Von Ralf Keuper

Das kom­mer­zi­el­le Inter­net hat im Lau­fe der Jah­re zur Ent­ste­hung gro­ßer digi­ta­ler Platt­for­men geführt, deren Markt­macht Erin­ne­run­gen an die gro­ßen Trusts des Indus­trie­zeit­al­ters weckt. Mit der Block­chain-Tech­no­lo­gie besteht die Mög­lich­keit, das Inter­net wie­der an sei­ne Ursprün­ge zurück­zu­füh­ren – es könn­te wie­der dezentral(er) wer­den und die Macht von Goog­le & Co. begren­zen. Die Nut­ze­rin­nen und Nut­zer eben­so wie die Unter­neh­men hät­ten die Hoheit über ihre Daten, Bank­dienst­leis­tun­gen stün­den allen Men­schen kos­ten­güns­tig zur Ver­fü­gung. Die Zeit der klas­si­schen Inter­me­diä­re wäre end­gül­tig vorbei.

Bis dahin wird es noch ein wenig dau­ern. Ers­te Anzeich­nen sind indes sichtbar.

 

In dem Buch Die Zukunft ist dezen­tral. Wie die Block­chain Unter­neh­men und den Finanz­sek­tor auf den Kopf stel­len wird stel­len die Autoren ver­schie­de­ne Sze­na­ri­en einer Wirt­schaft und Gesell­schaft vor, in der über dezen­tra­le Infra­struk­tu­ren kom­mu­ni­ziert und inter­agiert wird.

In dem Kapi­tel Ever­y­thing a Mar­ket­place: Wie die Block­chain neue Geschäfts­mo­del­le eröff­net beschreibt Sebas­ti­an Becker den Infra­struk­tur-Sprung, der sich in den nächs­ten Jah­ren voll­zie­hen wird. Die­ser Sprung geschieht auf Basis einer Kom­bi­na­ti­on aus Block­chain, Künst­li­cher Intel­li­genz und Toke­ni­sie­rung. Die Ver­viel­fa­chung ver­netz­ter Gerä­te und Chips, die Ein­füh­rung auto­nom han­deln­der Maschi­nen und siche­rer Digi­ta­ler Iden­ti­tä­ten sowie neue Hard­ware-Platt­for­men bil­den eine Kom­ple­xi­tät, die sich kaum noch zen­tral bewäl­ti­gen lässt. Wäh­rend die Künst­li­che Intel­li­genz für die opti­ma­le Ana­ly­se und Steue­rung von Pro­zes­sen sorgt (z.B. Ver­kehrs­flüs­se), regis­triert die Block­chain rele­van­te Ereig­nis­se und Daten und macht sie trans­pa­rent. Durch die Abbil­dung mate­ri­el­ler und imma­te­ri­el­ler Güter, wie Kunst­wer­ke, Paten­te, Film­rech­te, und Unter­neh­men, durch digi­ta­le Wert­mar­ken (Tokens), eröff­nen sich neue Geschäfts­mo­del­le. Der Eigen­tums­über­trag wird über Tokens, die auf der Block­chain regis­triert wer­den, digi­tal und trans­pa­rent voll­zo­gen. Heut­zu­ta­ge ist es mög­lich, das The­ma Infra­struk­tur, wie sei­ner­zeit bei der Ein­füh­rung der Eisen­bahn, ganz neu zu denken.

