Die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on im Bank­we­sen hat eine Radi­ka­li­tät erreicht, die weit über tech­no­lo­gi­sche Inno­va­ti­on hin­aus­geht. Eine IAB-Stu­die aus dem Jahr 2019 offen­bar­te ein scho­nungs­lo­ses Bild: Bis zu 88 Pro­zent aller Tätig­kei­ten in der Ban­ken­bran­che kön­nen poten­zi­ell auto­ma­ti­siert wer­den. Die­se Zahl ist mehr als eine sta­tis­ti­sche Kenn­grö­ße – sie ist eine Zeit­an­sa­ge an ein Geschäfts­mo­dell[1]vgl. dazu: Struk­tur­wan­del und Beschäf­ti­gungs­ent­wick­lung in der Finanz­bran­che in Deutsch­land #1 .

Der Kern der Dis­rup­ti­on liegt in einer ernüch­tern­den Erkennt­nis: Vie­le Bank­mit­ar­bei­ter ver­hal­ten sich bereits heu­te wie mensch­li­che Algo­rith­men. Ihre Inter­ak­tio­nen sind so stark stan­dar­di­siert, so regel­kon­form und so vor­her­seh­bar, dass ein Turing-Test kaum einen Unter­schied zwi­schen mensch­li­cher und künst­li­cher Kom­mu­ni­ka­ti­on offen­ba­ren wür­de. Kre­dit­prü­fun­gen, Stan­dard­be­ra­tun­gen, Doku­men­ten­ver­ar­bei­tun­gen – sie fol­gen prä­zi­sen, oft mecha­ni­schen Mus­tern, die sich per­fekt für eine KI-basier­te Auto­ma­ti­sie­rung eig­nen[2]vgl. dazu: Ban­ken­bran­che auf den Spu­ren der Stahl­in­dus­trie #3.

Der dama­li­ge Chef der Deut­schen Bank, John Cryan, sag­te dazu im Jahr 2017:

In unse­ren Ban­ken haben wir Men­schen, die sich wie Robo­ter ver­hal­ten und mecha­ni­sche Din­ge tun, mor­gen wer­den wir Robo­ter haben, die sich wie Men­schen verhalten …

Und wei­ter:

Wir müs­sen neue Wege fin­den, um Men­schen zu beschäf­ti­gen, und viel­leicht müs­sen die Men­schen neue Wege fin­den, um ihre Zeit zu ver­brin­gen… Die ehr­li­che Ant­wort ist, dass wir nicht so vie­le Men­schen brau­chen werden.

Die­se Trans­for­ma­ti­on geht weit über tech­no­lo­gi­sche Effi­zi­enz hin­aus. Sie stellt fun­da­men­ta­le Fra­gen nach der Rol­le mensch­li­cher Arbeit in Finanz­dienst­leis­tun­gen. Tra­di­tio­nel­le Bank­funk­tio­nen wie Kun­den­ser­vice, Trans­ak­ti­ons­ab­wick­lung und Risi­ko­be­wer­tung wer­den nicht nur opti­miert, son­dern poten­zi­ell kom­plett neu defi­niert. Die Kon­se­quenz ist eine mas­si­ve Per­so­nal­re­duk­ti­on und eine Neu­aus­rich­tung von Bank­ge­schäfts­mo­del­len. Dar­an wird auch der demo­gra­phi­sche Wan­del nicht all­zu viel ändern.

Gleich­zei­tig zeigt sich ein kom­ple­xes Span­nungs­feld: Tech­no­lo­gisch ist die nahe­zu voll­stän­di­ge Auto­ma­ti­sie­rung bereits mög­lich. Die tat­säch­li­che Umset­zung wird jedoch durch regu­la­to­ri­sche Hür­den, gesell­schaft­li­che Akzep­tanz und gewerk­schaft­li­chen Wider­stand gebremst. Die Trans­for­ma­ti­on ist nicht nur eine Fra­ge der Tech­no­lo­gie, son­dern der gesell­schaft­li­chen Aushandlung.

