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Die aktu­el­le Zins­sen­kung der EZB sorgt nicht über­all für Zustim­mung. So kri­ti­siert Tho­mas May­er, Grün­dungs­di­rek­tor des Floss­bach von Storch Rese­arch Insti­tu­te, dass sich die aktu­el­le Geld­po­li­tik auf theo­re­ti­sche Model­le stützt, die ein wirt­schaft­li­ches “Gleich­ge­wicht” und einen “neu­tra­len” Zins (R‑Stern) pos­tu­lie­ren. Das Gleich­ge­wichts­kon­zept der Geld­po­li­tik sei jedoch schwer empi­risch zu bele­gen[1]Die Geld­po­li­tik der EZB beruht in Tei­len auf Fik­ti­on – mit gra­vie­ren­den Fol­gen

Ers­tens ist die Vor­stel­lung einer im Gleich­ge­wicht wach­sen­den Wirt­schaft eine theo­re­ti­sche Kon­struk­ti­on ohne soli­de empi­ri­sche Grund­la­ge. Zwei­tens kann der R‑Stern nicht direkt gemes­sen wer­den und muss aus mög­li­cher­wei­se unrea­lis­ti­schen Model­len abge­lei­tet wer­den. Drit­tens ist der von Zen­tral­ban­ken gesteu­er­te Real­zins seit Jahr­zehn­ten nied­ri­ger als die tat­säch­li­che Kapi­tal­ren­di­te, was auf eine Dis­kre­panz zwi­schen Theo­rie und Rea­li­tät hinweist.

May­er warnt vor den Fol­gen die­ser an einem fik­ti­ven Gleich­ge­wicht ori­en­tier­ten Geld­po­li­tik. Vor der Coro­na-Kri­se erleb­te die Welt eine Ver­mö­gens­preis­in­fla­ti­on, gefolgt von einer hohen Kon­su­men­ten­preis­in­fla­ti­on nach mas­si­ven Geld­in­jek­tio­nen wäh­rend der Pan­de­mie. Trotz die­ser Erfah­run­gen hal­ten Zen­tral­ban­ken wie die Fede­ral Reser­ve und die Euro­päi­sche Zen­tral­bank (EZB) an ihrem Ansatz fest und pla­nen wei­te­re Zins­sen­kun­gen, obwohl die Infla­ti­on noch nicht voll­stän­dig unter Kon­trol­le ist.

In der Euro­zo­ne, wo Pro­duk­ti­vi­tät und Wirt­schaft sta­gnie­ren, droht eine Ver­schär­fung der Stag­fla­ti­on – also Infla­ti­on ohne Wirt­schafts­wachs­tum. Eine stär­ke­re Berück­sich­ti­gung empi­ri­scher Fak­ten sei, so May­er, drin­gend geboten.

Ähn­li­che Kri­tik üben Gor­don Brown (ehe­ma­li­ger Schatz- und Pre­mier­mi­nis­ter Groß­bri­tan­ni­ens), Moha­med A. El Eri­an (ehe­ma­li­ge Chef von Pim­co und heu­te Chief Eco­no­mic Advi­sor der Alli­anz) und Micha­el Spence (Wirt­schafts­no­bel­preis­trä­ger) in ihrem Buch Per­macri­sis. Die Autoren mah­nen eine grö­ße­re kogni­ti­ve Viel­falt bei der Ent­schei­dungs­fin­dung in den Zen­tral­ban­ken an. Auch sei eine bes­se­re Abstim­mung der Fis­kal- und Geld­po­li­tik nötig.

So bewun­derns­wert die Absich­ten der Regie­run­gen und Zen­tral­ban­ken auch waren, das Trau­ma und die Nar­ben des inten­si­ven Kri­sen­ma­nage­ments haben immer wie­der dabei ver­sagt, die Wahr­schein­lich­keit künf­ti­ger Kri­sen zu ver­rin­gern. Wie die glo­ba­le Finanz­kri­se, die Kri­se in der Euro­zo­ne und die Covid-Kri­se zei­gen, lag der Schwer­punkt auf Kri­sen­ma­nage­ment – der Bekämp­fung der unmit­tel­ba­ren Brän­de und der anschlie­ßen­den Kon­zen­tra­ti­on auf die Aus­brü­che von ges­tern – statt der Vor­be­rei­tung auf die Kri­sen von mor­gen. … Die Regie­run­gen und Zen­tral­ban­ken haben den Groß­teil ihrer Muni­ti­on ver­braucht, um nicht nur Finanz­kri­sen, son­dern auch Wirt­schafts­kri­sen zu bekämp­fen. Ihr Umgang mit finan­zi­el­len Risi­ken hat wie­der­um unbe­ab­sich­tigt dazu geführt, dass künf­ti­ge Kri­sen sowohl wahr­schein­li­cher als auch schwie­ri­ger ein­zu­däm­men sind.