Am heu­ti­gen Tag jährt sich zum 31. Mal die Ein­füh­rung der D‑Mark in der ehe­ma­li­gen DDR[1]D‑Mark wird Zah­lungs­mit­tel in der DDR. Mit der Wäh­rungs­uni­on begann sei­ner­zeit auch die Wirt­schafts- und Sozi­al­uni­on. Was folg­te war ein lang­wie­ri­ger und zuwei­len auch schmerz­haf­ter Trans­for­ma­ti­ons­pro­zess der Gesell­schaft und Wirt­schaft der ehe­ma­li­gen DDR, der bis heu­te nicht voll­stän­dig abge­schlos­sen ist. Eine Fra­ge, die nicht nur Wirt­schafts­his­to­ri­ker beschäf­tigt, ist, ob es zur Ein­füh­rung der D‑Mark in der DDR Alter­na­ti­ven gege­ben hat. Für Dr. Lothar Weni­ger (Foto), sei­ner­zeit Refe­rent zur deut­schen Wäh­rungs­uni­on im Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um, war die Ein­füh­rung der D‑Mark in der DDR letzt­lich alternativlos. 

RK: Herr Dr. Weni­ger, Sie waren einer der Archi­tek­ten der Wäh­rungs­uni­on von D‑Mark und Mark der DDR 1990. Wie sind Sie an die­se Auf­ga­be gekommen?

Dr. Lothar Weni­ger, Foto: Privat

LW: Einer von vie­len Mit­wir­ken­den. Archi­tek­ten waren ande­re. Ich war Zeit­zeu­ge. Ich habe zunächst in Kana­da Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten stu­diert und wur­de am Lehr­stuhl für Volks­wirt­schaft­leh­re in Kiel pro­mo­viert. Mit­te der Acht­zi­ger­Jah­re kam ich dann als Eco­no­mist zum IWF in Washing­ton. 1989 – noch vor der Wie­der­ver­ei­ni­gung – wur­de ich vom IWF zum Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um nach Deutsch­land abge­ord­net und begann mei­ne Tätig­keit in Bonn als Refe­rent im Refe­rat 1A5, dem Refe­rat für Währungsfragen.

RK: Nun war ja zu die­sem Zeit­punkt über­haupt noch nichts von ihrer neu­en Auf­ga­be abseh­bar. Die Staats- und Par­tei­füh­rung der DDR fei­er­te noch im Okto­ber 1989 ihren 40. Geburts­tag, als kurz dar­auf die Mau­er fiel. Wann genau wur­de denn von einer Wäh­rungs­uni­on gesprochen?

LW: Bis Ende Janu­ar 1990 waren sich die meis­ten Akteu­re einig, dass eine Kon­ver­tier­bar­keit der Ost-Mark erst nach weit­rei­chen­den markt­wirt­schaft­li­chen Refor­men vor­stell­bar sei. Ein spä­te­rer Bei­tritt der DDR, inklu­si­ve kon­ver­tier­ba­rer Ost-Mark, zur EU wur­de erwo­gen. Die Ein­füh­rung der D‑Mark stand nicht zur Debat­te. Mit­te Febru­ar 1990 gab es dann schon Bestre­bun­gen der bun­des­deut­schen Sei­te, die übri­gen EG-Staa­ten scho­nend auf eine mög­li­che Wäh­rungs­uni­on vor­zu­be­rei­ten. Die Reak­tio­nen der EG-Staa­ten fie­len eher ver­hal­ten aus.

RK: Ver­ständ­lich, denn das Aus­land, allen vor­an Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en fürch­te­ten ein geein­tes – und damit auch grö­ße­res – Deutsch­land. Der ita­lie­ni­sche Unter­neh­mer Car­lo de Bene­det­ti mut­maß­te damals, wenn zur Bun­des­re­pu­blik noch die gro­ßen Indus­trie­re­gio­nen wie Sach­sen hin­zu­kä­men, wür­de sich dar­aus eine gewal­ti­ge Wirt­schafts­kraft ent­wi­ckeln. War dem so?

