Von Ralf Keuper

Das Poten­zi­al der Block­chain-Tech­no­lo­gie in all ihren Facet­ten dar­zu­stel­len, ohne dabei den Boden der Rea­li­tät zu ver­las­sen, ist ein gewag­tes Unter­fan­gen, das, wie die Ver­gan­gen­heit all­zu oft gezeigt hat, sel­ten gelingt. Wenn die The­ma­tik aller­dings von meh­re­ren fach­lich ver­sier­ten Betrach­tern unab­hän­gig von­ein­an­der beleuch­tet wird, dann steigt die Erfolgs­aus­sicht. So auch in dem Buch Der Block­chain-Fak­tor. Wie die Block­chain unse­re Gesell­schaft ver­än­dern wird, her­aus­ge­ge­ben von Phil­ipp Sand­ner, Andra­nik Tumas­jan und Isa­bell Welpe.

Zual­ler­erst stellt sich die grund­sätz­li­che Fra­ge, ob eine Tech­no­lo­gie allei­ne aus­reicht, um die Gesell­schaft zu ver­än­dern. Die Geschich­te lie­fert zahl­rei­che Bei­spie­le für Erfin­dun­gen, die ihrer Zeit zu weit vor­aus waren. Am bes­ten ste­hen die Chan­cen dann, wenn eine Tech­no­lo­gie eine Ant­wort auf gesell­schaft­li­che Umbrü­che ist. Was das betrifft, so Horst Treiblmai­er in sei­nem Bei­trag Die Aus­wir­kun­gen der Block­chain auf Wirt­schaft, Gesell­schaft und Arbeits­welt, bringt die Block­chain-Tech­no­lo­gie alle wesent­li­che Erfolgs­merk­ma­le mit sich, da sie das Inter­net um einen wesent­li­chen Fak­tor ergänzt – vom Trans­fer von Daten (Inter­net of Infor­ma­ti­on) hin zum Trans­fer von Wer­ten (Inter­net of Value). Anders als Infor­ma­tio­nen dür­fen Wer­te nicht kopier­bar und belie­big repro­du­zier­bar sein. Ein Weg, die Nicht-Repro­du­zier­bar­keit der Wer­te auf der Block­chain zu sichern, besteht in sog. Tokens. Nur wenn die Rechts­si­cher­heit bei der Über­tra­gung von Wer­ten auf der Block­chain gege­ben ist, ergibt das Inter­net der Wer­te einen Sinn. Die Über­tra­gung der ana­lo­gen in die digi­ta­le Welt kann nach Ansicht von Tho­mas Dün­s­er in Das liech­ten­stei­ni­sche Block­chain-Gesetz: Recht­li­che Grund­la­gen für die Token-Öko­no­mie nur über die Rech­te gelin­gen. Folg­lich muss es mög­lich sein, das Eigen­tum an einem Auto unter Ver­wen­dung eines Tokens über­ge­hen zu las­sen, der die­ses Recht repräsentiert.

Maschi­nen­öko­no­mie

Wenn Tokens dafür sor­gen, dass Rech­te an mate­ri­el­len und imma­te­ri­el­len Ver­mö­gens­wer­ten veri­fi­ziert wer­den kön­nen, dann lässt sich die­ses Prin­zip auf nahe­zu alle Berei­che der Wirt­schaft anwen­den. Am viel­ver­spre­chends­ten ist die sog. Maschi­nen­öko­no­mie. Maschi­nen, deren Rech­te und Iden­ti­tä­ten ein­deu­tig beleg­bar sind, sind in der Lage, selb­stän­dig Auf­trä­ge aus­zu­füh­ren und zu initi­ie­ren. So kann eine Maschi­ne ein ande­re für deren Leis­tung bezah­len (M2M-Pay­ments). Sebas­ti­an Gajek und Kers­tin Eich­mann brin­gen in Daten sind das neue Gold – Wenn IoT auf Block­chain trifft dazu eini­ge Bei­spie­le. Die der­zei­ti­gen Zah­lungs­sys­te­me sind für die Aus­füh­rung von Mir­co­pay­ments im Cent-Bereich nicht geeig­net. Die nöti­ge offe­ne Pay­ment-Infra­struk­tur könn­te aus einer Zusam­men­ar­beit von Groß­un­ter­neh­men und Fin­tech-Start­ups ent­ste­hen. Maschi­nen könn­ten ein eige­nes Bank­kon­to bzw. eine eige­ne Wal­let bekom­men. Die Kre­dit­wür­dig­keit der Maschi­ne wür­de u.a. anhand der Bilanz bewer­tet. Jedes Gerät erhält eine ein­deu­ti­ge Iden­ti­tät. Smart Con­tracts über­neh­men die Transaktionsabwicklung.

