Prof. Dr. Sebas­ti­an Gechert von der TU Chem­nitz ist Exper­te für Kon­junk­tur­ent­wick­lun­gen und nach­hal­ti­ges Wirt­schaf­ten – Im Inter­view spricht er über die Aus­wir­kun­gen der his­to­ri­schen Infla­ti­on auf die Volks­wirt­schaft und den Klimaschutz

Die Infla­ti­ons­ra­te liegt mit rund acht Pro­zent im Euro­raum aktu­ell so hoch wie seit über 40 Jah­ren nicht mehr. Das hat Aus­wir­kun­gen auf die Kauf­kraft und damit letzt­lich auf fast alle gesell­schaft­li­chen Sek­to­ren. Wel­che Ursa­chen gibt es für die hohe Infla­ti­on, wel­chen Ver­lauf kann sie neh­men, wel­chen Ein­fluss hat die Teue­rung auf die Maß­nah­men zur Bekämp­fung des Kli­ma­wan­dels und was kön­nen Spare­rin­nen und Spa­rer tun? TUCak­tu­ell hat dazu mit Prof. Dr. Sebas­ti­an Gechert, Inha­ber der Pro­fes­sur für Makro­öko­no­mie an der Tech­ni­schen Uni­ver­si­tät Chem­nitz, gesprochen.

Herr Pro­fes­sor Gechert, wir sehen aktu­ell eine his­to­risch hohe Infla­ti­on. Wel­che Grün­de ste­hen dahinter?

Da gibt es meh­re­re Fak­to­ren. Zunächst haben die Lie­fer­eng­päs­se und Betriebs­schlie­ßun­gen auf­grund der Coro­na-Pan­de­mie das Ange­bot an Waren und Dienst­leis­tun­gen ver­knappt. Gleich­zei­tig zei­gen unse­re Unter­su­chun­gen: Haus­hal­te, die beruf­lich gut durch die Pan­de­mie-Zeit gekom­men sind, aber ihr Geld auf­grund der Lock­downs nicht aus­ge­ben konn­ten, haben Erspar­nis­se ange­häuft. Die wol­len sie jetzt aus­ge­ben. Wenn die Nach­fra­ge grö­ßer ist als das Ange­bot, stei­gen in der Regel die Prei­se. Vie­le Unter­neh­men haben die­se Pha­se genutzt, um ihre Prei­se anzu­he­ben und zusätz­li­che Pro­fi­te zu machen. Hin­zu kommt Russ­lands Krieg in der Ukrai­ne, der die Prei­se für Gas und Öl, aber auch für Grund­nah­rungs­mit­tel in die Höhe getrie­ben hat. Die Ver­teue­rung von Roh­stof­fen wirkt direkt, etwa an der Zapf­säu­le, aber auch indi­rekt: Die Kos­ten der Auto­pro­duk­ti­on stei­gen, wenn in der Stahl­schmel­ze die Koh­le teu­rer wird. Der Betrieb von Schwimm­bä­dern wird teu­rer, wenn die Heiz­kos­ten stei­gen. Das schlägt sich auch in den Ver­brau­cher­prei­sen nieder.

Wie wirkt sich die Infla­ti­on ganz kon­kret im All­tag aus?

Ins­be­son­de­re die Heiz­kos­ten und die Tank­rech­nung stei­gen. Aber auch im Super­markt und bei Frei­zeit­be­schäf­ti­gun­gen muss man tie­fer in die Tasche grei­fen. Haus­hal­te mit höhe­ren Ein­kom­men und Erspar­nis­sen kön­nen die­sen Anstieg aktu­ell ver­kraf­ten. Immer­hin hat­ten wir jetzt auch bei­na­he 15 Jah­re mit unge­wöhn­lich nied­ri­ger Infla­ti­on. Men­schen mit klei­nen Ein­kom­men wie Stu­die­ren­de, die kei­ne Rück­la­gen haben, sind von die­ser Situa­ti­on aber beson­ders betrof­fen. Unter ande­rem auch des­halb, weil sie einen ver­gleichs­wei­se gro­ßen Anteil ihres Ein­kom­mens für Hei­zung, Strom und Nah­rungs­mit­tel aus­ge­ben müs­sen. Außer­dem könn­te uns die aktu­el­le Lage erneut in eine Rezes­si­on stür­zen, in der die Arbeits­lo­sig­keit wie­der zuneh­men dürfte.