LW: Wirt­schaft­lich hat dar­in wohl kaum jemand ein Pro­blem gese­hen. Poli­tisch hin­ge­gen schon. Wer zur Bevöl­ke­rungs­zahl der Bun­des­re­pu­blik die 16 Mil­lio­nen DDR-Bür­ger hin­zu­ad­dier­te, konn­te sich leicht aus­rech­nen, dass das poli­ti­sche Gewicht Deutsch­lands in der EG plötz­lich zuun­guns­ten von Frank­reich und Groß­bri­tan­ni­en aber auch von Ita­li­en ver­scho­ben wur­de, deren Ein­woh­ner­zahl denen der alten Bun­des­re­pu­blik ver­gleich­bar war. Die Balan­ce die­ser vier wich­ti­gen EG-Mit­glieds­staa­ten wur­de durch die Wie­der­ver­ei­ni­gung also emp­find­lich gestört. Deutsch­land stand plötz­lich als bevöl­ke­rungs­reichs­tes EG-Land da, was Bun­des­kanz­ler Kohl dazu ver­an­lasst hat­te, zu ver­spre­chen, dass aus die­ser neu­en Macht­si­tua­ti­on kei­nes­falls irgend­wel­che Vor­rech­te wie etwa mehr Sit­ze im Par­la­ment oder in den Räten abge­lei­tet wer­den wür­den. Erst Ange­la Mer­kel hat spä­ter eine teil­wei­se Anpas­sung durch­ge­setzt. Aber zurück zur Wirt­schafts­fra­ge: Selbst Skep­ti­ker hat­ten nicht im Ent­fern­tes­ten vor­her­ge­se­hen, wie wenig kon­kur­renz­fä­hig die DDR-Wirt­schaft tat­säch­lich war. Auch der IWF hat Berech­nun­gen und Mut­ma­ßun­gen dar­über ange­stellt, wie hoch das Brut­to­in­lands­pro­dukt der DDR sein könn­te und kam zu einem posi­ti­ven Ergebnis.

RK: Es gab auch Vor­zei­ge­un­ter­neh­men wie Carl-Zeiss Jena…

LW: Sol­che Erzeug­nis­se der Fein­me­cha­nik und Fein­op­tik mach­ten aber nicht die Mas­se in Rela­ti­on zur Gesamt­wirt­schaft aus. Vie­le von ihnen waren zudem sub­ven­tio­niert. Tat­säch­lich hat­te die DDR-Wirt­schaft im Sal­do wahr­schein­lich einen nega­ti­ven Wert.

RK: In der Tat schwer vor­stell­bar: Es gab schließ­lich Pro­duk­te, die sich gegen Devi­sen abset­zen lie­ßen, Mar­ken, Ver­mö­gens­wer­te, Immobilien…

LW:  …wovon Sie bei­spiels­wei­se Umwelt­schä­den und Ver­sor­gungs­an­sprü­che der Mit­ar­bei­ter abzie­hen müssen.

Es fehl­ten sta­tis­ti­sche Daten

RK: Und dann tauch­te die For­de­rung auf, die Wäh­rungs­uni­on im Kurs von 1:1 durch­zu­füh­ren. Wie kam das bei den Wäh­rungs­exper­ten an?

LW: Das Pro­blem bestand zunächst dar­in, dass es über­haupt kei­ne ver­läss­li­chen sta­tis­ti­schen Daten gab, die Hin­wei­se auf die tat­säch­li­che Wirt­schafts­leis­tung der DDR hät­ten geben kön­nen. Daher konn­te selbst die Bun­des­bank kei­ne Aus­sa­ge dazu tref­fen, was aus ihrer Sicht der rich­ti­ge Umtausch­kurs wäre. Auf dem Schwarz­markt wur­den zwi­schen­zeit­lich Kur­se bis zu 10:1 erzielt. Der rea­lis­ti­sche Wech­sel­kurs lag viel­leicht grob in Rich­tung 6:1.

100,- DM von 1990 (Quel­le: Samm­lung Eber­hard Wühle)

RK: Aber der kam ja nie zur Anwendung.

LW: Rich­tig, und zwar durch­weg aus poli­ti­schen Grün­den. Spä­tes­tens im Febru­ar 1990 stand fest, dass die D‑Mark ein­ge­führt wird. Bun­des­bank­prä­si­dent Karl Otto Pöhl warn­te früh vor einem 1:1 Kurs, konn­te sich mit sei­ner 2:1‑Forderung jedoch nicht durch­set­zen. Dass mit der D‑Mark auto­ma­tisch der Wohl­stand Ein­zug in den ost­deut­schen Wohn­zim­mern hal­ten wür­de, war eine Illu­si­on, der man aus wahl­kampf­tak­ti­schen Grün­den nicht wider­spro­chen hat­te. Aller­dings bestand am Ende auch Kon­sens dar­über, dass die Ein­füh­rung der D‑Mark prak­tisch alter­na­tiv­los gewe­sen ist. Klar war auch, dass alles, was schlech­ter als 1:1 gewe­sen wäre, kei­ne Akzep­tanz in der Bevöl­ke­rung gefun­den hätte.

