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Von Ralf Keuper
Als ich für diesen Blog den Namen Bankstil wählte, geschah dies zunächst mehr intuitiv. Die Ähnlichkeit mit anderen Stilen, wie dem Lebensstil, Kunststil, Führungsstil, Baustil, Jugendstil etc. war mir dabei zwar bewusst, nur war der direkte Bezug für mich nicht greifbar. Am nächsten erschien mir noch der Begriff Denkstil von Ludwik Fleck.
Das änderte sich, als ich eher zufällig auf den von dem Ökonomen Arthur Spiethoff eingeführten Wirtschaftsstil aufmerksam wurde.
Für Spiethoff ist jede Epoche durch einen bestimmten Wirtschaftsstil gekennzeichnet. Dieser setzt sich zusammen aus den (Stil-)Elementen: (Quelle: Seminararbeit von Peter Metzler)
- Wirtschaftsgeist
- Natürliche und technische Grundlagen
- Gesellschaftsverfassung
- Wirtschaftsverfassung
- Wirtschaftslauf
Der eine Epoche prägende Wirtschaftsstil repräsentiert eine unverwechselbare Konstellation dieser Elemente.
Damit ist der Bezug zum Bankwesen bzw. Banking gegeben:
Der Bankstil einer Epoche ist in Anlehnung an den Wirtschaftsstil Ausdruck einer bestimmten Konstellation verschiedener (allgemeiner und bankspezifischer) Elemente.
Wirtschaftsgeist / Zeitgeist
Dies umschließt sittliche Einstellung und seelische Antriebe zum wirtschaftlichen Handeln sowie die Einstellung gegenüber Neuerungen. Es wird deutlich, dass für Spliethoff kulturelle Faktoren für die Gestaltung des Wirtschaftslebens große Bedeutung haben. (ebd.)
Im Zuge der Finanzkrise war häufig von der Gier der verschiedenen Akteure die Rede. Ein bekannter Unterhaltungselektronik-Händler warb mit dem Spruch “Geiz ist geil”.
Inzwischen hat sich das Bild gewandelt. Die Rede ist nun von einer stärkeren Gemeinwohlorientierung der Banken und einer Einbindung der verschiedenen Interessengruppen (Stakeholder) in die Unternehmenspolitik. Anhänger des Social Banking bzw. des Ethischen Banking sprechen von einem Wertewandel, in dem materielle Güter an Bedeutung für die Lebensgestaltung verlieren. In dem Zusammenhang ist auch das Modell der Postwachstumsgesellschaft von Interesse.
Die wachsende Verbreitung neuer Technologien, insbesondere des Internet, hat die Kunden anspruchsvoller und kritischer werden lassen. Mittels Smartphones und Tablet-PCs übernehmen die Kunden in vielen Bereichen der Wirtschaft zunehmend die Regie. Insgesamt sind die Kunden technischen Neuerungen gegenüber aufgeschlossen; häufig setzen sie die Unternehmen sogar unter Druck, wenn diese nicht schnell genug auf die technologischen Neuerungen reagieren.
Natürliche und technische Grundlagen (Soziale und technische Innovationen)
Bevölkerungsdichte, Arbeitsorganisation, Technik, also materielle Faktoren (ebd.)
Dazu fallen mir die Schlagworte “demografischer Wandel”, Crowdsourcing/Open Innovation und digitale Revolution ein. Allerdings ist die Bezeichnung als materielle Faktoren so nicht mehr haltbar, da die immateriellen Faktoren bzw. die sog. Intangibles für den wirtschaftlichen Erfolg mindestens ebenso wichtig sind.
Wie reagieren die Banken auf die veränderte Altersstruktur in der Gesellschaft und in ihrem eigenen Haus? Wie gehen Banken mit der Einbindung der Kunden und anderer externer Partner in die Wertschöpfungsprozesse um? Welche immateriellen Faktoren sind für den Erfolg einer Bank oder eines Finanzinstituts entscheidend? Wie wichtig sind die materiellen Faktoren? Welche Faktoren unterliegen überhaupt der Kontrolle einer Bank, eines Finanzinstituts?
Neue Technologien (z.B. Wearables, Supercomputer, Assistenzsysteme) kommen früher oder später im Banking an und verlangen nach Antworten. Hierzu zählen auch die Themen Mobile Payments, Mobile Wallets und digitale Währungen wie Bitcoin.
Neben technologischen sind es soziale Innovationen, die einen nicht unterschätzenden Einfluss auf das Banking haben.
