Von Ralf Keuper
Die Industrielle Revolution wurde im Mutterland des Kapitalismus durch eine Wirtschaftspolitik gefördert, die sich überwiegend an den Interessen der Unternehmer orientierte, und eine Regulierung des Marktes durch den Staat unbedingt zu verhindern suchte. Soziale Probleme wurden ausgeklammert. Bekannt wurde diese Wirtschaftsform unter dem Begriff Manchesterkapitalismus – als Synonym für Ausbeutung und Profitgier.
Als die Arbeiter mit Unterstützung der Gewerkschaften begannen, ihre Rechte in den Betrieben anzumelden und die unterschiedlichen Interessenlagen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu thematisieren, empfanden das die meisten Unternehmer als den Versuch, sie zu enteignen. Mit dem Betriebsverfassungsgesetz, der Montan-Mitbestimmung und dem Mitbestimmungsgesetz von 1976 wurden die Rechte der Arbeitnehmer in Deutschland gestärkt. Damit wurde dem Umstand Rechnung getragen, dass mündige Staatsbürger auch im Betrieb nicht wie bloße Befehlsempfänger behandelt werden sollten. Im sog. Rheinischen Kapitalismus war es Konsens, dass die Mitbestimmung dem Wohlstand mehr nutzt als schadet[1]Vorteil Mitbestimmung. Unternehmer wie Reinhard Mohn von Bertelsmann machten die Mitbestimmung zum zentralen Element der Unternehmenskultur – Erfolg durch Partnerschaft.
Die heutige Startup-Szene, die sich als Vorreiter einer neuen Wirtschafts- und Gesellschaftsform versteht, tut sich schwer damit, Errungenschaften, wie die Mitbestimmung als wichtiges Element der Unternehmenskultur zur akzeptieren, wie aktuell der Fall N26 zeigt. Dort haben die Gründer die geplante Betriebsratswahl mit einer einstweiligen Verfügung vorerst verhindert[2]N26-Gründer wehren sich gegen Betriebsratsgründung – Wahlen müssen verschoben werden. Als Begründung wird ein mangelndes Hygienekonzept angeführt.
Überhaupt, so lässt das N26-Management verlauten, steht die Gründung eines Betriebsrats im Widerspruch zur “Unternehmenskultur” und den “Werten” von N26. Die Kultur des Vertrauens würde damit untergraben.
Nun – wenn es mit der Kultur und den Werten so gut stehen würde, wie die N26-Führung annimmt, dann wäre der Konflikt in dieser Form nicht entstanden. Stattdessen wird er nun in der Öffentlichkeit ausgetragen. Das N26-Management hängt einem antiquierten Führungsverständnis nach Gutsherrenart an. Der Patriarch weiß, was gut für seine Untergebenen ist. Mitsprache, wie sie typisch für demokratische Gesellschaften ist, ist diesem Verständnis nach schlicht ineffizient und unnötig. Da man eh an einem Strang zieht und an der Verwirklichung der gemeinsamen Vision arbeitet, sind Konflikte gar nicht möglich. Die Interessen sind deckungsgleich.
Nein, sind sie nicht. Solange Arbeitnehmer in ein Unternehmen eintreten, ihm ihre Arbeitskraft und Lebenszeit zur Verfügung stellen und ihre eigene wirtschaftliche Existenz im hohen Maß von dem Fortbestand des Unternehmens und seiner Akzeptanz in der Gesellschaft abhängig ist, weichen die Interessen hin und wieder z.T. deutlich voneinander ab. Fehlt das Vertrauen der Mitarbeiter in die Führung, hat das negative Auswirkungen auf das Betriebsklima wie auch auf die Gesundheit der Mitarbeiter – und nicht zuletzt auf den ökonomischen Erfolg. Ganz abgesehen von dem Eindruck, den das Unternehmen in der Öffentlichkeit und bei den Kunden hinterlässt. Ein Unternehmen, auch ein Startup, ist für seinen wirtschaftlichen Erfolg auf die gesellschaftliche Akzeptanz angewiesen – insbesondere dann, wenn es im Finanzbereich tätig ist.
Die Gesellschaft wird auch ohne N26 auskommen – ganz sicher. Für Manchesterkapitalismus im neuen, hippen Gewand besteht kein Bedarf. Diese gesellschaftliche Entwicklungsstufe haben wir hoffentlich hinter uns gelassen.
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