Von Ralf Keuper

Es ist irri­tie­rend, wie eini­ge Ver­tre­ter der hie­si­gen Fin­tech-Sze­ne auf sach­li­che und begrün­de­te Kri­tik[1]Gemeint ist hier die Reak­ti­on auf twit­ter auf mei­nen Bei­trag Fin­tech und die Dot­com-Bla­se 2.0 reagie­ren. Statt Kri­tik als Anlass zu neh­men, die eige­nen Annah­men und Posi­tio­nen zu hin­ter­fra­gen, wird in einer Art und Wei­se argu­men­tiert, die an die Reak­tio­nen von Wire­card auf die Ver­öf­fent­li­chun­gen der FT erin­nern. Es ist gar von “Ver­teu­fe­lung” von Fin­tech und “zumin­dest grob fahr­läs­sig” die Rede. Nur wer Fin­tech nicht ver­ste­he, so sinn­ge­mäß eine Behaup­tung, kön­ne den posi­ti­ven Bei­trag von Fin­tech in Zwei­fel zie­hen.[2]Pikan­ter­wei­se stammt die­ser Hin­weis von jeman­dem, der sich noch nach dem KPMG-Son­der­be­richt zu Wire­card ver­an­lasst sah, Wire­card in Schutz zu neh­men: „Es wür­de mich wun­dern, wenn bei Wire­card noch … Con­ti­nue rea­ding

Bekann­te Muster

So ähn­lich war es auch wäh­rend der Cau­sa Wire­card von eini­gen Kom­men­ta­to­ren zu ver­neh­men: Wer das Geschäfts­mo­dell und die über­ra­gen­de Tech­no­lo­gie von Wire­card nicht ver­ste­he, sol­le sich mit Kri­tik zurück­hal­ten. Was die Skep­sis gegen­über Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men betrifft, hal­te ich es hier mit War­ren Buf­fett und Char­lie Mun­ger[3]War­um wir kei­ne Akti­en von Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men besit­zen (War­ren Buf­fett) und gebe ger­ne zu, mich in deren gedank­li­cher “Gesell­schaft” woh­ler zu füh­len, als in dem einen oder ande­ren Fin­tech-Zir­kel, der sich im Voll­be­sitz der Wahr­heit zu wäh­nen scheint.

Seit ca. 7 Jah­ren beglei­te ich die Akti­vi­tä­ten im Fin­tech-Sek­tor in zahl­rei­chen Bei­trä­gen. Über die Jah­re habe ich eini­ge Ver­tre­ter der Sze­ne per­sön­lich ken­nen­ge­lernt. Dar­un­ter sind eini­ge, die durch­aus bereit sind, sich mit Kri­tik sach­lich und fun­diert auseinanderzusetzen.

Kri­ti­scher Ratio­na­lis­mus und Evi­denz­ba­sier­te Wissenschaft

Vor meh­re­ren Jah­ren habe ich für den Bank­stil-Blog ein Leit­bild for­mu­liert. Richt­schnur für den Bank­stil-Blog ist der Kri­ti­sche Ratio­na­lis­mus von Karl R. Pop­per sowie das evi­denz­ba­sier­te Vor­ge­hen in der Wis­sen­schaft. Pop­per for­der­te, sich nicht von angeb­li­chen Gewiss­hei­ten, ver­meint­li­chen Auto­ri­tä­ten, “unwi­der­leg­ba­ren” Bewei­sen und dem Vor­wurf, nicht über die nöti­gen Kennt­nis­se zu ver­fü­gen, ein­schüch­tern zu las­sen. Jeder Erkennt­nis­stand ist nur vor­läu­fig. Hypo­the­sen kön­nen nie­mals end­gül­tig veri­fi­ziert, son­dern nur fal­si­fi­ziert wer­den. Die For­mu­lie­rung von Hypo­the­sen und Fra­gen in Kom­bi­na­ti­on mit Bele­gen, wel­che die Aus­sa­gen stüt­zen, als “Ver­teu­fe­lung” und “Grob fahr­läs­sig” zu bezeich­nen, ist mit den Prin­zi­pi­en des Kri­ti­schen Ratio­na­lis­mus wie über­haupt der Auf­klä­rung nach Kant (Sape­re Aude) nicht in Ein­klang zu brin­gen. Pop­per war es auch, der im Zusam­men­hang mit der Psy­cho­ana­ly­se von Sig­mund Freud von der Selbst­im­mu­ni­sie­rung sprach[4]Ähn­lich kri­tisch zum Abso­lut­heits­an­spruch der PSA äußer­te sich Hans-Georg Gada­mer: “Dia­lo­gi­sche Ver­stän­di­gung ist im Prin­zip unmög­lich, wenn einer der Part­ner des Dia­lo­ges sich nicht wirk­lich … Con­ti­nue rea­ding. Der PSA von Freud nach zei­ge der­je­ni­ge, der sich gegen ihre Ein­sich­ten weh­re, wie die Dia­gno­se “Ver­drän­gung”, dass er eben ver­drängt. Wer also behaup­tet, nur wer Fin­tech nicht ken­ne, kön­ne ihren posi­ti­ven Bei­trag leug­nen, macht sich damit gegen Kri­tik im Sin­ne Pop­pers immun und fällt damit als Gesprächs­part­ner in die­sem Dis­kurs vor­läu­fig aus.