Gesellschaftsverfassung
das gesellschaftliche Verbundensein, gesellschaftliche Zusammensetzung.
Hier könnte man die Diskussion um die Einwanderung und die Rolle der Familie erwähnen ebenso wie die veränderten Berufsbiografien. Ein Thema auch und gerade für das Banking.
Wie passt sich das Angebot der Banken diesen Veränderungen an? Technologisch, organisatorisch, kulturell?
Wirtschaftsverfassung
Eigentum (frei, Staat, Gesellschafts-), wirtschaftliche Institutionen (Unternehmen, Staat, Preisbildung), Distributionsmechanismus.
Das Eigentum ist für unsere derzeitige Wirtschaftsverfassung nach wie vor prägend. Jedoch geht der Trend verstärkt in Richtung dessen, was Michael E. Porter als den Shared Value bezeichnet. Andere wie Jeremiah Owyang gehen noch weiter und sprechen von einer neuen Kultur des Teilens – die sog. Sharing bzw. Collaborating Economy.
Unternehmen wie Banken agieren häufig auf globaler Ebene. Die Nationalstaaten sind dagegen in ihrem Aktionsradius beschränkt. Der regionale Bezug der Wirtschaft geht dadurch verloren.
Für die Banken bietet sich hier die Chance, auf das “regionale Bedürfnis” der Kunden mit entsprechenden Angeboten zu reagieren. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Regionalbanken davon profitieren werden.
Zur Wirtschaftsverfassung zähle ich auch das Thema Regulierung (z.B. Basel III) wie überhaupt die Governance. Gleiches gilt für das Geld-und Währungssystem
Wirtschaftslauf
.. Wechsel von Aufschwung und Stockung
Ein Thema, das uns derzeit besonders beschäftigt, da die Finanzkrise noch immer nicht überwunden ist und die (Welt-)Wirtschaft sich schwer tut, Schritt zu fassen. Krisen waren häufig der entscheidende Auslöser für neue Formen des Wirtschaftens. Als Folge der Finanzkrise haben die Banken deutlich an Reputation verloren. Das wiederum eröffnet neuen Spielern ein weites Feld von Möglichkeiten. Die neuen Technologien haben hierbei die Rolle eines Beschleunigers des Wandels übernommen.
Künftige Krisen werden die Dynamik des Wandels noch verstärken.
Diese eher allgemeinen Elemente werden nun um bankspezifische ergänzt:
Disintermediation im Banking (Bankless Banking)
Das Monopol der Banken als Finanzintermediäre ist ins Wanken geraten. Neue Anbieter, sog. Non-Banks, treiben die Disintermediation im Banking voran. Das Szenario des Bankless Banking nimmt immer konkretere Formen an.
Geschäftsmodellinnovation im Banking
Mindestens ebenso wichtig wie technologische Innovationen sind Geschäftsmodellinnovationen. Hierzu zählen im weiteren Sinn auch Strategische und Systeminnovationen. Haupttreiber sind hier derzeit die diversen FinTech-Startups. In dem Zusammenhang halte ich auch das Zürcher Modell der kundenzentrierten Bankarchitektur von Axel Liebetrau u.a. für vielversprechend. Ebenso zählt hierzu die Vision des Knowledge Banking, wie es vom derzeitigen Chef der BBVA, Francisco González, propagiert wird.
Neue Organisationsformen im Banking
Die Digitalisierung in der Wirtschaft erfordert neue Organisationsformen – auch im Banking. In dem Zusammenhang gewinnt die Netzwerkorganisation an Bedeutung. Die Bank als digitale Plattform könnte die vorherrschende Organisationsform werden.
Risikotransformation
Nicht nur für den Soziologen Niklas Luhmann besteht die Hauptaufgabe der Banken im Wirtschaftskreislauf in der Risikotransformation, d.h. die Umwandlung von Risiken in Risiken anderen Zuschnitts. Je nachdem, wie gut die Banken dieser Aufgabe nachkommen, verhält sich ihre Reputation, das Vertrauen der Wirtschaft in ihre Rolle als Risikoverarbeiter. Kommen die Banken dieser Aufgabe nicht mehr oder in nicht mehr ausreichendem Umfang nach, treten andere Institutionen oder Anbieter an ihre Stelle.
Zu dieser Kategorie zählen inzwischen auch die Technologierisiken, die zusammen mit den “eigentlichen” Risiken der Banken das Potenzial haben, das Gesicht der Branche für immer zu verändern.
