“100 Jah­re Infla­ti­on” – unter die­sem Titel hat der Ver­ein der Deut­schen Geld­schein- und Wert­pa­pier­samm­ler (DGW) e.V. kürz­lich eine 124seitige Publi­ka­ti­on her­aus­ge­bracht, die an die­ses Ereig­nis erin­nern soll. Ralf Keu­per sprach dazu mit dem DGW-Vor­sit­zen­den Dr. Mat­thi­as Wühle.

Keu­per: Ist das Sam­meln von Geld­schei­nen als Hob­by eigent­lich noch zeitgemäß?

Wüh­le: Es ist Auf­ga­be des DGW, es zeit­ge­mäß zu machen. Der Ver­ein steht letzt­lich vor den­sel­ben Her­aus­for­de­run­gen, vor den auch Chö­re oder Sport­ver­ei­ne ste­hen: Die gol­de­ne Ver­eins­ära der 1950er bis 1970er Jah­re ist lan­ge vor­bei. Inzwi­schen kon­kur­rie­ren die Ver­ei­ne mit Smart­phone, Face­book, Net­flix und einer gestie­ge­nen Individualmobilität.

Keu­per: Und wie wol­len Sie gegen Net­flix ankommen?

Wüh­le: Der DGW ist natür­lich nicht irgend­ein Ver­ein. Wir sind bun­des­weit auf­ge­stellt, mit Sitz in Ber­lin. Ich selbst füh­re den Vor­sitz aus Idstein her­aus. Unse­re Mit­glie­der kom­men aus Deutsch­land, Öster­reich und sogar aus Frank­reich. Ein wenig hat uns sogar der Digi­ta­li­sie­rungs­pro­zess gehol­fen, die­se Mit­glie­der zusammenzuführen.

Die deut­sche Geld- und Wäh­rungs­ge­schich­te ist in der Welt einzigartig

Keu­per: Die Schweiz haben Sie aber unterschlagen?

Wüh­le: Tat­säch­lich ist aktu­ell kein Eid­ge­nos­se bei uns Mit­glied. Wir hof­fen, dass sich das ändert. Natür­lich liegt unser Fokus aber eben auf der deut­schen Geld- und Wäh­rungs­ge­schich­te. Und die ist in der Welt einzigartig.

Keu­per: Aber ist nicht jede Wäh­rung einzigartig?

Wüh­le: Selbst­ver­ständ­lich. Das macht ja gera­de den Reiz des Sam­melns aus. Hier­in unter­schei­den wir uns auch kaum von Brief­mar­ken­samm­lern. Jedes Land, jeder zeit­ge­schicht­li­che Epo­che bie­tet einen ande­ren Reiz, führt in eine ande­re gestal­te­ri­sche Kunst­epo­che, erzählt eine ande­re Geschich­te. Den­noch behaup­te ich, dass deut­sche Wäh­rungs­ge­schich­te ein beson­ders fas­zi­nie­ren­des Sam­mel­ge­biet ist, das grö­ßer und deut­lich facet­ten­rei­cher ist als bei­spiels­wei­se die Schweizer.

Keu­per: Warum?

Dr. Mat­thi­as Wüh­le, Vor­sit­zen­der DGW 

Wüh­le: Das hat zum einen poli­ti­sche Ursa­chen. Das Gebiet des Hei­li­gen Römi­schen Reichs Deut­scher Nati­on umfass­te zeit­wei­lig bis zu 800 unab­hän­gi­ge oder teil­au­to­no­me Ter­ri­to­ri­en, in denen deutsch gespro­chen wur­de. Vie­le davon gaben eige­nes Geld her­aus. Noch kurz vor Grün­dung der Reichs­bank im Jahr 1874 waren 173 ver­schie­de­ne Arten Papier­geld im Umlauf. Zudem gal­ten zwei ver­schie­de­ne Wäh­rungs­sys­te­me: In Nord­deutsch­land wur­de mit Talern, im Süden mit Gul­den bezahlt. Und selbst die Stü­cke­lun­gen waren nach ver­schie­de­nen Sys­te­men geglie­dert: Wäh­rend der preu­ßi­sche Gro­schen in 12 Pfen­ni­ge unter­teilt war, wur­de der säch­si­sche Gro­schen zu 10 Pfen­ni­gen gerech­net. Das dürf­te in die­ser Klein­tei­lig­keit welt­weit ein­ma­lig sein. Hier liegt der Grund­stock vie­ler öffent­li­cher und pri­va­ter Sammlungen.