In Theo­rie der juris­ti­schen Argu­men­ta­ti­on schreibt Robert Alexy:

Alle Dis­kurs­teil­neh­mer müs­sen die glei­che Chan­ce haben, Deu­tun­gen, Behaup­tun­gen, Emp­feh­lun­gen, Erklä­run­gen und Recht­fer­ti­gun­gen auf­zu­stel­len und deren Gel­tungs­an­spruch zu pro­ble­ma­ti­sie­ren, zu begrün­den und zu wider­le­gen, so dass kei­ne Vor­mei­nung auf Dau­er der The­ma­ti­sie­rung und der Kri­tik ent­zo­gen bleibt.

Dis­kurs in einer offe­nen Gesellschaft 

Es ist abso­lut legi­tim, die Ansicht zu ver­tre­ten, Fin­tech habe die bes­te Zeit noch vor sich. Wer sich jedoch gleich zu Beginn dage­gen wehrt, sich auf die Argu­men­te abwei­chen­der Mei­nun­gen ein­zu­las­sen und glaubt sie als “Ver­teu­fe­lun­gen” oder “grob fahr­läs­sig” dekla­rie­ren zu kön­nen, hat anschei­nend eini­gen Nach­hol­be­darf, was die Regeln des offe­nen, “herr­schafts­frei­en” Dis­kur­ses und der Argu­men­ta­ti­on betrifft[5].

Die Fra­ge, die Hypo­the­se, die hier zur Dis­kus­si­on steht, ist, ob sich mitt­ler­wei­le, u.a. durch den Fall Wire­card, die Anzei­chen ver­dich­ten, die Evi­denz zunimmt[5]“Je mehr Daten vor­lie­gen, aus denen man Bele­ge erzeu­gen kann, und je über­zeu­gen­der die Kom­bi­na­tio­nen von Expe­ri­men­ten sind, die für eine Argu­men­ta­ti­on ver­wen­det wer­den, des­to unwahr­schein­li­cher … Con­ti­nue rea­ding, dass wir im Fin­tech-Sek­tor eine Bla­se haben, die schon bald plat­zen könn­te. Mit Fra­gen wie die­sen beschäf­ti­gen bzw. beschäf­tig­ten sich ernst­zu­neh­men­de Wis­sen­schaft­ler, wie die Nobel­preis­trä­ger Joseph Stig­litz und Robert Shil­ler sowie John Ken­neth Gal­braith und die Wirt­schafts­his­to­ri­ke­rin Car­lo­ta Pérez.

Ich bin fest davon über­zeugt, dass es in der Fin­tech-Sze­ne eini­ge Per­so­nen gibt, die wil­lens und in der Lage sind, sich mit Ansich­ten, die sich mit ihren nicht oder nicht voll­stän­dig decken, und die sel­ber zu ande­ren Schluss­fol­ge­run­gen gelan­gen, sach­lich und fun­diert aus­ein­an­der­zu­set­zen oder sie zumin­dest als gleich­wer­tig zu akzep­tie­ren[6]Die Anma­ßung von Wis­sen (F.A. von Hay­ek) ver­hält sich dazu kon­trär. Anders ist ech­ter gesell­schaft­li­cher und tech­no­lo­gi­scher Fort­schritt nicht möglich.

Refe­ren­ces

Refe­ren­ces
1 Gemeint ist hier die Reak­ti­on auf twit­ter auf mei­nen Bei­trag Fin­tech und die Dot­com-Bla­se 2.0
2 Pikan­ter­wei­se stammt die­ser Hin­weis von jeman­dem, der sich noch nach dem KPMG-Son­der­be­richt zu Wire­card ver­an­lasst sah, Wire­card in Schutz zu neh­men: „Es wür­de mich wun­dern, wenn bei Wire­card noch kras­se The­men hoch­kom­men“ – Pay­ment-Exper­te Mar­cus Mosen im FinanceFWD-Podcast
3 War­um wir kei­ne Akti­en von Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men besit­zen (War­ren Buffett)
4 Ähn­lich kri­tisch zum Abso­lut­heits­an­spruch der PSA äußer­te sich Hans-Georg Gada­mer: “Dia­lo­gi­sche Ver­stän­di­gung ist im Prin­zip unmög­lich, wenn einer der Part­ner des Dia­lo­ges sich nicht wirk­lich für das Gespräch offen frei­lässt. So ein Fall liegt z.B. vor, wenn einer im gesell­schaft­li­chen Umgang den Psy­cho­lo­gen oder Psy­cho­ana­ly­ti­ker spielt und die Aus­sa­gen des ande­ren nicht in ihrem Sin­ne ernst nimmt, son­dern auf psy­cho­ana­ly­ti­sche Wei­se zu durch­schau­en bean­sprucht. Die Part­ner­schaft, auf der gesell­schaft­li­ches Leben beruht, ist in einem sol­chen Fall zer­stört”, in: Hans-Georg Gada­mer: Klas­si­sche und phi­lo­so­phi­sche Her­me­neu­tik. Das Gadamer-Lesebuch
5 Je mehr Daten vor­lie­gen, aus denen man Bele­ge erzeu­gen kann, und je über­zeu­gen­der die Kom­bi­na­tio­nen von Expe­ri­men­ten sind, die für eine Argu­men­ta­ti­on ver­wen­det wer­den, des­to unwahr­schein­li­cher wer­den wei­te­re Inter­pre­ta­tio­nen gemacht: Erst die Kom­bi­na­ti­on und die Ein­schrän­kung der Inter­pre­ta­ti­ons­mög­lich­kei­ten füh­ren dann zu einer Evi­denz mit hoher Über­zeu­gungs­kraft”, in Heu­re­ka. Evi­denz­kri­te­ri­en in den Wis­sen­schaf­ten. Ein Kom­pen­di­um für den inter­dis­zi­pli­nä­ren Gebrauch
6 Die Anma­ßung von Wis­sen (F.A. von Hay­ek) ver­hält sich dazu konträr