Protagonisten
Aus einem Vortrag des Kulturwissenschaftlers Hans-Ulrich Gumbrecht über die verschiedenen Stile im südamerikanischen Fussball habe ich u.a. die Bedeutung von Protagonisten bzw. Stars mitgenommen. Für das klassische Banking der letzten Jahrzehnte stehen für mich Personen wie Alfred Herrhausen, Jürgen Ponto, Friedrich-Wilhlem Christians, Hermann-Josef Abs und Siegmund Warburg. Neben der Gruppe der Investmentbanker wird die Bankszene zunehmend auch von Vertretern des New Banking repräsentiert wie Brett King, Chris Skinner und in Deutschland vielleicht Matthias Kröner.
Zwischenfazit
Als Arbeitshypothese bzw. Heuristik halte ich den Bankstil für geeignet, um die Veränderungen im Bankensektor einordnen und bewerten zu können. Sein Vorteil liegt m.E. darin, dass er einer Blickverengung auf bestimmte Aspekte wie z.B. auf die Technologie vorbeugt.
Fragen, die bei der Anwendung aufkommen sind u.a.: Existiert immer nur ein Bankstil oder gibt es vielleicht mehrere? Woran lässt sich ein Stilwandel erkennen? Oder anders: Wann haben wir es im Banking mit Strategischen Wendepunkten (Andy Grove) zu tun? Wo beginnt, wo endet eine Epoche? Wann kommt es zu einem Stilbruch?
Die allgemeinen stilprägenden Elemente bieten nur wenig direkte Einflussmöglichkeiten für die Banken und neue Anbieter. Anders verhält es sich naturgemäß mit den bankspezifischen. Hier zeigen Maßnahmen eine schnellere Wirkung. Allerdings können Ereignisse auf der allgemeinen Ebene, wie z.B. Wirtschafts- und Vertrauenskrisen, zu einem erheblichen Anpassungsdruck im Banking führen. Andererseits können aber auch Entwicklungen im Banking auf die allgemeinen Elemente des Wirtschaftsstils zurückwirken. Die Beziehung ist also keineswegs eindimensional, sondern wechselseitig.
Der Bankstil verändert sich im Lauf der Zeit durch Verschiebungen in der Konstellation seiner Elemente. Die Elemente wiederum unterscheiden sich in ihrem Wirkungsgrad d.h. sie sind nicht zu jeder Zeit gleichwertig. Momentan, so jedenfalls mein Eindruck, hat die Technologie ( technologische Grundlagen) das größte Gewicht, was nicht gleichbedeutend damit ist, dass sie alle anderen dominiert.
Ausblick
In Zukunft werde ich immer wieder auf den Begriff Bankstil zurückkommen und den Blick auch in andere Disziplinen werfen. In dem Zusammenhang erscheint mir der von Reinhart Koselleck geprägte Begriff der Zeitschichten vielversprechend.
Obwohl sie z.T. antiquiert wirken, übernehme ich zunächst die von Spiethoff eingeführten Elemente. Sobald sich passendere finden, werden sie die alten ersetzen oder ergänzen. Anregungen lassen dabei vor allem Bertram Schefolds Arbeiten und Forschungen zum Wirtschaftsstil entnehmen.
Weitere Informationen:
Die Theorie des Wirtschaftsstils (Arthur Spiethoff)
Modernisierung des deutschen Finanzsystems – Ende der Sozialen Marktwirtschaft ?
Stilarten im Banking und im Fußball – Eine Annäherung
Stilarten im Banking und in der Landwirtschaft – Eine Annäherung
Stilarten im Banking und im Einzelhandel – Eine Annäherung
Stilarten im Banking und in der Gastronomie – Eine Annäherung
Stilarten im Banking und in der Medienbranche – Eine Annäherung
Stilarten im Banking und in der Literatur – Eine Annäherung
Ethisches Banking: Zeichen für einen Stilwandel im Banking?
Sind Banken keine Finanzintermediäre (mehr) ?
Eine kleine Stilgeschichte des Banking #1
Eine kleine Stilgeschichte des Banking #2 – Alte und neue Säulenordnungen
Eine kleine Stilgeschichte des Banking #3 – IT- Architekturen
Einige Anmerkungen zum Stilwandel im Investmentbanking
Banking trifft Armani – “Triumpf des Augenblicks” oder “Glanz der Dauer”
Banking trifft Geschichtstheorie #1