Jede Zeit hat ihre eigenen Aufgaben zu lösen gehabt. Ich stamme aus einer Generation, in der Theorie und Praxis sich noch beinahe als feindliche Brüder gegenüberstanden. Der Gelehrte blickte auf den nicht akademisch gebildeten Kaufmann herab, der Kaufmann zahlte diese Gefühle dem theoretisch tiefgründigen, in seinen Augen aber praktisch ahnungslosen Akademiker reichlich heim. In der Zeit eines von außen nicht gestörten wirtschaftlichen Aufbaus waren wir Männer des neuen deutschen Kaiserreichs viel zu sehr mit praktischer Arbeit überlastet, als dass wir die Möglichkeit gehabt hätten, in die Tiefe der Theorie einzudringen, ohne ein gut Teil unserer Produktivität aufzugeben.
Seither haben sich die Grenzen zwischen Gelehrten und Praktikern verwischt. Der Bankier ist gezwungen worden, Währungstheoretiker, Nationalökonom und Steuerjurist zu werden, wenn er seinen Aufgaben noch gerecht werden soll. So manche unserer jüngeren Bankiers sind doctores, wenn nicht sogar professores. Auf der anderen Seite sind mehrere unserer Gelehrten zu wirtschaftlichen Gutachtern oder Unterhändlern geworden, und aus den Reihen der hohen Beamtenschaft ist eine ganze Anzahl von Leitern großer Wirtschaftskonzerne hervorgegangen. Vor dreißig Jahren lagen die Verhältnisse noch ganz anders.
Quelle: Carl Fürstenberg: Die Lebensgeschichte eines deutschen Bankiers
Anmerkung zur Einordnung von Helge Hesse per twitter:
“Die Lebensgeschichte eines deutschen Bankiers 1870 bis 1914” zum Leben Carl Fürstenbergs wurde 1931 von dessen Sohn Hans Fürstenberg herausgegeben.
Besten Dank für den Hinweis!
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Informatiker für Bankvorstände