Von Ralf Keuper

Die Dis­kus­sio­nen um die Zukunft des Ban­king ange­sichts der fort­schrei­ten­den Digi­ta­li­sie­rung krankt m.E. beson­ders dar­an, dass hier all­zu oft ver­sucht wird, das The­ma von der Detail­e­be­ne aus zu betrach­ten. In der Wis­sen­schafts­theo­rie wird die­ses Vor­ge­hen als Induk­ti­on bezeich­net, d.h. es wird von Ein­zel­be­ob­ach­tun­gen auf die Gesamt­heit geschlos­sen. Im Gegen­satz dazu geht die Deduk­ti­on von dem Gan­zen aus und schließt von dort auf die ein­zel­nen Phä­no­me­ne. Bei­de Vor­ge­hens­wei­sen haben ihre Vor- und Nach­tei­le. Die pro­mi­nen­tes­ten Kri­ti­ker der Induk­ti­on waren David Hume und Karl R. Pop­per. Pop­per wies am Bei­spiel des Pro­blems des “Schwar­zen Schwans” nach, dass die vor­schnel­le Ver­all­ge­mei­ne­rung dazu bei­tra­gen kann, Mög­lich­kei­ten, wie die eines Schwar­zen Schwans, aus­zu­schlie­ßen. Man spricht in dem Zusam­men­hang auch von dem Induk­ti­ven Fehl­schluss. Die Deduk­ti­on wie­der­um kann zu einem Tota­li­täts­an­spruch füh­ren, wie bei Hegel, der ein­mal sagte:

Wenn die Fak­ten nicht zur Theo­rie pas­sen – schlecht für die Fakten!

Wie gesagt, haben wir es nach mei­nem Ein­druck im Ban­king mit zuviel Induk­ti­on und zu wenig Deduk­ti­on zu tun. So wird die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on des Ban­king, vor allem in Bera­ter­krei­sen, so auf­ge­fasst, dass es in ers­ter Linie dar­um geht, die Pro­zes­se zu digi­ta­li­sie­ren und auf den Kun­den aus­zu­rich­ten. Neu­er­dings wird die­ser Rat ergänzt um die Emp­feh­lung, die eige­nen IT-Sys­te­me Drit­ten gegen­über mit­tels APIs zu öff­nen und die Bank in eine Platt­form oder gleich in ein Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men zu ver­wan­deln. Sofern die­se Bedin­gun­gen erfüllt sind, kön­nen die Ban­ken auch in der digi­ta­len Welt die Rol­le ein­neh­men, die sie in der mehr oder weni­ger ana­lo­gen schon immer hat­ten. So schön es in der Theo­rie auch stim­men mag, die Pra­xis sieht der­weil anders aus – der klas­si­sche Fall eines induk­ti­ven Fehlschlusses.

Über die Jah­re ist man bei der Ein­schät­zung der künf­ti­gen Ent­wick­lung des Ban­king fast immer von den Ban­ken sel­ber aus­ge­gan­gen. Die Schluss­fol­ge­run­gen basier­ten auf der Annah­me, dass Ban­ken auch künf­tig mit ande­ren Ban­ken kon­kur­rie­ren wer­den und sich das Feld poten­zi­el­ler Mit­be­wer­ber, wie schon in der Ver­gan­gen­heit, allein durch die Regu­lie­rung, schnell lich­ten wer­de. Auf die Idee, die größ­te Bedro­hung für das eige­ne Geschäfts­mo­dell könn­te von bis­lang bran­chen­frem­den Mit­be­wer­bern, die kei­ne Bank sind und auch nicht sein wol­len (!), aus­ge­hen, kamen und kom­men die meis­ten Bera­ter und auch vie­le Ban­ken­ver­tre­ter nicht. Den “Schwar­zen Schwan” Big­Tech hat­ten sie nicht auf der Lis­te. Nun ist der da – und gleich mehrfach.

Ohne die nöti­ge Digi­ta­le Sou­ve­rä­ni­tät sind alle Bemü­hun­gen der Ban­ken, von der Detail­e­be­ne aus Boden gut zu machen, so vor­treff­lich ihre Aus­füh­rung auch gelin­gen mag, ver­geb­lich. Oder, um es mit den Wor­ten von Sebas­ti­an Haff­ner auszudrücken:

Ent­schei­den­de Feh­ler im gesamt­stra­te­gi­schen Kon­zept sind durch noch so glän­zen­de Detail­leis­tun­gen im ope­ra­ti­ven Bereich nicht wie­der einzuholen.

Dar­aus folgt: Ohne die Berück­sich­ti­gung der Tat­sa­che, dass die Bran­chen­gren­zen zuneh­mend ver­wi­schen und der eigent­li­che Wett­be­werb auf der Infor­ma­ti­ons­ebe­ne aus­ge­tra­gen wird, sind alle tak­ti­schen und ope­ra­ti­ven Manö­ver der Ban­ken zum schei­tern ver­ur­teilt. Wer über die meis­ten und bes­ten Meta­da­ten ver­fügt (Vgl. dazu: Daten­ex­plo­si­on – Die Gesell­schaft der Meta­da­ten), ist künf­tig klar im Vor­teil; mit ihrer Hil­fe las­sen sich die Daten­spu­ren, wel­che die Nut­zer und ihre Gerä­te im Inter­net hin­ter­las­sen, erst in wert­hal­ti­ge Infor­ma­tio­nen und Aktio­nen (Pro­duk­te, Ser­vices, Wer­bung) ver­wan­deln. Zur glei­chen Aggre­ga­ti­ons­stu­fe zäh­len die Digi­ta­len Iden­ti­tä­ten bzw. die Iden­tiy Graphs der Nut­zer und Gerä­te. Genau hier set­zen Goog­le, Apple & Co an. Von hier aus kön­nen sie Schicht für Schicht vor­ge­hen, bis sie auf der Detail­e­be­ne, dem Nut­zer­ver­hal­ten, ange­kom­men sind. Mit ihren Gerä­ten, ihrer Soft­ware und Geschäfts­be­din­gun­gen kön­nen sie das Ver­hal­ten der Nut­zer im hohen Maß beein­flus­sen, wenn­gleich nicht voll­stän­dig bestim­men. Dar­aus wird deut­lich, wie gering die Erfolgs­aus­sich­ten für die Ban­ken sind, wenn sie die umge­kehr­te Rich­tung einschlagen.

Anders ver­hält es sich, wenn die Ban­ken ihre Blick­rich­tung ver­än­dern und die hohe stra­te­gi­sche Bedeu­tung der Meta­da­ten und Digi­ta­len Iden­ti­tä­ten für ihr Geschäft aner­ken­nen. Ziel müss­te es sein, sich als ver­trau­ens­wür­di­ger Treu­hän­der der Nut­zer in der Digi­ta­l­öko­no­mie zu posi­tio­nie­ren, u.a. mit dem Bank­ge­heim­nis 4.0. Eben­so, wie in der ana­lo­gen Welt, könn­ten die Ban­ken von die­sem Punkt aus, den Kun­den Pro­duk­te (Toke­niza­ti­on) und Ser­vices (Digi­tal Asset Manage­ment) anbie­ten, die sie unabhängig(er) und selbst­be­stimm­ter gegen­über den sog. Daten­kra­ken auf­tre­ten lassen.

Theo­re­ti­sche Über­le­gun­gen haben also durch­aus ihre Vor­zü­ge 😉 Denn, wie heisst es doch:

Nichts ist so prak­tisch wie eine gute Theo­rie (Kurt Lewin).