Dezen­tra­li­sie­rung des Finanzsektors 

Die Ban­ken set­zen bei der Zah­lungs­ab­wick­lung Stan­dards ein, die, wie SWIFT und SEPA, den Anfor­de­run­gen an Über­wei­sun­gen in Echt­zeit nicht gerecht wer­den. Über­dies han­delt es sich um pro­prie­tä­re Stan­dards, die von Ban­ken für ande­re Ban­ken ent­wi­ckelt wur­den, so Peter Gross­kopf in Wie Block­chain und Zen­tra­li­sie­rung den Finanz­sek­tor ver­än­dern wer­den. Durch den Ein­satz von Block­chain-Wal­lets könn­ten Echt­zeit­zah­lun­gen über Län­der­gren­zen und Kon­ti­nen­te hin­weg Rea­li­tät wer­den. Schon heu­te kön­nen Pro­to­kol­le wie Ripp­le bis zu 1.500 Trans­ak­tio­nen pro Sekun­de ver­ar­bei­ten. Auch in einer dezen­tra­len Welt bleibt der Bedarf an Ver­wah­rungs­stel­len digi­ta­ler Wer­te bestehen. Dezen­tral­sie­rung bedeu­tet nicht P2P; sie ist durch­aus mit der Ent­ste­hung von Hubs ver­ein­bar. Ban­ken könn­ten sol­che Hubs sein, z.B. für die Bereit­stel­lung von Hard­ware Wal­lets und Secu­ri­ty Devices.

Kryp­to­wäh­run­gen

Der Hype um Bit­co­in hat sich zwar nicht ganz erle­digt, jedoch nähern sich die Erwar­tun­gen zuneh­mend den Erfah­run­gen der Finanz­welt an, so der Tenor des Bei­trags Quo Vadis, Bit­co­in? – Kryp­to­wäh­run­gen auf Sinn­su­che von Felix Hol­ter­mann. Das der­zeit wahr­schein­lichs­te Sze­na­rio sei, dass Bit­co­in die Rol­le einer Reser­ve­funk­ti­on, eines siche­ren Hafens für das Finanz­sys­tem über­nimmt. Denk­bar sei, dass Bit­co­in eine ähn­li­che Funk­ti­on aus­übt wie sei­ner­zeit das Kaur­igeld, das aus den Gehäu­sen der Kau­ri­schne­cken her­ge­stellt wur­de. Kaur­igeld war leicht zu trans­por­tie­ren und zu hor­ten, die Zahl der Schne­cken­häu­ser war begrenzt; sie konn­ten auch nicht nach­ge­macht bzw. gefälscht wer­den. Zwar wird der Run auf Bit­co­in mit der Zeit nach­las­sen; ver­schwin­den wer­de Bit­co­in jedoch nicht; zumin­dest nicht so schnell.

