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“100 Jahre Inflation” – unter diesem Titel hat der Verein der Deutschen Geldschein- und Wertpapiersammler (DGW) e.V. kürzlich eine 124seitige Publikation herausgebracht, die an dieses Ereignis erinnern soll. Ralf Keuper sprach dazu mit der wissenschaftlichen Mitarbeiterin in der Finanz- und Wirtschaftsgeschichte des Deutschen Historischen Museums (DHM), Christina Bach (Foto), die auch mit einem Beitrag darin vertreten ist.
Keuper: Wie kann man sich den Aufgabenbereich einer Sammlungsleiterin vorstellen?


Bach: Die Sammlung am DHM umfasst neben Münzen, Medaillen und Geldscheinen auch historische Wertpapiere. Ich kümmere mich um Anfragen aller Art, auch der berühmte Dachbodenfund ist da mal dabei. Zeitungen treten ebenfalls an uns heran, weil sie an Beiträgen interessiert sind, wie das auch bei der Sonderpublikation „100 Jahre Inflation“ des DGW der Fall war. Ein weiterer Schwerpunkt ist das Ausstellungsgeschehen selbst, sowohl unser eigenes als auch das anderer Museen, was etwa den Leihverkehr betrifft, wo es neben der Organisation auch um die Bestimmung der entsprechenden Versicherungswerte geht. Ferner müssen Depots gepflegt werden, auch unter energetischen Gesichtspunkten. Sowohl Be- auch Entfeuchter sorgen dafür, dass die Luftfeuchtigkeit keinen größeren Schwankungen unterliegt. Schimmel und Insekten sind die größten Feinde unserer Exponate. Außerdem erarbeiten wir ein neues Sammlungskonzept am Museum. Hin und wieder erhalten wir Schenkungen wie zuletzt vom BADV, dem Bundesamt für zentrale Dienste und offene Vermögensfragen, das uns einen Großteil des Reichsbankschatzes anvertraut hat, der entsprechend inventarisiert werden muss. Daneben kauft das DHM auch Sammlungen an, wie zuletzt die Judaica- und Antisemitika-Sammlung des 2017 verstorbenen Sammlers Wolfgang Haney. Mit diesem Ankauf gelangten auch die Propagandageldscheine in meinen Zuständigkeitsbereich, über die ich in dem DGW-Themenheft geschrieben hatte. Auch im Historischen Museum Frankfurt läuft im Zeitraum 3. Mai bis 10. September eine Sonderausstellung zur Inflation, die ich mir vor Ort bereits anschauen durfte. Das Thema Inflation hat ja durch die gegenwärtige Inflation eine ganz neue Brisanz erfahren.
Notgeld gab es auch aus Keramik, Holz oder Seide
Keuper: Sie schreiben in Ihrem Beitrag über Propaganda auf Geldscheinen. Nun waren Banknoten ja vor 100 Jahren im Überfluss vorhanden. Es gab eine riesige Geldschwemme und jeder hatte mit diesen Geldscheinen zu tun. Man nahm diese Scheine in die Hand, ohne zu merken, dass da eine Botschaft drauf ist. Die Banknote war damals das wichtigste Medium, das sich jeder leisten konnte – und musste. Solch einen Durchdringungsgrad erreicht man mit kaum einem anderen Medium.
Bach: Schon in der Antike galt ja die Münze als Kommunikationsmittel. Und die fungierte durchaus auch schon als Propagandawerkzeug, wie man an den ausgekratzten Augen einiger Kaiserportraits ablesen kann. In der Inflationszeit sind Metalle, erst Gold, dann Silber und schließlich auch die billigen Nickelmünzen sukzessive aus dem Verkehr gezogen worden, bis nur noch Papiergeld übrigblieb. Und das bot sich natürlich hervorragend für Propagandazwecke an. Notgeld wurde allerdings auch in Form von Porzellan, Keramik, Holz, Leder und sogar Seide ausgegeben, auch wenn das vielleicht eher exotische Randerscheinungen darstellte.
Keuper: Der kanadische Medientheoretiker Marshall McLuhan sagte einmal: „The medium is the message“. Dies trifft natürlich erst recht auf Geld als Kommunikationsmittel zu. Geld ist ja nie neutral. Münzen und Geldscheine sind bereits mit Aussagen verknüpft. Und Geld als Medium selbst wird immer mächtiger, wie man aktuell am Beispiel ApplePay und der Diskussion um Digitales Zentralbankgeld (CDEBC) sehen kann. Wer die Medienkanäle, kontrolliert, hat fast unbeschränkte Machtbefugnisse.
Bach: Besonders sieht man das in autoritär regierten Staaten: Als in China letztens eine Bank in Zahlungsschwierigkeiten geriet, hat die Regierung einfach die Corona-WarnApp der betroffenen Kunden auf Rot geschaltet, um einen Bank Run zu vermeiden.
Den Holocaust hat keiner geglaubt, weil man das für Kriegspropaganda gehalten hatte
Keuper: Die Münzen der Antike haben mit ihren Kaiserportraits unmissverständlich den Machtbereich des Kaisers angezeigt, genau das war die transportierte Botschaft. So ein Medium ist daher immer auch anfällig für Propaganda, oder?