Gibt es his­to­ri­sche Vor­bil­der für die aktu­el­le Situation?

Da fal­len einem sofort die Ölkri­sen der 1970er Jah­re ein. In der Fol­ge stieg das all­ge­mei­ne Preis­ni­veau über meh­re­re Jah­re im Bereich von sechs Pro­zent pro Jahr. Die Grün­de waren zunächst ähn­lich gela­gert: mit dem Jom-Kip­pur-Krieg 1973, damit zusam­men­hän­gen­den Wirt­schafts­sank­tio­nen und Dros­se­lun­gen von Lie­fe­run­gen sehen wir vie­le Par­al­le­len zu heu­te. Das Pro­blem ist damals wie heu­te, dass man gegen einen sol­chen Ange­bots­schock, wie wir Makro­öko­nom­in­nen und ‑öko­no­men das nen­nen, lei­der wirt­schafts­po­li­tisch nur Din­ge tun kann, die ande­re Pro­ble­me mit sich brin­gen. Etwa eine straf­fe­re Geld­po­li­tik, die aber die Arbeits­lo­sig­keit erhö­hen dürf­te. In den 1970ern ver­ste­tig­te sich das Infla­ti­ons­pro­blem noch, weil es zu einer Preis-Lohn-Spi­ra­le kam. Die Gewerk­schaf­ten reagier­ten auf den Kauf­kraft­ver­lust mit höhe­ren Lohn­for­de­run­gen, was die Unter­neh­men wie­der­um zu wei­te­ren Preis­stei­ge­run­gen ver­an­lass­te; legi­ti­me Inter­es­sen, aber gesamt­wirt­schaft­lich gefähr­lich. Aktu­ell sehen wir sol­che Zweit­run­den­ef­fek­te zumin­dest bei den Löh­nen nicht. Das nährt die Hoff­nung, dass die Infla­ti­on per­spek­ti­visch wie­der zurück­geht. Es sei denn, die Roh­stoff­prei­se stei­gen weiter.

Was kön­nen Spare­rin­nen und Spa­rer tun, um Gut­ha­ben auf den Ban­ken vor der Infla­ti­on zu schützen?

Der über­wie­gen­de Teil der Men­schen in Deutsch­land hat kein gro­ßes Finanz­ver­mö­gen. Die meis­ten leben von ihrem monat­li­chen Ein­kom­men. Mei­ne grö­ße­re Sor­ge ist eher, dass die­se Men­schen ihren Job ver­lie­ren, wenn wir in einen Abschwung rutschen.

Das bringt uns zur Rol­le der Noten­ban­ken, die …

… kürz­lich ihre Leit­zin­sen ange­ho­ben haben – und das wird sicher nicht die letz­te Kor­rek­tur gewe­sen sein.

Wie schät­zen Sie Wirk­sam­keit die­ses Instru­ments mit Blick auf die Infla­ti­on ein?

Das ist zwie­späl­tig. Zunächst ein­mal bedeu­ten höhe­re Zin­sen höhe­re Kos­ten und das könn­te die Infla­ti­on kurz­fris­tig sogar noch etwas erhö­hen. Man­che Stu­di­en fin­den einen sol­chen Effekt in der kur­zen Frist. Mit­tel­fris­tig wir­ken höhe­re Zin­sen aber dämp­fend auf den Kon­sum und die Inves­ti­tio­nen. Das dürf­te zwar den Nach­fra­ge­über­schuss dros­seln, aber auf Kos­ten eines stär­ke­ren Kon­junk­tur­ein­bruchs mit zuneh­men­der Arbeits­lo­sig­keit. Zudem haben sich mit der Ankün­di­gung der Euro­päi­schen Zen­tral­bank, den Leit­zins anzu­he­ben und aus den Anlei­he­käu­fen aus­zu­stei­gen, die Zins­ni­veaus für Staats­an­lei­hen jüngst wie­der aus­ein­an­der­ent­wi­ckelt. Das gefähr­det den Zusam­men­halt der Euro­zo­ne, mit unbe­re­chen­ba­ren Konsequenzen.

Die EZB ist ver­schie­dent­lich dafür kri­ti­siert wor­den, zu vor­sich­tig zu sein.

