Von Ralf Keuper

Mit der Plei­te der Kryp­to-Bank Nuri hat das Fin­tech-Ster­ben auch hier­zu­lan­de offi­zi­ell ein­ge­setzt. Zwar muss­ten in den letz­ten Jah­ren bereits meh­re­re, einst hoch gehan­del­te Fintechs die Segel strei­chen, wie Kre­di­te­ch und Wire­card – jedoch wird die Häu­fung in den nächs­ten Mona­ten noch deut­lich zuneh­men. Unter “nor­ma­len” makro­öko­no­mi­schen Bedin­gun­gen hät­ten ohne­hin nur die aller­we­nigs­ten Fin­tech-Start­ups eine Finan­zie­rung erhal­ten. In den Jah­ren unmit­tel­bar nach der Finanz­kri­se war man für jeden Hoff­nungs­schim­mer dank­bar. Schlüs­sel­be­grif­fe waren “User Expe­ri­ence” und “Neue Tech­no­lo­gien”. Wer die rich­ti­gen Schlag­wor­te vor­zu­brin­gen wuss­te, konn­te daher sicher sein, auf gro­ße Reso­nanz in den Medi­en und unter den Inves­to­ren zu tref­fen. Selbst die gra­vie­rends­ten Abwei­chun­gen von der nach außen trans­por­tier­ten Sto­ry wur­den und wer­den noch mit einer aus­ge­spro­chen hohen Feh­ler­to­le­ranz beglei­tet, igno­riert oder rela­ti­viert. Der rea­le Nut­zen, ins­be­son­de­re für die Kun­den und die Gesell­schaft, hielt sich in sehr über­schau­ba­ren Gren­zen. Pro­fi­ta­bel arbei­ten bis heu­te nur die wenigs­ten Fintechs. Wer konn­te, hat sein Fin­tech-Start­up noch recht­zei­tig ver­kauft. Wirk­lich erfolg­rei­che Exits waren die Aus­nah­me. In vie­len Fäl­len waren es Not­ver­käu­fe. Die Prot­ago­nis­tin­nen und Prot­ago­nis­ten der ers­ten Stun­de sind fast alle von der Bild­flä­che ver­schwun­den bzw. haben sich noch recht­zei­tig abgesetzt.

Nun kommt es so, wie es immer kommt. Gemäß der Kri­sen­theo­rie von Hyman Min­sky befin­det sich der Fin­tech-Markt in der letz­ten, der Panik-Pha­se. “Inzwi­schen ist es zu spät für Gewinn­mit­nah­men, und die Prei­se für Ver­mö­gens­wer­te bre­chen so schnell ein, wie sie einst gestie­gen sind. Da jeder ver­sucht, aus der Situa­ti­on Kapi­tal zu schla­gen, über­steigt das Ange­bot die Nach­fra­ge und vie­le müs­sen gro­ße Ver­lus­te hin­neh­men”. 

Die Inves­to­ren sind nicht mehr bereit, ihr Geld auf Geschäfts­mo­del­le zu wet­ten, die auf abseh­ba­re Zeit kei­ne Gewin­ne abwer­fen – schon gar nicht in einem sich ver­schlech­tern­den öko­no­mi­schen Umfeld. Selbst Mas­sen­ent­las­sun­gen rei­chen dann nicht mehr aus, um das Ruder noch herumzureißen.

Hal­ver­son bzw. Mira­baud haben eine Lis­te mit 20 Warn­zei­chen erstellt, auf die zu ach­ten ist,  um das nächs­te “gro­ße Fin­tech-Desas­ter” zu erken­nen[1]Fin­tech – Major Fail­ures Sin­ce 20089. Die­se sind:

  1. Mas­siv wer­ben­der CEO, der aktiv nach Publi­ci­ty sucht und viel Zeit damit ver­bringt, Wall Street/​Investoren usw. zu umwer­ben und sehr medi­en­ge­wandt ist
  2. Rie­si­ge Ver­gü­tungs­pa­ke­te für den CEO/​das Seni­or Manage­ment, die NICHT an den Cash­flow oder die Erträ­ge, son­dern nur an den Umsatz und/​oder den Akti­en­kurs gebun­den sind, was die Mög­lich­keit einer unge­heu­er­li­chen Ver­mö­gens­bil­dung schafft, wenn die Akti­en stark stei­gen. Enor­me Ver­pfän­dung von Sicher­hei­ten durch den CEO im Gegen­zug für Mar­gen­kre­di­te zur Finan­zie­rung eines mil­li­ar­den­schwe­ren Lebensstils
  3. Die Ver­gü­tung des Manage­ments liegt im All­ge­mei­nen weit über dem Niveau ande­rer Unter­neh­men, obwohl die Ren­ta­bi­li­tät deut­lich gerin­ger ist
  4. Hoch­tra­ben­de Zukunfts­pro­gno­sen, die sich über einen lan­gen Zeit­raum hin­weg immer wie­der als zu opti­mis­tisch herausstellen
  5. Frag­wür­di­ge Pro­dukt­qua­li­tät, d.h. Män­gel oder frag­wür­di­ger tech­no­lo­gi­scher Vor­sprung gegen­über ähn­li­chen Produkten
  6. Eini­ge Anzei­chen von Selbst­zer­ti­fi­zie­rung, sei es durch selt­sa­me inter­na­tio­na­le Toch­ter­ge­sell­schaf­ten oder durch das Feh­len eines Wirt­schafts­prü­fers oder durch unge­wöhn­li­che und leicht plötz­li­che Umsatz­sprün­ge am Ende des Quar­tals, bis hin zum letz­ten Tag.
  7. Unge­wöhn­li­che oder unge­prüf­te und hohe For­de­run­gen in einem Geschäft, bei dem das Pro­dukt im Vor­aus gegen Bar­geld getauscht wird
  8. Anzei­chen dafür, dass das Unter­neh­men mit knap­pen Mit­teln aus­kommt und Lie­fe­ran­ten, Mit­ar­bei­ter, Ver­mie­ter usw. nicht bezahlt
  9. Unge­wöhn­li­che Ent­wick­lung der Gewinn­span­ne, z. B. sin­ken­de SG + A trotz stei­gen­der glo­ba­ler Prä­senz oder gleich­blei­ben­de GM trotz deut­lich nied­ri­ge­rer ASP im Lau­fe der Zeit.
  10. Hohe Brut­to­ver­schul­dung. Bar­gut­ha­ben, denen kei­ne nen­nens­wer­ten Zins­er­trä­ge gegen­über­ste­hen, was dar­auf schlie­ßen lässt, dass sie betrü­ge­risch sind.
  11. Hohe Mit­ar­bei­ter­fluk­tua­ti­on, ins­be­son­de­re in den Berei­chen RECHT und FINANZ. Mit­be­grün­der oder Vor­stands­mit­glie­der ver­las­sen das Unternehmen.
  12. Aggres­si­ve Ver­fol­gung von Kri­ti­kern oder Leu­ten, die zu vie­le Fra­gen haben, die ohne­hin “lang­wei­lig” sind, durch bezahl­te Drit­te und/​oder “schwe­re Jungs”.
  13. Abnei­gung gegen Hedgefonds
  14. Mög­li­che nar­ziss­ti­sche Per­sön­lich­keits­stö­rung des CEOs. Zusätz­li­che Punk­te, wenn er/​sie viel Twit­ter benutzt
  15. Gro­ße Kaba­le von Ausgestoßenen/​Bloggern/​Twitterern, die seit Jah­ren sagen, dass alles falsch ist, aber nur viel Kri­tik bekom­men, weil die Aktie wei­ter steigt, also müs­sen sie Idio­ten sein
  16. Ver­lang­sam­tes Umsatz­wachs­tum trotz des gan­zen Tru­bels und des angeb­li­chen Sta­tus als “Wachs­tums­wert”. Anzei­chen von Wett­be­wer­bern, die einen unhalt­bar hohen Markt­an­teil rasch aufzehren.
  17. Ver­lust­brin­gend. Idea­ler­wei­se hat das Unter­neh­men noch nie Gewinn gemacht, tut aber ger­ne so, als ob es das täte, oder, falls das nicht der Fall ist, als ob es das in 2–3 Jah­ren auf­grund höchst frag­wür­di­ger neu­er Pro­duk­te ganz sicher tun wür­de. Aber die 2–3 Jah­re wer­den stän­dig hinausgeschoben.
  18. Aus­gie­bi­ge Verwendung/​ausschließliche Ver­wen­dung von NON-GAAP-Rech­nungs­le­gung und gele­gent­li­che Über­brü­ckung, um von einem Net­to­ver­lust zu einem (klei­nen) Net­to­ge­winn zu kom­men, durch schlecht erklär­te einmalige/​andere Posten/​ungewöhnlich gro­ße Kre­di­te irgend­ei­ner Art in einem ver­zwei­fel­ten Ver­such, mit ille­ga­len Mit­teln in einen Index zu kommen
  19. Schwa­cher Vor­stand, vor­zugs­wei­se eben­falls klein und idea­ler­wei­se in irgend­ei­ner Wei­se dem Vor­stands­vor­sit­zen­den hörig, der des­halb nach sei­ner Pfei­fe tanzt. Es ist hilf­reich, wenn eini­ge von ihnen mit dem CEO phy­sisch ver­wandt sind.
  20. Leicht­gläu­bi­ge Medi­en, leicht­gläu­bi­ge Ana­lys­ten und Dut­zen­de von bezahl­ten Blog­gern, die aus dem Nichts Kurs­zie­le auf der Grund­la­ge von “Opti­ons­wer­ten” oder, anders aus­ge­drückt, Pro­duk­ten auf­stel­len, die erst in min­des­tens fünf Jah­ren einen wesent­li­chen Ein­fluss haben werden.

Zum Glück gibt es ja noch das Metaverse 😉

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