Von Ralf Keuper

Wenn wir Men­schen mit Tat­sa­chen kon­fron­tiert wer­den, die unse­rer Vor­stel­lung, die wir uns von einem Sach­ver­halt gebil­det haben, wider­spre­chen, dann bezeich­net man das in der Sozi­al­psy­cho­lo­gie als Kogni­ti­ve Dis­so­nanz. Häu­fig sind wir dann bestrebt, die­sen als unan­ge­nehm emp­fun­de­nen Span­nungs­zu­stand zwi­schen Wunsch und Rea­li­tät auf­zu­he­ben und das alte Gleich­ge­wicht wie­der­her­zu­stel­len. Nicht sel­ten pas­sen wir dabei die Rea­li­tät unse­ren Wunsch­vor­stel­lun­gen an, ohne uns tie­fer mit den Ursa­chen der Abwei­chung zu beschäf­ti­gen. Das Glei­che kann sich auch in Orga­ni­sa­tio­nen abspie­len, die, über­zeugt davon, den rich­ti­gen Wer­ten zu fol­gen, Tat­sa­chen, die die­sem Wunsch­bild wider­spre­chen, nicht zur Kennt­nis neh­men oder umdeu­ten und auch kei­nen Drang ver­spü­ren, nach abwei­chen­den Beob­ach­tun­gen zu suchen. Wer die eige­nen “Wer­te” teilt, oder zumin­dest vor­gibt es zu tun, der gilt so lan­ge als glaub­wür­dig, bis das Gegen­teil bewie­sen wur­de – und zwar von Dritten.

Aktu­el­les Bei­spiel ist die Bezie­hung zwi­schen Tomor­row und Fynn Kli­e­mann. Nach den Ver­öf­fent­li­chun­gen von Jan Böh­mer­mann in ZDF Roya­le sah sich Tomor­row gezwun­gen, die Geschäfts­be­zie­hung mit Kli­e­mann und Glo­bal Tac­tics zu been­den. Man habe, so Tomor­row auf twit­ter, die­se Ent­schei­dung auf Basis sei­ner Wer­te getrof­fen. Eben die­se Wer­te waren es jedoch, die sei­ner­zeit die Basis für die Ent­schei­dung waren, die Geschäfts­be­zie­hung mit Kli­e­mann und Glo­bal Tac­tics ein­zu­ge­hen. Zur eige­nen Recht­fer­ti­gung bringt Tomor­row das Argu­ment, dass man nun mal anders als das ZDF nicht meh­re­re Per­so­nen mit inves­ti­ga­ti­ven Recher­chen beauf­tra­gen und finan­zie­ren kön­ne. Das ist so weit rich­tig. Aller­dings gab es in der Ver­gan­gen­heit schon genü­gend Hin­wei­se dar­auf, dass bei Kli­e­mann eini­ges nicht so lief, wie es in Inter­views und ande­ren Bei­trä­gen dar­ge­stellt wur­de. Dass im Kli­e­manns­land die Mit­ar­bei­ter nicht bezahlt wur­den, son­dern nur Kost und Logis gestellt beka­men, war hin­läng­lich bekannt. Inwie­weit das mit den Wer­ten von Tomor­row ver­ein­bar war?[1]Vgl. dazu: https://twitter.com/mcbruddaal/status/1523917025600585728[2]Vgl. dazu: https://twitter.com/JohnnySchewski/status/1382585496472260608[3]Vgl. dazu: https://twitter.com/karmapaleo/status/1385688729998741508. Dazu hät­te es kei­nes all­zu gro­ßen Recher­che­auf­wands bedurft. Übri­gens: Kli­e­mann hat sich für sei­ne Wer­bung für Tomor­row bezah­len las­sen[4]Vgl. dazu: https://twitter.com/_tomorrow_one/status/1524341049791025152[5]Vgl. dazu: In eige­ner Sache: Der Pos­til­lon been­det jeg­li­che Zusam­men­ar­beit mit Fynn Kli­e­mann – auch wenn wir* bis vor einer Woche nicht mal wuss­ten, wer das über­haupt ist[6]Wie kön­nen wir Flynn Kli­e­mann ret­ten?[7]Gegen­über Grün­der­sze­ne gibt sich Tomor­row ange­sichts der Vor­wür­fe gegen Fynn Kli­e­mann “scho­ckiert”: Fin­tech Tomor­row rech­net mit Fynn Kli­e­mann ab: „Sind scho­ckiert“ .

