Von Ralf Keuper

Neben der Meta­pher der Zeit­schich­ten von Rein­hart Koselleck hal­te ich die des Zeit­baums von Fried­rich Cra­mer eben­falls für beson­ders geeig­net, die Ver­än­de­run­gen, den Stil­wan­del im Ban­king zu veranschaulichen.

Schon mit Aris­to­te­les setzt für Cra­mer ein neu­es Zeit­ver­ständ­nis ein, das seit­dem das Leben, den Tages­ab­lauf der Men­schen struk­tu­riert und in gewis­ser Wei­se auch dominiert.

Aris­to­te­les, der Schü­ler Pla­tons .., führ­te einen Zeit­be­griff ein, den wir heu­te als digi­ta­le Zeit bezeich­nen wür­den, ein Zeit­be­griff, der sich nicht unbe­dingt auf die ewi­ge, “eine” unver­än­der­li­che Zeit beruft. Für ihn ist die Bewe­gung das Pri­mä­re und die Zeit eine Grö­ße, die die­se Bewe­gung, Ver­än­de­rung, Meta­mor­pho­se zu beschrei­ben gestat­tet, mehr nicht. … Aris­to­te­les schlägt eine Art “Sys­tem­zeit” vor, und sol­che Sys­tem­zei­ten misst die Digi­tal­uhr, unter Umstän­den sehr genau. ..
Genau bese­hen ist die aris­to­te­li­sche Abkop­pe­lung von der “ewi­gen” Zeit eine gewal­ti­ge Eman­zi­pa­ti­ons­leis­tung. Denn die Zeit als eine sekun­dä­re, abge­lei­te­te Grö­ße auf­zu­fas­sen, bedeu­tet im Grun­de Auf­ga­be von Sicher­heit, stellt einen Akt der Abkop­pe­lung vom sta­ti­schen kos­mi­schen Pro­zess dar (in: Der Zeit­baum. Grund­le­gung einer All­ge­mei­nen Zeittheorie).

Wenn man so will, kann Aris­to­te­les als der Vater der Digi­ta­li­sie­rung bezeich­net wer­den. Sein Leh­rer Pla­ton dage­gen, steht für das alte, ana­lo­ge Zeitverständnis.

Das abend­län­di­sche Den­ken ist und bleibt durch die bei­den Denk­wei­sen geprägt: Die “abso­lu­te Zeit” ein­ge­bet­tet in das abso­lu­te Sein in der Ideen­welt des Pla­ton – und die “Zeit des Wer­dens”, die irrever­si­ble Zeit des Aris­to­te­les (ebd.).

So waren die moder­nen Ban­ken schon immer Teil und Trei­ber der Digi­ta­li­sie­rung, trotz ihrer ansons­ten kon­ser­va­ti­ven Hal­tung. Die Ban­ken haben es über die Jahr­hun­der­te ver­stan­den, mit der irrever­si­blen Zeit zu gehen, ohne dabei den Kon­takt mit der abso­lu­ten Zeit völ­lig zu ver­lie­ren. Jeden­falls ver­sucht man in den Ban­ken bestimm­te Tra­di­tio­nen zu pfle­gen und nicht gleich jedem Trend hin­ter her zu laufen.

Das hat sich seit eini­gen Jahr­zehn­ten geän­dert. Kenn­zeich­nend dafür ist die Hin­wen­dung vie­ler gro­ßer Ban­ken zum Invest­ment­ban­king. Jüngs­ter Aus­druck die­ser Ent­wick­lung sind das Algo Tra­ding sowie das Auf­kom­men der sog. Quants. Die Geschwin­dig­keit im Ban­king nimmt ste­tig zu. Nicht immer hat man den Ein­druck, als wür­de den Ban­ken das Tem­po bekom­men. Hier domi­niert der irrever­si­ble Zeitbegriff.

Auf der ande­ren Sei­te jedoch, sind sie erstaun­lich sta­tisch. Der tech­no­lo­gi­sche Wan­del, die z.T. tur­bu­len­ten Ver­än­de­run­gen in ihrem Umfeld, schei­nen die Ban­ken mehr zu ver­un­si­chern, als zum Han­deln auf­zu­for­dern. Hier ver­weilt man ger­ne in der abso­lu­ten Zeit. Es scheint, als stel­le die Auf­ga­be der Syn­chro­ni­sa­ti­on der bei­den Zeit­wel­ten die Ban­ken vor einem unlös­ba­ren Dilem­ma, das in die­ser Form bis­her nicht exis­tier­te, wenn­gleich auch in der Ver­gan­gen­heit, man den­ke an die Tele­gra­fie und das Auf­kom­men des Com­pu­ters, das irrever­si­ble Zeit­ver­ständ­nis Ein­zug hielt.

Fried­rich Cra­mer war der Über­zeu­gung, dass rever­si­ble (abso­lu­te) und irrever­si­ble Zeit nicht von­ein­an­der getrennt behan­delt wer­den kön­nen, wozu er die Meta­pher des Zeit­baums entwarf:

Eine der The­sen die­ses Buchs wird sein, dass Zeit­lo­sig­keit und Zeit, oder, wie es hier genannt wird, rever­si­ble und irrever­si­ble Zeit .. nicht unver­bun­den als Gegen­sät­ze unab­hän­gig von­ein­an­der exis­tie­ren, die Zeit­lo­sig­keit .. gewis­ser­ma­ßen ein uner­reich­ba­res Ide­al, und die Zeit, in der sich etwas ereig­net .., uner­klär­bar, unbe­schreib­bar, son­dern dass bei­de in einer Art Getrie­be zusam­men­hän­gen, in wel­chem das Welt­ge­sche­hen auf­ge­hängt ist und das hier “Zeit­baum” genannt wird (ebd.).

Wie­viel absolute/​reversible Zeit und wie­viel irrever­si­ble Zeit braucht das Ban­king? Wie ist die opti­ma­le Ver­tei­lung? Kann eine Bank, wie ein Zeit­baum, die­ses Getrie­be noch zusam­men­hal­ten, synchronisieren?

So viel scheint sicher: Was die irrever­si­ble Zeit angeht, sind die Ban­ken kaum noch in der Lage, mit der Geschwin­dig­keit Schritt zu hal­ten. Hier sind ande­re Anbie­ter bes­ser geeig­net. Auf der ande­ren Sei­te jedoch, bleibt der Bedarf für die Hüter der abso­lu­ten Zeit bestehen, ja wird sogar noch wach­sen, da die Defi­zi­te des ande­ren Zeit­mo­dus immer deut­li­cher zu Tage tre­ten wer­den. Es bedarf also eines Kor­rek­tivs. Die­se wich­ti­ge Rol­le könn­ten die Ban­ken aus­fül­len, was nicht bedeu­tet, dass sie sich aus dem Tages­ge­schäft zurück­zie­hen sollten/​müssen.

Sie müs­sen ihre eige­ne Rol­le, ihr Timing erst noch finden.

In gewis­ser Wei­se befin­den sich die Ban­ken momen­tan in einer Zeit­fal­le oder, anders: Vor der Zeit­mau­er (Ernst Jünger)

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