Am Vor­abend des Ers­ten Welt­krie­ges gehör­te die Mark zu den stärks­ten Wäh­run­gen der Welt

Keu­per: Also Sam­meln, um die Viel­falt der deut­schen Klein­staa­te­rei abbil­den zu können?

Wüh­le: Auch. Aber es kommt noch etwas dazu. Mit Reichs­grün­dung 1871 und Grün­dung der Reichs­bank drei Jah­re spä­ter erfolg­te eine Zäsur: Deutsch­land ent­wi­ckel­te sich bin­nen weni­ger Jahr­zehn­te vom rück­stän­di­schen Agrar­staat zu einer der bedeu­tends­ten Welt­mäch­te. Einer­seits ver­lief die indus­tri­el­le Revo­lu­ti­on in Deutsch­land beson­ders gründ­lich und nach­hal­tig. Ande­rer­seits zeig­te sich die deut­sche Zen­tral­bank­po­li­tik beson­ders erfin­dungs­reich. So hat­te Reichs­fi­nanz­mi­nis­ter Camph­au­sen mit der soge­nann­ten Pal­mer-Regel eine Lösung gefun­den, die einer­seits Geld­men­gen­wachs­tum zuließ und damit der eng­li­schen Ban­king Theo­rie folg­te, aber gleich­zei­tig auch als Brem­se gegen unbe­schränk­te Kre­dit­ver­ga­be fun­gier­te. Am Vor­abend des Ers­ten Welt­krie­ges gehör­te die Mark damit zu den stärks­ten Wäh­run­gen der Welt.

Keu­per: Damit war es ja 1914 vor­bei, als die Gold­de­ckung auf­ge­ho­ben wurde.

Abb. 1: Feld­post­kar­te zur Kriegs­an­lei­he, Quel­le: Eber­hard Wühle

Wüh­le: Genau. Und mit die­sem Tag – dem 4. August 1914 – beginnt eine der wohl span­nends­ten Kapi­tel der Wäh­rungs­ge­schich­te über­haupt, näm­lich der deut­schen Infla­ti­on, die mit der Hoch­in­fla­ti­on im Herbst 1923 ein dra­ma­ti­sches Ende fin­den soll­te. Kein Geld­schein­samm­ler kommt um die­ses The­ma her­um und der Schat­ten der Infla­ti­on ver­folgt uns noch bis heute.

Keu­per: War das der Grund, war­um der DGW anläss­lich des 100sten Jah­res­ta­ges der Infla­ti­on nun sein The­men­heft dazu vorstellt?

Wüh­le: Ja, der DGW publi­ziert zwei­mal jähr­lich die DGW-Infor­ma­tio­nen. Für Ver­eins­mit­glie­der ist das Heft kos­ten­los. Wir belie­fern damit Muse­en und Hoch­schu­len, aber auch die numis­ma­ti­sche Biblio­thek der Deut­schen Bun­des­bank, die beson­ders die Fach­bei­trä­ge die­ser Publi­ka­ti­on schätzt. Das The­men­heft „100 Jah­re Infla­ti­on“ ist eigent­lich weni­ger ein Heft als ein Buch von 124 Sei­ten Umfang.

Wir belie­fern auch die numis­ma­ti­sche Biblio­thek der Deut­schen Bundesbank

Keu­per: Wie muss man sich das vor­stel­len? Ein Geld­schein­samm­ler ist doch eigent­lich ein Laie und kein Wis­sen­schaft­ler, oder?

Wüh­le: Ich selbst bin His­to­ri­ker mit Schwer­punkt Wirt­schafts­ge­schich­te und habe dazu auch publi­ziert, aber das ist kei­ne Vor­aus­set­zung für Geld­schein­samm­ler. Ich kann sicher nicht für alle Ver­eins­mit­glie­der spre­chen, aber ich wür­de sagen, dass sich die meis­ten irgend­wann auto­di­dak­tisch zu Spe­zia­lis­ten auf ihrem Fach­ge­biet ent­wi­ckelt haben. Sam­meln bedeu­tet ja nicht ein­fach nur, Exem­pla­re auf Auk­tio­nen zu erstei­gern und dann auf irgend­ei­ner Lis­te abzu­ha­ken. Im Gegen­teil: Mit Erwerb eines neu­en Exem­plars fängt die Arbeit erst an. Denn Sam­meln ist Kura­tie­ren, das Erfor­schen von Hin­ter­grün­den, Nach­le­sen und Zusam­men­tra­gen von Fak­ten. Und das dürf­te bei Geld­schein­samm­lern sicher deut­lich stär­ker aus­ge­prägt sein, als das etwa bei der Mas­se der Brief­mar­ken­samm­ler der Fall ist. Die Numis­ma­tik, spe­zi­ell das Sam­meln von Geld­schei­nen ist etwas für Pro­fis. Man kann einen Schein für Stun­den stu­die­ren und stößt auf immer neue Rätsel.