RK:  Gab es denn alter­na­ti­ve Vorschläge?

LW: Thi­lo Sar­ra­zin, zu dem Zeit­punkt Lei­ter des Refe­rats für Inner­deut­sche Bezie­hun­gen, schrieb am 15. Novem­ber 1989, also 6 Tage nach dem Fall der Mau­er, dass zunächst Prei­se und Markt­struk­tu­ren bei­der Län­der ange­passt wer­den müss­ten, bevor man in einem letz­ten Schritt eine Wäh­rungs­uni­on ein­füh­ren kön­ne. In der Rea­li­tät wur­de sein Vor­schlag prak­tisch auf den Kopf gestellt und die Wäh­rungs­uni­on stand zu Beginn die­ses Prozesses.

RK:  Also eine har­te Wäh­rungs­uni­on zwei­er voll­kom­men unter­schied­li­cher Sys­te­me. Wie ist man da vorgegangen?

LW:  Schon im Janu­ar 1990 gab es Über­le­gun­gen, auch von mir, dass an der bun­des­wei­ten Ein­füh­rung der D‑Mark kein Weg vor­bei­füh­ren kön­ne. Dage­gen gab es zunächst erheb­li­chen Wider­stand. Tat­säch­lich war das Minis­te­ri­um, wie die meis­ten Öko­no­men, zu die­sem Zeit­punkt noch Sar­ra­zins Auf­fas­sung gefolgt und woll­te die D‑Mark-Ein­füh­rung als einen Schluss­stein ver­stan­den wissen.

Selbst eine mas­siv abge­wer­te­te Wäh­rung ent­fal­tet kei­ne Kraft, wenn die wirt­schaft­li­che Basis nicht gege­ben ist

RK:  Und wann änder­te sich die­se Einstellung?

100,- Mark der DDR (Quel­le: Samm­lung Eber­hard Wühle)

LW:  Die­se Zeit ist ja nicht arm an erstaun­li­chen und über­ra­schen­den Äuße­run­gen; wir erin­nern uns alle an die legen­dä­re Schab­ow­ski-Pres­se­kon­fe­renz, die zum Fall der Mau­er geführt hat­te. Bei der Wäh­rungs­uni­on öff­ne­te letzt­lich eine Bemer­kung der SPD-Finanz­po­li­ti­ke­rin Irm­gard Mat­thä­us-Mey­er vom 19. Janu­ar 1990 den Weg zu einer Ein­füh­rung der D‑Mark. Das Kanz­ler­amt stell­te sich hin­ter die­se For­de­rung, obwohl gleich­zei­tig, noch Ende Janu­ar, davon gespro­chen wur­de, die DDR-Mark als eigen­stän­di­ge Wäh­rung kon­ver­ti­bel zu machen.

RK:  War­um setz­te sich die D‑Mark-Ein­füh­rung als Idee letzt­lich durch?

LW:  Öko­no­mi­sche Dis­kus­sio­nen, bei denen es etwa um stu­fen­wei­se Ein­füh­run­gen oder auch um Par­al­lel­wäh­run­gen ging, hat­ten immer den Makel der prak­ti­schen Undurch­führ­bar­keit. Der DDR fehl­ten letzt­end­lich die nöti­gen Devi­sen, die erfor­der­lich gewe­sen wären, um eine Wäh­rung zu sta­bi­li­sie­ren. Eine eige­ne Wäh­rung hät­te mas­siv abge­wer­tet wer­den müs­sen. Aber selbst eine mas­siv abge­wer­te­te Wäh­rung ent­fal­tet kei­ne Kraft, wenn die nöti­ge wirt­schaft­li­che Basis nicht gege­ben ist. Hin­zu kommt, dass die D‑Mark ohne­hin bereits Par­al­lel­wäh­rung in der DDR gewe­sen ist. Es gab ja kaum einen DDR-Bür­ger, dem nicht wenigs­tens Kleinst­be­trä­ge des „West­gel­des“ als die bes­se­re Wäh­rung ver­traut und im All­tag geläu­fig war. Die Mark der DDR wäre letzt­end­lich nur noch dazu benutzt wor­den, um Steu­ern zu zah­len und die D‑Mark hät­te sich prak­tisch von selbst auf dem Markt eta­bliert. Fer­ner soll­te die Devi­sen­be­wirt­schaf­tung im enge­ren Sin­ne, und die damit ver­bun­de­nen Devi­sen­kon­trol­len ohne­hin der Ver­gan­gen­heit angehören.

