Von Ralf Keuper
Wer gezwungen ist, eine Bankfiliale aufzusuchen, macht nicht selten die Erfahrung, dass die Bankmitarbeiterinnen und Bankmitarbeiter mit komplexen Problemstellungen, also mit Vorgängen, die vom Standard abweichen, überfordert sind. Und zwar ganz gleich, ob es sich dabei um altgediente oder junge Mitarbeiter handelt. Das betrifft vor allem Fälle, die in irgendeiner Weise mit Compliance zu tun haben.
Der Fintech- und Banken-Experte Chris Skinner berichtet auf seinem Blog[1]Why we still need bank branches von den Schwierigkeiten, mit denen seine Mutter und sein Bruder in einer englischen Bankfiliale konfrontiert wurden. Die Mutter ist mittlerweile gebrechlich und kann nicht mehr hören. Unter anderem deshalb wurde das Haus der Mutter verkauft. Den Verkauf übernahm der Bruder von Chris Skinner. Nachdem der Erlös aus dem Verkauf des Hauses auf dem Bankkonto der Mutter eingegangen war und noch einige Dinge zu erledigen waren, wollte der Bruder größere Beträge auf sein Konto überweisen. Das Problem war jedoch, dass die Bank Online-Überweisungen auf einen Höchstbetrag von 25.000 £ pro Transaktion begrenzt. Für alles, was darüber hinausgeht, muss man eine Filiale aufsuchen.
Im weiteren Verlauf geht so ziemlich alles schief, was nur schief gehen kann. Zuerst sperrt die Bank das Konto der Mutter, sodass keine Online- und Kartentransaktionen mehr möglich sind. Allerdings werden Scheckauszahlungen noch durchgeführt. Die Probleme beginnen von Neuem, als Chris Skinner tagsdrauf ebenfalls einen Scheck einzahlen will. Dieser wird erst eingelöst, als der Bruder und die Mutter telefonisch ihr Einverständnis geben.
Bis zu einem gewissen Grad hat Skinner Verständnis für das Verhalten der Filialmitarbeiter:
Ich meine, ich kann verstehen, dass Alarm ausgelöst wird, wenn große Beträge vom Konto einer älteren Person abgehoben werden, aber wenn diese ältere Person mit ihrem Ausweis und ihren beiden Kindern, die ebenfalls einen Ausweis haben, in einer Bankfiliale ist, welchen Sinn hat dann diese Filiale? Wir reden davon, dass Filialen heutzutage eher für außergewöhnliche Transaktionen wichtig sind als für den Normalfall, aber diese Filialtreffen und ‑diskussionen zeigen, dass die Filialmitarbeiter einfach nur Scheckeinreicher sind und keine Ahnung haben, wie sie mit den komplexen Vorgängen umgehen sollen. Kein Wunder, dass sie (die Filiale) im November geschlossen wird.
Das ist in Deutschland m.E. nicht anders. Von meinen eigenen Erfahrungen habe ich im letzten Jahr berichtet:
Kaum ein Kunde sucht noch eine Filiale auf. In den wenigen Fällen, wo dies unumgänglich ist, diese Erfahrung hat der Verfasser in den letzten Monaten bei zwei relativ großen Sparkassen und einer kleineren Volksbank in Westfalen gemacht, ist dies häufig eine unerfreuliche Begegnung. Aufgefallen ist mir, dass die Berater und Beraterinnen am Schalter bei bestimmten Fragen vorschnell behaupten, dieser Vorgang sei nicht durchführbar. Als Begründung werden entweder die Compliance-Regeln oder die AGBs ins Feld geführt. Der Kunde ist für gewöhnlich in dem Moment nicht so gut vorbereitet, dass er aus dem Stand dieser Feststellung widersprechen kann. Es wird erst einmal geblockt – ablehnen scheint für die Beraterinnen und Berater der sicherste Weg zu sein. Liegt man falsch, dann jedenfalls nicht, weil man voreilig einen Vorgang durchgewunken hat, der von nachgelagerten internen Stellen der Bank/Sparkasse moniert werden kann. Die Ablehnung unter Verweis auf AGBs oder anderer Regeln ist hier die “dominante Strategie”. Da hilft häufig dann nur noch, sich an den Vorstand zu wenden, in der Hoffnung, dass dort die nötige Fachkompetenz vorhanden ist. In meinem Fall ging es dann doch – weil die Kundenberaterin schlicht falsch lag. Aber auch dann war noch einiges an Überzeugungsarbeit nötig. Gehandelt wird häufig nur noch auf Druck von oben[2]Kundenbeschwerden über Banken und Sparkassen auf hohem Niveau
Der Schlussfolgerung von Skinner kann ich mich daher nur anschließen:
Die Filialen des letzten Jahrhunderts dienten ausschließlich der Abwicklung von Transaktionen – Einlagen, Bargeld, Schecks, Papier. Die Filialen des nächsten Jahrhunderts sollen die reibungslose Abwicklung komplexer Transaktionen in Zeiten der Not gewährleisten. Oder dafür sollten sie da sein.
Das setzt jedoch eine andere, höhere fachliche Qualifikation und eine entsprechende Entscheidungsbefugnis voraus. Alles andere können wir getrost KI-Agenten überlassen.
References