Keu­per: Wer gehört denn zu den Autoren des aktu­el­len Inflations-Heftes?

Abb. 2: 5 Pfund Rog­gen 15. Dezem­ber 1923 Anger­mün­de, Quel­le: Eber­hard Wühle

Wüh­le: Zum Bei­spiel freue ich mich beson­ders über den Bei­trag von Chris­ti­na Bach. Sie ist Samm­lungs­lei­te­rin der Finanz- und Wirt­schafts­ge­schich­te im Deut­schen His­to­ri­schen Muse­um Ber­lin und stellt in ihrem Text vor, wie die fast wert­los gewor­de­nen Geld­schei­ne für Pro­pa­gan­da­zwe­cke genutzt wor­den sind. Auch fin­den sich dar­in Tex­te von Hans-Georg Gla­se­mann, einem Fach­buch­au­tor und Sach­ver­stän­di­gen für his­to­ri­sche Wert­pa­pie­re, der sich haupt­säch­lich mit Anlei­hen beschäf­tigt. Beson­ders inter­es­sant fin­de ich sei­nen Text über wert­be­stän­di­ge Rog­gen­wert­an­lei­hen, die 1923 aus­ge­ge­ben wur­den, als die Mark längst den Cha­rak­ter einer Wäh­rung ein­ge­büßt hat­te. Auch Rog­gen­geld gab es.

Keu­per: Was ist das Ziel des The­men­hef­tes „100 Jah­re Inflation“?

Abb. 3: Fünf Bil­lio­nen Mark 7.11.1923, Quel­le: Eber­hard Wühle

Wüh­le: Ers­tens bean­sprucht der DGW – ganz unbe­schei­den – mit die­ser reich bebil­der­ten Auf­satz­samm­lung eine Publi­ka­ti­on vor­zu­stel­len, die einem wei­te­ren Mei­len­stein in der Infla­ti­ons­for­schung gleich­kommt. Noch nie wur­de so detail­reich von so vie­len ver­schie­de­nen Autoren Sach­quel­len zur deut­schen Infla­ti­on zusam­men­ge­tra­gen, beschrie­ben und Hin­ter­grün­de erläu­tert. Dabei kom­men einer­seits die gro­ßen innen- und außen­po­li­ti­schen Fra­gen zur Spra­che, die die­sen Pro­zess beglei­te­ten. Ande­rer­seits bie­tet das Heft einen Blick auf Details, wie zum Bei­spiel das Not­geld der Oder­gau GmbH in einem Bei­trag von Tho­mas Krau­se. Zwei­tens stellt die Publi­ka­ti­on eine Art Leis­tungs­schau des DGW dar. Die Tex­te ver­mit­teln einen Ein­druck von der Viel­falt und Tie­fe der The­men, in die ein Numis­ma­ti­ker gewöhn­lich ein­taucht. Das ist einer­seits inter­es­sant für die DGW-Mit­glie­der selbst, wel­che sehen kön­nen, wor­an ihre Samm­ler­kol­le­gen gera­de arbei­ten und soll ande­rer­seits natür­lich auch dafür wer­ben, sich selbst an der Arbeit des DGW zu betei­li­gen. Für einen Jah­res­bei­trag von voll­kom­men unin­fla­tio­nä­ren 38,- Euro erhält jedes DGW-Mit­glied frei­en Ein­tritt zu allen Ver­an­stal­tun­gen, ein Abo des bereits erwähn­ten Infor­ma­ti­ons­hef­tes, redu­zier­te Prei­se für eige­ne Publi­ka­tio­nen und Zugriff auf Fach­li­te­ra­tur über Ver­eins­kon­tak­te. Das güns­tigs­te Net­flix-Abo kos­tet übri­gens knapp 60,- Euro auf’s Jahr gerech­net, um den Bogen zur Ein­gangs­fra­ge zu schließen.

Keu­per: Herr Dr. Wüh­le, ich dan­ke für die­ses Gespräch!