RK:  Wor­an haben Sie kon­kret im Refe­rat gearbeitet?

LW:  Zu Beginn habe ich haupt­säch­lich an alter­na­ti­ven Par­al­lel­wäh­rungs­mo­del­len gear­bei­tet – eine D‑Mark-Ein­füh­rung schien ja poli­tisch ausgeschlossen.

Die DDR hat­te einen mas­si­ven Geldüberhang

RK: Was hat die Staats­bank der DDR zu dem Zeit­punkt gemacht?

LW: Sie hat ver­zwei­felt ver­sucht, den Wech­sel­kurs der DDR-Mark zu sta­bi­li­sie­ren. Die Kom­bi­na­ti­on eines knap­pen Güter­an­ge­bots bei gleich­zei­ti­gen, frei­gie­big mone­ti­sier­ten, Lohn­stei­ge­run­gen, hat­te zu einem mas­si­ven Geld­über­hang geführt. Die Mark der DDR genoss schon lan­ge kein Ver­trau­en mehr. Bei Umtausch in D‑Mark wur­de die­ser Geld­über­hang aller­dings sofort kaufkraftwirksam.

RK: Wor­in bestand dabei kon­kret die Gefahr?

LW: Dass die Bun­des­bank in einem sol­chen Sze­na­rio die Kon­trol­le ver­lie­ren könnte.

RK: Ande­rer­seits woll­te man sehr schnell Fak­ten für eine Wie­der­ver­ei­ni­gung schaffen.

Phil­ate­lis­ti­sches Gedenk­blatt zur Deut­schen Wie­der­ver­ei­ni­gung (Quel­le: Samm­lung Eber­hard Wühle)

LW: Sowohl Kohl als auch Gen­scher war klar, dass die Situa­ti­on in der Sowjet­uni­on  in einem hal­ben Jahr spä­ter gänz­lich anders aus­se­hen und sich das Zeit­fens­ter auch schnell wie­der schlie­ßen könn­te. Und auch die­ser im Aus­land ver­ur­sach­te Zeit­druck war ein Grund dafür gewe­sen, mit der Wäh­rungs­uni­on voll­ende­te Tat­sa­chen zu schaffen.

RK: Da kam Hel­mut Kohl zugu­te, dass er als His­to­ri­ker dach­te und sich der Tat­sa­che bewusst war, dass man­che Gele­gen­hei­ten nur ein­mal kommen.

LW: Zumal die Wie­der­ver­ei­ni­gung auch bereits aus vie­len Köp­fen ver­schwun­den war. Lan­ge Zeit hat­te die Bun­des­re­pu­blik bei­spiels­wei­se KFZ-Kenn­zei­chen der ost­deut­schen Städ­te frei­ge­hal­ten, als schließ­lich 1989 der Lahn-Dill-Kreis das Kenn­zei­chen L erhielt, bevor er weni­ge Mona­te spä­ter die­sen Buch­sta­ben an Leip­zig abtre­ten musste.

Man hat an ein „nach­ge­hol­tes“ Wirt­schafts­wun­der in den neu­en Bun­des­län­dern geglaubt

RK: Dann hat­te also Leip­zig wie­der sein L zurück. War das der Beginn von Kohls ver­spro­che­nen „blü­hen­den Land­schaf­ten?“ – oder war die­se Ver­hei­ßung letz­ten Endes nur eine Trick­se­rei am Wäh­ler­volk, bevor sich das Mög­lich­keits-Fens­ter der Wie­der­ver­ei­ni­gung womög­lich zu früh schlie­ßen hät­te können?