Kli­e­mann wuss­te, wel­che Stich­wor­te er brin­gen, wel­che Vor­stel­lun­gen er bedie­nen muss­te, um als Pio­nier nach­hal­ti­gen Wirt­schaf­tens aner­kannt zu wer­den. Solan­ge das der Fall war, konn­te er rela­tiv sicher sein, dass abwei­chen­des Ver­hal­ten über­se­hen bzw. nicht zur Kennt­nis genom­men wur­de – und das nicht nur bei Tomor­row[8]Das Phä­no­men ist in der gesam­ten Fin­tech-Sze­ne weit ver­brei­tet. Man muss nur behaup­ten, den Nut­zer, die Nut­ze­rin in den Fokus zu stel­len und die höchst­mög­li­che “Usa­bi­li­ty” ver­spre­chen, dann ist … Con­ti­nue rea­ding.

Es gibt – gera­de im sog. Wohl­fühl­ka­pi­ta­lis­mus – vie­le Geschich­ten, die – zumin­dest auf den ers­ten Blick – zu schön sind, um wahr zu sein. Die Rea­li­tät ist häu­fig weit­aus pro­fa­ner, oder, wie es der Phi­lo­soph Hans Blu­men­berg aus­drück­te[9]Viel­leicht soll­ten Fin­tech-Start­ups wie tomor­row sich fra­gen, ob es tat­säch­lich so eine gute Idee ist, eng mit Influen­cern zusam­men­zu­ar­bei­ten: Stu­die zu Wer­be­prak­ti­ken und direk­ten Kauf­ap­pel­len an … Con­ti­nue rea­ding:

Die nack­te Wahr­heit ent­täuscht. Weil sie nackt ist, hat sie kei­ne Aus­re­de und kei­nen Vor­be­halt mehr an dem, was sie noch ver­ber­gen könn­te. Die wis­sen­schaft­li­che Erklä­rung, ans Ziel gekom­men, bestimmt sich immer wie­der durch die­se meta­pho­ri­sche Situa­ti­on: Wir ver­ach­ten alles, was sich erklä­ren lässt. Irgend eine Dumm­heit hat sich über­ra­schen las­sen und stand nackend da vor ihrem Erklä­rer[10]Quel­le: Hans Blu­men­berg: Die nack­te Wahr­heit

Refe­ren­ces

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1 Vgl. dazu: https://twitter.com/mcbruddaal/status/1523917025600585728
2 Vgl. dazu: https://twitter.com/JohnnySchewski/status/1382585496472260608
3 Vgl. dazu: https://twitter.com/karmapaleo/status/1385688729998741508
4 Vgl. dazu: https://twitter.com/_tomorrow_one/status/1524341049791025152
5 Vgl. dazu: In eige­ner Sache: Der Pos­til­lon been­det jeg­li­che Zusam­men­ar­beit mit Fynn Kli­e­mann – auch wenn wir* bis vor einer Woche nicht mal wuss­ten, wer das über­haupt ist
6 Wie kön­nen wir Flynn Kli­e­mann retten?
7 Gegen­über Grün­der­sze­ne gibt sich Tomor­row ange­sichts der Vor­wür­fe gegen Fynn Kli­e­mann “scho­ckiert”: Fin­tech Tomor­row rech­net mit Fynn Kli­e­mann ab: „Sind schockiert“ 
8 Das Phä­no­men ist in der gesam­ten Fin­tech-Sze­ne weit ver­brei­tet. Man muss nur behaup­ten, den Nut­zer, die Nut­ze­rin in den Fokus zu stel­len und die höchst­mög­li­che “Usa­bi­li­ty” ver­spre­chen, dann ist alles Wei­te­re eigent­lich nur Neben­sa­che – sie­he N26. Fai­rer­wei­se muss man ein­räu­men, dass ein Start­up mit der Bot­schaft “Wir wol­len zuerst Geld ver­die­nen, unse­re Mit­ar­bei­ter markt­üb­lich bezah­len, die neu­es­te vor­han­de­ne Tech­no­lo­gie dabei ein­set­zen und die Mit­be­stim­mung respek­tie­ren” kei­nen Pitch gewin­nen und von den Medi­en nicht abge­fei­ert würde
9 Viel­leicht soll­ten Fin­tech-Start­ups wie tomor­row sich fra­gen, ob es tat­säch­lich so eine gute Idee ist, eng mit Influen­cern zusam­men­zu­ar­bei­ten: Stu­die zu Wer­be­prak­ti­ken und direk­ten Kauf­ap­pel­len an Kin­der in sozia­len Medi­en Ein For­schungs­pro­jekt im Auf­trag der KJM
10 Quel­le: Hans Blu­men­berg: Die nack­te Wahrheit