Von Ralf Keuper
Auch fast zwanzig Jahre nach seinem Tod hat uns der Systemtheoretiker Niklas Luhmann noch immer viel zu sagen. Aus Anlass seines 90. Geburtstages richtet die Universität Bielefeld in den nächsten Tagen eine Tagung aus, auf der ein Text aus dem wissenschaftlichen Nachlass diskutiert wird, der im Suhrkamp Verlag erscheinen wird (Vgl. dazu: Zum 90. Geburtstag von Niklas Luhmann. Neue Publikation aus seinem Nachlass). Obwohl Luhmann kein eigenes Buch zum Bank- und Geldwesen verfasst hat, diese Aufgabe überließ er seinem Schüler Dirk Baecker, hat er das Thema in vielen seiner Veröffentlichungen aufgegriffen, wie z.B. in Vertrauen: Ein Mechanismus zur Reduktion sozialer Komplexität. Darin stellt er den Bezug zwischen System- und Geldvertrauen her:
Wer in die Stabilität des Geldwertes und in die Kontinuität einer Vielfalt von Verwendungsmöglichkeiten vertraut, setzt im Grunde voraus, dass ein System funktioniert, und setzt sein Vertrauen nicht in bekannte Personen, sondern in dieses Funktionieren. Ein solches Systemvertrauen wird durch laufend sich bestätigende Erfahrungen in der Geldverwendung gleichsam von selbst aufgebaut. Es bedarf einen laufenden >feedback<, aber keiner besonderer Innengarantien und ist daher unvergleichbar viel leichter zu lernen als persönliches Vertrauen in immer wieder neue Personen. Andererseits ist es ungleich schwieriger zu kontrollieren. Zwar gibt es gerade in Bezug auf das Geldwesen zahlreiche Ereignisse, die symptomatische Bedeutung für die Vertrauensfrage haben, Warnfunktionen für Wissende ausüben und spezifische Defensiven oder Anpassungsreaktionen nahelegen. Deren Beherrschung stellt aber höchste Anforderungen an Wachsamkeit und Zeitaufwand, gelerntes Wissen und Intelligenz, so dass sie nur wenigen gelingt. Durch Umstellung von Personenvertrauen auf Systemvertrauen wird das Lernen erleichtert und die Kontrolle erschwert. So kommt es typisch zu einem gleichsam automatisch gelernten Geldvertrauen, indem der Vertrauende sich abhängig weiß vom Funktionieren eines hochkomplexen Systems, das er nicht durchschauen kann, obwohl es an sich durchschaubar ist. Der Vertrauende weiß sich korrekturunfähig, fühlt sich damit Unvorhersehbarem ausgeliefert und muss trotzdem wie unter Zwangsvorstellungen weiter vertrauen. Wenn ein solches Vertrauen in Geld institutionalisiert ist und sich im großen und ganzen bewährt, ist damit eine Art Gewißheitsäquivalent geschaffen. Wer Geld besitzt, verfügt über ein generelles Problemlösungsmittel und kann innerhalb dessen Reichweite deshalb auf Voraussicht >spezifischer< Problemsituationen verzichten. Liquidität erspart Information.
Übertragen auf die heutige Zeit könnten wir die Frage stellen, ob und inwieweit Digitale Währungen sowie Distributed Ledger Technologies, wie Blockchain, das nötige Systemvertrauen herstellen können und ob sie in der Lage sind, das Geldvertrauen der Menschen zu erwerben. Daher noch noch einmal eine Passage aus dem obigen Zitat:
So kommt es typisch zu einem gleichsam automatisch gelernten Geldvertrauen, indem der Vertrauende sich abhängig weiß vom Funktionieren eines hochkomplexen Systems, das er nicht durchschauen kann, obwohl es an sich durchschaubar ist. ..
Wenn ein solches Vertrauen in Geld institutionalisiert ist und sich im großen und ganzen bewährt, ist damit eine Art Gewißheitsäquivalent geschaffen.
Wir werden sehen.