LW: Ich glau­be nicht, dass Kohls „blü­hen­de Land­schaf­ten“ nur als Trick­se­rei am Wäh­ler ver­stan­den wer­den kann. Ich glau­be – im Gegen­teil – dar­an, dass Kohl fest von sei­nem Ver­spre­chen über­zeugt war. Gera­de in kon­ser­va­ti­ven Krei­sen hat man sich auf die gemein­sa­me Men­ta­li­tät der Deut­schen bei­der Staa­ten beru­fen und ein ein­heit­li­ches Wohl­stands­ni­veau für rea­lis­tisch gehal­ten. Als his­to­ri­schen Ver­gleich wur­de dabei oft das Wirt­schafts­wun­der der 1950er und 1960er Jah­re herangezogen.

RK: Haben sich dabei nicht aber die Kon­ser­va­ti­ven um Kohls inne­ren Kreis auch vom eige­nen Opti­mis­mus tra­gen lassen?

LW: Das ist mög­li­cher­wei­se so, aber das kann man auch nicht unbe­dingt als Vor­wurf sehen. Vie­le west­deut­sche Regie­rungs­mit­glie­der kamen selbst aus dem Gebiet der DDR oder waren zumin­dest dort gebo­ren wie etwa Außen­mi­nis­ter Gen­scher, des­sen Wur­zeln in Hal­le lie­gen. Für ihn waren die „blü­hen­den Land­schaf­ten“ auch Pro­gramm und Glau­be an die Gestal­tungs­kraft der Ost­deut­schen und damit letzt­lich an sich selbst.

RK: Der SPD-Finanz­ex­per­te Karl Schil­ler hat­te auch gesagt, wenn der Bru­der an der Tür klin­gelt, dann lässt man ihn her­ein und fragt nicht nach den Kos­ten. Das ist schon eine ver­steck­te Aus­sa­ge, dass man die „blü­hen­den Land­schaf­ten“ nicht zum Null­ta­rif bekom­men wür­de, oder? Und wel­che Kos­ten hat eigent­lich die Wäh­rungs­uni­on selbst ver­ur­sacht? Ist die Befürch­tung von Bun­des­bank­prä­si­dent Pöhl, ein Umtausch­kurs von weni­ger als 1:2 wür­de die D‑Mark rui­nie­ren, eingetroffen?

Wäh­rungs­um­stel­lung auf Kon­to­aus­zug eines Erwach­se­nen. Quel­le: Samm­lung Eber­hard Wühle

LW: Die Bun­des­bank war natür­lich um die Wäh­rungs­sta­bi­li­tät der D‑Mark besorgt. Und selbst Pöhls 1:2‑Aussage war bereits als poli­ti­sches Zuge­ständ­nis zu wer­ten, wenn man bedenkt, dass der für rea­lis­tisch gehal­te­ne Kurs eher bei 1:5 lag. Denn man nahm kor­rek­ter­wei­se einen gewal­ti­gen Wäh­rungs­über­hang in der DDR an. Wenn man dann aller­dings die DDR-Wirt­schaft in Rela­ti­on zum übri­gen Bun­des­ge­biet setz­te, dann war aus die­sen Grö­ßen­ord­nun­gen schon klar, dass die Angst, die DDR-Mark wür­de die D‑Mark in den Abgrund zie­hen, wohl etwas über­trie­ben war.

RK: Ein­ge­tre­ten ist ja das Gegen­teil. Pöhls Worst-Case-Sze­na­rio eines 1:1‑Umtausches wur­de durch­ge­setzt, und trotz­dem blieb die D‑Mark sta­bil. Warum?

LW: Die Bun­des­bank war damals eine sehr kon­ser­va­ti­ve Zen­tral­bank mit einer sehr kon­se­quen­ten Geld­men­gen­steue­rung und einer bemer­kens­wer­ten Unab­hän­gig­keit gegen­über Poli­tik und Wirt­schaft. So hat die Bun­des­bank zum Bei­spiel meist dann noch die Zin­sen erhöht, wenn die Arbeits­lo­sig­keit am höchs­ten war, wenn die Infla­ti­on noch nicht unter Kon­trol­le war.

Die Bun­des­bank hat­te eine der­art gro­ße Repu­ta­ti­on, da hät­te sich nie­mand getraut, gegen die D‑Mark zu wetten

RK:  Der Inves­tor Geor­ge Sor­os war in den 1990er Jah­ren reich gewor­den, weil er gegen das Pfund gewet­tet hat­te. War­um hat damals eigent­lich nie­mand gegen die D‑Mark gewettet?