Wel­che Anfor­de­run­gen stellt das öffent­li­che Inter­net der Din­ge an die Block­chain? Die­se Fra­ge behan­deln Dirk Sie­gel und Mar­kus Stul­le in Wird die Block­chain die Basis­tech­no­lo­gie für das Inter­net der Din­ge?. Zen­tra­le For­de­rung ist, dass das öffent­li­che Inter­net der Din­ge eine ver­teilt orga­ni­sier­te Trans­ak­ti­ons­schicht benö­tigt, wel­che die Berei­che Ver­wal­tung von Iden­ti­tät und Besitz sowie die Trans­ak­ti­ons­do­ku­men­ta­ti­on abbil­det. Als Bei­spiel brin­gen die Autoren das sog. Pla­too­ning. Damit sind Kolon­nen von Fahr­zeu­gen gemeint, die dicht hin­ter­ein­an­der fah­ren, um so Res­sour­cen zu scho­nen. Die LKWs fah­ren teil­wei­se auto­nom und kom­mu­ni­zie­ren mit­ein­an­der. Ein Pla­toon bil­det sich spon­tan. Jedes Manö­ver eines Fahr­zeugs wird sofort an die ande­ren im Pla­toon kom­mu­ni­ziert. Die LKWs, die im Wind­schat­ten fah­ren und damit Kraft­stoff oder Ener­gie spa­ren, bezah­len das ers­te für die­sen Ser­vice auf Basis von Ad-hoc-Ver­trä­gen. Um am Pla­toon teil­neh­men zu kön­nen, müs­sen Fah­rer, Fahr­zeug und Spe­di­ti­on iden­ti­fi­ziert wer­den. Im zwei­ten Schritt wird die Berech­ti­gung über­prüft: Sie die Fah­rer dazu befä­higt, in einem Pla­toon mit­zu­fah­ren? Die Pla­too­ning-Ereig­nis­se wer­den in einem Log­buch doku­men­tiert. Für die Ein­spa­rung an Treib­stoff bezah­len die teil­neh­men­den Fahr­zeu­ge einen bestimm­ten Betrag an die Spe­di­ti­on des ers­ten Fahr­zeu­ges. Der Anwen­dungs­fall Pla­toon ver­eint die Berei­che Iden­ti­fi­ka­ti­on (Wer bin ich?), Ver­wal­tung (Was darf ich?), Doku­men­ta­ti­on (Was ist gesche­hen?) und Zah­lungs­ab­wick­lung (Was kos­tet es?). Damit das Zusam­men­spiel funk­tio­niert, müs­sen die Funk­tio­nen Iden­ti­fi­zie­rung und Bezah­lung inter­ope­ra­bel sein.

Das Poten­zi­al der Toke­ni­sie­rung aus Sicht einer Bör­se beschreibt Alex­an­der Höpt­ner in Neue Märk­te, neue Rol­len: Wie die Block­chain die Finanz­welt ver­än­dert. Beson­ders anschau­lich las­sen sich die Aus­wir­kun­gen der Toke­ni­sie­rung am Bei­spiel der ICOs demons­trie­ren. Unter­neh­men, die sich über die Aus­ga­be von Tokens finan­zie­ren, spa­ren sich bei einem ICO die Kos­ten für Invest­ment­ban­ken und Finanz­an­wäl­te. Die Inves­to­ren pro­fi­tie­ren davon, indem die Über­tra­gung der Token direkt auf Basis der Block­chain erfolgt. Damit ent­fällt der Bedarf an For­mu­la­ren, Online-Bro­kern und Wert­pa­pier­de­pots. Auf der ande­ren Sei­te ent­steht neu­er Bera­tungs­be­darf, wie in Gestalt der Risi­ko­be­ur­tei­lung bei einem ICO.

Die Ein­ord­nung der Block­chain-Tech­no­lo­gie aus Sicht der Finanz­welt neh­men Dirk Bull­mann in Bezah­len mit der Block­chain- wo Poten­zia­le und Her­aus­for­de­run­gen lie­gen, Rolf Wer­ner in Die Bedeu­tung der Block­chain-Tech­no­lo­gie zur Über­win­dung von “Mit­tels­mann-Geschäfts­mo­del­len im Finanz­sek­tor und Mar­tin Diehl in Digi­ta­le Token als Zah­lungs­mit­tel vor. Bull­man schätzt, dass Block­chain-basier­te Zah­lungs­sys­te­me nicht mehr lan­ge auf sich war­ten las­sen. Stand heu­te ent­spre­chen pri­va­te Block­chains den Anfor­de­run­gen im Zah­lungs­ver­kehr am bes­ten. Abzu­war­ten bleibt, ob die Block­chain bzw. DLTs in der Lage sind, die gro­ße Zahl an Mikro­zah­lun­gen abzu­wi­ckeln. Nach Ansicht von Diehl besteht für digi­ta­les Zen­tral­bank­geld kei­ne zwin­gen­de Not­wen­dig­keit. Digi­ta­les Geschäfts­ban­ken­geld rei­che völ­lig aus. Damit lie­ßen sich Effi­zi­en­stei­ge­run­gen erzie­len. Wer­ner geht davon aus, dass in Zukunft Insti­tu­tio­nen wie Ban­ken oder Zen­tral­ban­ken durch dezen­tra­le, sich gegen­sei­ti­ge kon­trol­lie­ren­de Com­pu­ter­sys­te­me ersetzt werden.