Die 88-Pro­zent-Mar­ke der Auto­ma­ti­sier­bar­keit ist mehr als eine Pro­gno­se. Sie ist eine Zeit­an­sa­ge an ein Geschäfts­mo­dell, das sich zwi­schen Tra­di­ti­on und radi­ka­ler Dis­rup­ti­on bewegt. Ban­ken ste­hen vor der Her­aus­for­de­rung, nicht nur Tech­no­lo­gie zu imple­men­tie­ren, son­dern auch ihre gesell­schaft­li­che Rol­le neu zu definieren.

Gene­ra­ti­ve KI und KI-Agen­ten beschleu­ni­gen die Entwicklung 

Wäh­rend frü­he­re Tech­no­lo­gien pri­mär auf star­ren, vor­de­fi­nier­ten Regel­wer­ken basier­ten, ermög­licht gene­ra­ti­ve KI eine dyna­mi­sche, kon­text­be­zo­ge­ne Prozessoptimierung.

Tra­di­tio­nel­le Sys­te­me fun­gier­ten als digi­ta­le Sach­be­ar­bei­ter mit fest­ge­leg­ten Hand­lungs­an­wei­sun­gen – ver­gleich­bar einem Mit­ar­bei­ter, der aus­schließ­lich nach Check­lis­ten arbei­tet. Gene­ra­ti­ve KI-Sys­te­me hin­ge­gen ope­rie­ren wie intel­li­gen­te Bera­ter, die Zusam­men­hän­ge ver­ste­hen, Mus­ter erken­nen und Ent­schei­dun­gen situa­tiv anpas­sen können.

Der wesent­li­che Unter­schied mani­fes­tiert sich in der Fle­xi­bi­li­tät und dem Kon­text­ver­ständ­nis. Wo RPA-Sys­te­me nur vor­de­fi­nier­te Pro­zess­schrit­te abbil­den, kön­nen KI-Agen­ten kom­ple­xe Ent­schei­dungs­pro­zes­se in Echt­zeit ana­ly­sie­ren. Sie inte­grie­ren unstruk­tu­rier­te Daten, inter­pre­tie­ren seman­ti­sche Nuan­cen und gene­rie­ren maß­ge­schnei­der­te Lösungen.

In der Kre­dit­be­ar­bei­tung bedeu­tet dies kon­kret: Statt einer star­ren Risi­ko­be­wer­tung basie­rend auf weni­gen Kenn­zah­len kann ein KI-Sys­tem jetzt kom­ple­xe Zusam­men­hän­ge berück­sich­ti­gen – von Bran­chen­trends bis hin zu indi­vi­du­el­len Unter­neh­mens­pro­fi­len. Die Ana­ly­se wird ganz­heit­li­cher, kon­text­sen­si­ti­ver und präziser.

Neue Hand­lungs- und Beschäftigungsfelder 

Für Ban­ken eröff­net die­se Tech­no­lo­gie völ­lig neue stra­te­gi­sche Hand­lungs­fel­der: von per­so­na­li­sier­ten Finanz­pro­duk­ten über adap­ti­ve Kun­den­be­treu­ung bis hin zu vor­aus­schau­en­der Risi­ko­be­wer­tung. Gene­ra­ti­ve KI trans­for­miert das Ban­king von einem trans­ak­ti­ons­ori­en­tier­ten zu einem intel­li­gen­ten, lern­fä­hi­gen Ökosystem.

Die Tech­no­lo­gie ver­spricht nicht nur Effi­zi­enz­ge­win­ne, son­dern eine fun­da­men­ta­le Neu­aus­rich­tung der Wert­schöp­fung im Finanz­sek­tor. Ent­schei­dend wird sein, wie Ban­ken die­se Tech­no­lo­gie ethisch, kun­den­ori­en­tiert und regu­la­to­risch ver­ant­wor­tungs­voll implementieren.

Die digi­ta­le Trans­for­ma­ti­on im Bank­we­sen gene­riert nicht nur Dis­rup­ti­on, son­dern eröff­net gleich­zei­tig völ­lig neue Beschäf­ti­gungs­fel­der. Wäh­rend tra­di­tio­nel­le Rou­ti­ne­tä­tig­kei­ten ver­schwin­den, ent­ste­hen hoch­kom­ple­xe Auf­ga­ben­be­rei­che, die eine fun­da­men­ta­le Kom­pe­tenz­ver­schie­bung erfordern.