Die EZB tut gut dar­an, vor­sich­tig zu agie­ren und Instru­men­te zu ent­wi­ckeln, um das Zins­ni­veau in der Brei­te anzu­he­ben, ohne die Zins­un­ter­schie­de zwi­schen den Län­dern aus­ein­an­der drif­ten zu las­sen. Gleich­zei­tig muss die EZB aber auch die Zins­schrit­te der US-Noten­bank ver­fol­gen. Ein zu gro­ßer Unter­schied könn­te den Wech­sel­kurs des Euros gegen­über dem US-Dol­lar wei­ter sen­ken. Dann wür­den Roh­stoff­im­por­te, die übli­cher­wei­se in Dol­lar gehan­delt wer­den, sich wei­ter verteuern.

Zusätz­lich zu Coro­na und dem rus­si­schen Angriffs­krieg in der Ukrai­ne kommt nun also noch die Infla­ti­on. Sie for­schen auch im Bereich des nach­hal­ti­gen Wirt­schaf­tens. Was bedeu­ten die aktu­el­len Ent­wick­lun­gen mit Blick auf die Bekämp­fung des Klimawandels?

Das lang­fris­ti­ge Pro­blem Kli­ma­wan­del tritt natür­lich ange­sichts der vie­len aktu­el­len Kri­sen­her­de in den Hin­ter­grund – sowohl in der Poli­tik als auch bei den Men­schen. Ande­rer­seits haben wir wäh­rend der Coro­na-Pan­de­mie auch Tech­ni­ken ent­wi­ckelt und Gewohn­hei­ten ver­än­dert, die viel­leicht dau­er­haft den Treib­haus­gas­aus­stoß redu­zie­ren: Home­of­fice und Video­kon­fe­ren­zen statt Geschäfts­rei­sen. Dem ent­ge­gen steht ein höhe­rer Res­sour­cen­auf­wand für die Infek­ti­ons­ver­mei­dung. Die aktu­ell hohen Ener­gie­prei­se und ein mög­li­cher Stopp von Gas‑, Koh­le- und Ölim­por­ten aus Russ­land zwin­gen zum spar­sa­men Umgang mit fos­si­len Ener­gie­trä­gern und beschleu­ni­gen womög­lich den Aus­bau erneu­er­ba­rer Ener­gien. Ande­rer­seits kos­tet Russ­lands Krieg in der Ukrai­ne nicht nur zahl­rei­che Men­schen­le­ben, son­dern ist auch eine enor­me Mate­ri­al­schlacht. Die neue geo­po­li­ti­sche Lage wird auch dafür sor­gen, dass die Staa­ten wie­der mehr Res­sour­cen in die Rüs­tungs­in­dus­trie stecken.

Wie sehen Sie Deutsch­land makro­öko­no­misch mit Blick auf den Kli­ma­wan­del aufgestellt?

Trotz des Aus­baus der erneu­er­ba­ren Ener­gien hat Deutsch­land einen der größ­ten CO2-Foot­prints pro Kopf. Das liegt vor­ran­gig dar­an, dass man immer noch so stark auf Koh­le bei der Wär­me- und Strom­erzeu­gung setzt. Auch die wirt­schaft­lich wich­ti­ge Auto­mo­bil­in­dus­trie hat die Mobi­li­täts­wen­de lan­ge ver­schla­fen. Der struk­tu­rel­le Wan­del in die­sen Indus­trien muss nun nach­ge­holt wer­den, um Wert­schöp­fung im Land zu hal­ten. Er muss auch poli­tisch durch die Wei­ter­ent­wick­lung von betrof­fe­nen Regio­nen beglei­tet wer­den, damit es nicht zu sozia­len Ver­wer­fun­gen kommt. Län­ger­fris­tig wer­den Län­der, die den Kli­ma­wan­del ernst neh­men, auch wirt­schaft­lich als Tech­no­lo­gie­füh­rer davon pro­fi­tie­ren. Für Deutsch­land bie­tet sich eine sol­che Stra­te­gie an, dafür braucht es auch staat­li­che finan­zier­te Forschung.

Vie­len Dank für das Gespräch.

Quel­le /​ Link: „Men­schen mit klei­nen Ein­kom­men, die kei­ne Rück­la­gen haben, sind von die­ser Situa­ti­on ganz beson­ders betroffen“