Staat­li­che Digi­ta­le Währungen 

Momen­tan wird in Finanz­krei­sen inten­siv dar­über dis­ku­tiert und spe­ku­liert, ob ein Digi­ta­ler Euro schon bald das Licht der Welt erbli­cken könn­te. In Euro on dis­tri­bu­ted led­gers – Gibt es bald staat­li­che Wäh­run­gen auf der Block­chain? spielt Manu­el Klein die­ses Sze­na­rio durch. Eine Cen­tral Bank Digi­tal Cur­ren­cy (CDBC) wäre eine Alter­na­ti­ve zum Giral­geld der Ban­ken. Liqui­di­täts- und Gläu­bi­ger­ri­si­ken wären damit aus­ge­schlos­sen. Den­noch blei­ben eini­ge Her­aus­for­de­run­gen bzw. offe­ne Fra­gen: Sol­len CDBCs zinstra­gend sein oder einer Art zins­lo­sem Bar­geld ent­spre­chen? Soll es Token-/Va­lue-based und von Per­son zu Per­son über­trag­bar sein oder von Bank­kon­to zu Bank­kon­to trans­fe­riert wer­den kön­nen? Soll es sich dabei um eine 100%ige Deckung han­deln, wie beim Vollgeld?

Rechts­sys­tem

Unser der­zei­ti­ges Rechts­sys­tem ist noch nicht auf das Inter­net der Wer­te vor­be­rei­tet. Aller­dings, so Richard Brun­ner in Wie Block­chain unser Rechts­sys­tem ver­än­dern wird, bedeu­tet das nicht, dass es unmög­lich ist, die bei­den Sei­ten sinn­voll auf­ein­an­der abzu­stim­men. Zwar erfüllt die Erzeu­gung pri­va­ter Schlüs­sel für Block­chain-Trans­ak­tio­nen nicht die Vor­aus­set­zun­gen für die Bereit­stel­lung digi­ta­ler Signa­tu­ren, da für ihre Erstel­lung kei­ne zer­ti­fi­zier­te Soft­ware ver­wen­det wer­den muss; jedoch sei es sehr wahr­schein­lich, dass die Block­chain die stren­gen Anfor­de­run­gen erfül­len wird. Als ers­te dürf­ten die Gerich­te und Patent­äm­ter die Block­chain in meh­re­ren Schrit­ten als geeig­ne­te Metho­de zur Siche­rung von Beweis­mit­teln und digi­ta­len Signa­tu­ren ein­set­zen. Im nächs­ten Schritt kön­nen dann die Geschäfts­ab­läu­fe in der Wirt­schaft dar­über abge­wi­ckelt wer­den. Bis es so weit ist, wird noch eini­ge Zeit vergehen.

Schluss­be­trach­tung

Das Buch wird der kom­ple­xen The­ma­tik – nach heu­ti­gem Stand – auf gan­zer Stre­cke gerecht. Weder wird das Poten­zi­al der Block­chain in Super­la­ti­ve geklei­det, noch wird sie als vor­über­ge­hen­der Hype abge­tan. Es zeigt sich, dass noch an vie­len Stel­len gear­bei­tet wer­den muss, damit die Block­chain das Inter­net der Wer­te erschaf­fen und dann Gesell­schaft und Wirt­schaft ver­än­dern kann. Sofern in Zukunft die Wirt­schaft und Gesell­schaft dezen­tra­ler orga­ni­siert wer­den, da die Kom­ple­xi­tät ansons­ten nicht mehr zu bewäl­ti­gen ist, wird fast schon zwangs­läu­fig der Bedarf für eine ent­spre­chen­de unter­stüt­zen­de Tech­no­lo­gie ent­ste­hen. Bis dahin müs­sen die ver­schie­de­nen gesell­schaft­li­che Teil­sys­te­me einen Anpass­sungs­pro­zess durch­lau­fen, bei dem die wich­tigs­ten Tausch­mit­tel – Geld und Ver­trau­en – eine Schlüsel­funk­ti­on und Vor­rei­ter­rol­le über­neh­men werden.

Kurz­um, das Buch ist all jenen zu emp­feh­len, die sich einen mög­lichst unver­stell­ten Blick auf die The­ma­tik ver­schaf­fen und eige­ne Über­le­gun­gen dar­an anschlie­ßen wollen.