nann­ten Risi­ko-Waren­häu­sern ent­wi­ckeln, wodurch sie in die Lage ver­setzt wer­den, einer­seits die von den Inves­to­ren gefor­der­ten neu­ar­ti­gen Finanz­pro­duk­te und ande­rer­seits die von den Unter­neh­men benö­tig­ten Risi­ko­ma­nage­ment-Instru­men­te bereitzustellen.

Das liest sich nicht wie ein Auf­ruf an die Ban­ken, das gro­ße Rad zu dre­hen und unkal­ku­lier­ba­re Risi­ken ein­zu­ge­hen. Aller­dings deu­tet sich hier ein tief­grei­fen­der Stil­wan­del an. 
In den fol­gen­den Jah­ren wur­de der Kapi­tal­markt mit einer Viel­zahl von Finanz­in­no­va­tio­nen über­schwemmt. Die zuneh­men­de Com­pu­te­ri­sie­rung des Bank­ge­schäfts brach­te es mit sich, dass Phy­si­ker und Mathe­ma­ti­ker, die sog. Quants, den Stil­wan­del im Invest­ment­ban­king beschleu­nig­ten bzw. ein ihm ein neu­es, ein ande­res Gesicht gaben. 
All­zu häu­fig wur­de dabei jedoch gegen das wich­tigs­te Grund­prin­zip der Invest­ment­theo­rie verstoßen:

Man kann kei­ne gro­ßen Gewin­ne erwar­ten, ohne das Risi­ko gro­ßer Ver­lus­te ein­zu­ge­hen. (Peter L. Bernstein)

Es mögen sich noch so vie­le Stil­wan­del im Ban­king ereig­nen, die­se Regel wird auch wei­ter­hin Bestand haben und durch die Empi­rie immer wie­der – eben­so ein­drucks­voll wie über­ra­schend – bestä­tigt werden 😉

Wei­te­re Informationen:

Was ist ein “Bank­stil”? (Grund­le­gung eines neu­en Begriffs) #1

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