LW: Die Bun­des­bank hat­te damals so eine fel­sen­fes­te Repu­ta­ti­on, da hät­te sich nie­mand getraut, gegen die D‑Mark zu spe­ku­lie­ren; wenn, dann wur­de höchs­tens mit der D‑Mark spe­ku­liert, aber nie dagegen.

RK: Die­se Art von Zen­tral­bank­po­li­tik ist doch aber Geschich­te, oder?

LW: Deutsch­land hat­te damals der Errich­tung einer EZB unter der Prä­mis­se zuge­stimmt, dass die­se einen Kurs ähn­lich der dama­li­gen Bun­des­bank ver­folgt. Die­se Prin­zi­pi­en sind jedoch schon lan­ge über Bord gewor­fen worden.

RK: Wor­an kann man das festmachen?

LW: An vie­lem, vor allem aber an den mas­si­ven Anlei­hen­käu­fen der EZB, die fak­tisch eine, an sich ver­bo­te­ne, Mone­ti­sie­rung der Staats­ver­schul­dung bedeuten.

RK: Droht dann der Euro­zo­ne der Hair­cut wie in Argentinien?

LW: Argen­ti­ni­en ver­schul­de­te sich in Dol­lar – bevor es zah­lungs­un­fä­hig wur­de. Die Euro­zo­ne ver­schul­det sich hin­ge­gen in Euro. Der Euro ist eine sta­bi­le Reser­ve­wäh­rung. Allein des­we­gen kann die Euro­zo­ne nicht ein­fach so plei­te gehen. Das heißt, alle Mit­glied­staa­ten haben einen ziem­lich gro­ßen Spiel­raum für Staats­schul­den und kön­nen damit rech­nen, dass die EZB ein­springt, wenn die Anle­ger nicht mehr mit­spie­len wol­len. Die Deut­schen sind in der Zen­tral­bank ziem­lich isoliert.

RK: Bedeu­te­te das letzt­lich auch das Ende der D‑Mark?

LW: Die Ära der D‑Mark ende­te für mich spä­tes­tens mit der grie­chi­schen Staats­schul­den­kri­se, als man ange­fan­gen hat, sta­bi­li­täts­po­li­ti­sche Ele­men­te über Bord zu werfen.

RK: Inwie­fern ist die Wäh­rungs­uni­on von 2002 mit der von 1990 vergleichbar?

LW: Kaum. Die heu­ti­gen Euro-Mit­glieds­staa­ten muss­ten sich dem har­ten Régime des Maas­tricht-Ver­tra­ges unter­wer­fen. Dadurch wur­den Pro­zes­se in Gang gesetzt, die durch­aus zu einer Anglei­chung der Wirt­schafts­kraft in den EU-Län­dern geführt hat. Die­ser Reform-Pro­zess wur­de in der DDR über­sprun­gen, bzw. konn­te erst nach der Wäh­rungs­uni­on lang­sam und schmerz­haft durch­ge­führt wer­den. Im Grun­de ist der Pro­zess bis heu­te nicht abgeschlossen.

Zur Per­son:

Lothar Weni­ger stu­dier­te Finanz­wis­sen­schaf­ten in Mon­tré­al und pro­mo­vier­te 1987 am Lehr­stuhl für Volks­wirt­schafts­leh­re der Uni Kiel mit einer Arbeit zum Euro­päi­schen Wäh­rungs­sys­tem. Im sel­ben Jahr begann er beim IWF in Washing­ton, wo er an wirt­schaft­li­chen Sta­bi­li­sie­rungs­pro­gram­men in Ent­wick­lungs­län­dern arbei­te­te. 1989 – noch vor dem Mau­er­fall – erfolg­te die Ent­sen­dung zum Wirt­schafts­mi­nis­te­ri­um nach Bonn, wo er schließ­lich bis 1991 im Refe­rat zur Wäh­rungs­uni­on arbei­te­te. Danach wech­sel­te er ins Invest­ment­ban­king, zunächst bei Salo­mon Brot­hers und schließ­lich bei der Dresd­ner Bank, SBC War­burg und der DZ Bank. 2014 folg­te er dem Ruf als Finanz­be­ra­ter des Prä­si­den­ten der Zen­tral­bank von Surinam.

Refe­ren­ces