Bach: Genau, vor allem die Nationalsozialisten haben ihre antisemitischen Parolen auf Banknoten gedruckt und massenhaft unters Volk gebracht. Propaganda hat für mich aber auch eine ganz persönliche Bedeutung. Unsere moderne Gesellschaft in Deutschland gibt sich gern aufgeklärt, aber in kaum einem Haushalt wird darüber gesprochen, was die Großväter eigentlich gemacht haben. Mein eigener Großvater beschrieb als Kriegsteilnehmer auf Nachfrage allenfalls die zurückgelegten Strecken seiner Einheit, schilderte aber nie, was genau dort passiert war. Auf den Holocaust angesprochen, schilderte er – vielleicht als Ausflucht – dass er während des Krieges massiv mit Propaganda, speziell seitens der Engländer konfrontiert gewesen war, und dass er ihnen – eben weil es Propaganda war – keinen Glauben geschenkt hatte und sich dies erst nach dem Krieg selbst erschlossen hat.
Keuper: Für ihn war das letzten Endes zweckgerichtete „Feindpropaganda“, insbesondere, weil Propaganda auf beiden Seiten ein langanhaltender und schleichender Prozess war. Einflüsse aus dem Ausland waren lange verboten. Das schränkt die eigene Sicht auf Dauer ein.
Bach: Gustave Le Bon beschreibt dies ja sehr gut in der „Psychologie der Massen“. Es hat an Aktualität bis heute nichts eingebüßt. Vor allem die rechten Parteien beherrschten dies in der Weimarer Republik erschreckend gut.
Die Gründerzeithäuser hier in Berlin sind ein Zeugnis des Goldstandards
Keuper: Am Anfang dieser Entwicklung stand die Entkopplung von der Goldkonvertibilität im Jahr 1914, um den Krieg finanzieren zu können.
Bach: Preußen war nach England überhaupt erst das zweite Land, das diesen Goldstandard eingeführt hatte. All die herrlichen Gründerzeithäuser, die wir hier in Berlin sehen, sind ein Zeugnis dieser Goldstandard-Zeit.
Keuper: Die Goldstandard-Zeit des deutschen Kaiserreichs war in der Tat ein einmaliger Abschnitt der Geschichte: Die Preise waren stabil, die Währung international gefragt und die Mark als Vertrags- und Investitionsgrundlage ein wichtiger Grundpfeiler der Kapitalakkumulation und damit Triebfeder der industriellen Revolution.
Bach: Ja, aber die Politik war eher instabil. Das Ende des deutschen Kaiserreichs korreliert nicht zufällig mit dem Ende des Goldstandards. Die Inflation ist ein zentrales Charakteristikum für die darauffolgende Weimarer Republik.
Keuper: Der große Nutzen der durch die Hyperinflation reichlich vorhandenen Banknoten als Kommunikationsmittel für die Nazis in den 1920er Jahren war ja, dass Banknoten anonym sind. Auch in die Blockchain lassen sich heute Propagandabotschaften einschmuggeln. 2018 hatten Forscher auf der Bitcoin-Blockchains sogar kinderpornographische und andere strafbare Inhalte gefunden[1]A Quantitative Analysis of the Impact of Arbitrary Blockchain Content on Bitcoin. Die waren nicht löschbar. Mit der Einführung des Digitalen Euro will man die Anonymität des Bargeldes so weit wie möglich erhalten. Es bleibt abzuwarten, ob und wie das gelingen wird, zumal der Digitale Euro mit der EUiD-Wallet verknüpft werden soll. Eine interessante Frage in dem Zusammenhang wäre, ob der Digitale Euro für Propagandazwecke benutzt werden kann.
Bach: Propaganda geht allerdings auch subtiler und ist dabei durchaus nicht auf autoritäre Herrscher beschränkt. Wenn man sich mal die ersten Euro-Münzen anschaut und miteinander vergleicht, stellt man vielleicht fest, dass Deutschland mit dem Bundesadler und dem Brandenburger Tor auf relativ neutrale Symbole gesetzt hat. Interessant ist jedoch, wie viele Staatsoberhäupter der anderen EU-Staaten hier der antiken Tradition gefolgt waren und sich selbst auf der Münze geprägt sehen wollten. Das finde ich nicht mehr zeitgemäß. Es müssten sich doch für ein Land mehr und bessere Nationalsymbole finden lassen als das Staatsoberhaupt, das zu diesem Zeitpunkt zufällig gerade die Regierungsgewalt innehatte.
Propaganda ist nicht auf autoritäre Herrscher beschränkt
Keuper: Da ist sicher auch eine große Portion Eitelkeit im Spiel. Aber für Sammler und spätere Geldhistoriker sind solche Portraits begehrte Objekte. Apropos: Welches ist denn aktuell Ihr interessantestes Objekt?
Bach: Ein Propagandageldschein für den Krieg von 1915 über „100 Mark(ige) Hiebe“. Die Emittenten imitierten das Aussehen einer Banknote in dem Wissen, dass Leute Geld nicht wegschmeißen und so der Botschaft tendenziell mehr Aufmerksamkeit widmen als einem Flugblatt.
References