Im Zen­trum ste­hen neue Tätig­keits­pro­fi­le: KI-Sys­tem­de­sign und ‑Über­wa­chung wer­den zu Schlüs­sel­funk­tio­nen. Exper­ten müs­sen künst­li­che Intel­li­genz nicht nur ent­wi­ckeln, son­dern auch ethisch und stra­te­gisch reflek­tie­ren. Die Dis­zi­plin der KI-Gover­nan­ce gewinnt dra­ma­tisch an Bedeu­tung – es geht um mehr als tech­ni­sche Imple­men­tie­rung, son­dern um die gesell­schaft­li­che Ver­ant­wor­tung algo­rith­mi­scher Entscheidungssysteme.

Gleich­zei­tig ver­schie­ben sich Kom­pe­tenz­an­for­de­run­gen fun­da­men­tal. Von Mit­ar­bei­tern wird nicht mehr pri­mär Regel­kon­for­mi­tät erwar­tet, son­dern stra­te­gi­sches Den­ken, emo­tio­na­le Intel­li­genz und inter­dis­zi­pli­nä­res Arbei­ten. Kri­ti­sches Den­ken wird zum Dif­fe­ren­zie­rungs­merk­mal: Die Fähig­keit, KI-Sys­te­me zu hin­ter­fra­gen, zu inter­pre­tie­ren und kon­tex­tu­ell zu bewer­ten, wird zentral.

Die Her­aus­for­de­rung liegt in der Gleich­zei­tig­keit von Dis­rup­ti­on und Neu­auf­bau. Umfas­sen­de Wei­ter­bil­dungs­pro­gram­me sind nicht mehr optio­nal, son­dern exis­ten­zi­ell. Gleich­zei­tig wächst das Risi­ko der Aus­gren­zung gering­qua­li­fi­zier­ter Mit­ar­bei­ter. Die psy­cho­lo­gi­sche Bewäl­ti­gung die­ses Trans­for­ma­ti­ons­pro­zes­ses wird zur gesell­schaft­li­chen Schlüsselaufgabe.

Ban­ken mutie­ren von Finanz­dienst­leis­tern zu tech­no­lo­gie­ge­trie­be­nen Kom­pe­tenz­zen­tren. Daten­ana­ly­se und ‑inter­pre­ta­ti­on wer­den zu Kern­kom­pe­ten­zen. Mit­ar­bei­ter müs­sen zuneh­mend als Schnitt­stel­le zwi­schen kom­ple­xen tech­no­lo­gi­schen Sys­te­men und mensch­li­chen Bedürf­nis­sen agieren.

Der Wan­del ist mehr als eine tech­no­lo­gi­sche Revo­lu­ti­on – er ist eine com­pre­hen­si­ve Neu­ord­nung von Arbeit, Kom­pe­tenz und gesell­schaft­li­cher Wertschöpfung.

Filia­len nur noch für kom­ple­xe Vorgänge 

Filia­len wer­den in Zukunft nur noch für Vor­gän­ge benö­tigt, die einen direk­ten Kon­takt mit einem Bank­mit­ar­bei­ter, einer Bank­mit­ar­bei­te­rin erfor­dern[3]Bank­fi­lia­len wer­den künf­tig, wenn über­haupt, für kom­ple­xe Vor­gän­ge benö­tigt.

Oder, wie Chris Skin­ner schreibt:

Die Filia­len des letz­ten Jahr­hun­derts dien­ten aus­schließ­lich der Abwick­lung von Trans­ak­tio­nen – Ein­la­gen, Bar­geld, Schecks, Papier. Die Filia­len des nächs­ten Jahr­hun­derts sol­len die rei­bungs­lo­se Abwick­lung kom­ple­xer Trans­ak­tio­nen in Zei­ten der Not gewähr­leis­ten. Oder dafür soll­ten sie da sein.

Die Fra­ge ist daher nicht mehr, ob Auto­ma­ti­sie­rung statt­fin­det, son­dern wie schnell und mit wel­chen sozia­len Folgen.