Sofern die Block­chain eine füh­ren­de Rol­le bei der Über­tra­gung und Spei­che­rung digi­ta­ler Wer­ter über­nimmt, wer­den so, so Kars­ten Trei­ber in Die Block­chain als zen­tra­le Schnitt­stel­le führt zur Ver­schmel­zung unter­schied­li­cher Bran­chen, die Gren­zen in der Wirt­schaft neu gezo­gen. Die Wirt­schaft lässt ich künf­tig durch ein Drei-Schich­ten-Modell, bestehend aus dem Wer­te Lay­er, dem Geschäfts­pro­zess-Lay­er und dem Pro­to­koll-Lay­er abbil­den. Jeg­li­ches ver­trags­re­le­van­te Geschäft zwi­schen Par­tei­en wird von ein­deu­ti­gen und unver­än­der­ba­ren Nach­wei­sen pro­fi­tie­ren. Das Sze­na­rio sieht vor, dass Her­stel­lungs­pro­zes­se nicht mehr allein in einer Werks­hal­le ablau­fen. Benö­tig­te Kapa­zi­tä­ten kön­nen von den Maschi­nen selb­stän­dig hin­zu gebucht wer­den, eben­so wie die Trans­port­ab­wick­lung. Die Qua­li­täts­si­che­rung und die Bezah­lung erfol­gen auto­ma­tisch. Die Basis für die­se Art auto­ma­ti­sier­ter Geschäfts­ab­wick­lung bil­den die digi­ta­len Iden­ti­tä­ten von Maschi­nen, Men­schen und Unter­neh­men. Von gro­ßer Bedeu­tung ist die Fra­ge nach dem pas­sen­den Gover­nan­ce-Modell. Das gilt vor allem für Fra­gen des Daten­schut­zes und der Datenhoheit.

Wür­di­gung

Die Bei­trä­ge ver­deut­li­chen, dass allen unter­schied­li­chen Anwen­dungs­sze­na­ri­en zum Trotz, eini­ge Punk­te von grund­le­gen­der Bedeu­tung sind. Da wären zum einen die siche­ren Digi­ta­len Iden­ti­tä­ten, ohne die eine auto­ma­ti­sier­te Abwick­lung von Trans­ak­tio­nen über die Block­chain undenk­bar ist wie auch das Zusam­men­wach­sen von Iden­ti­tä­ten und Pay­ments und zum ande­ren die Fra­ge nach dem pas­sen­den Gover­nan­ce-Modell und die Inter­ope­ra­bi­li­tät zwi­schen den ver­schie­de­nen Block­chains bzw. Dis­tri­bu­ted Led­ger Tech­no­lo­gies. Wie  u.a. Libra 2.0 und die Ein­füh­rung des digi­ta­len Zen­tral­bank­gel­des in Chi­na zei­gen, könn­te die Block­chain von weni­gen Akteu­ren domi­niert wer­den. Wir hät­ten dann also wie­der eine ähn­li­che Zen­tra­li­sie­rung im Inter­net wie heu­te schon. Inso­fern bleibt abzu­war­ten, ob die Zukunft tat­säch­lich dezen­tral sein wird.

So oder so wer­den wir in den nächs­ten Jah­ren beob­ach­ten kön­nen, wie sich eine neue Trans­ak­ti­ons- und Infor­ma­ti­ons­schicht über die Wirt­schaft und Gesell­schaft legt. Der Ver­gleich mit der Ein­füh­rung der Eisen­bahn ergibt vor die­sem Hin­ter­grund durch­aus Sinn.