Im Sep­tem­ber 1998 stand das inter­na­tio­na­le Finanz­sys­tem kurz vor dem Kol­laps. Zu die­sem Zeit­punkt hat­te der Hedge­fonds Long-Term Capi­tal Manage­ment (LTCM) ein aku­tes Liquiditätsproblem.

Ende Juli 1998 ver­füg­te der LTCM-Fonds über ein Kapi­tal von 4,1 Mil­li­ar­den Dol­lar, was einem Rück­gang von etwa fünf­zehn Pro­zent gegen­über dem Jah­res­be­ginn ent­sprach. Im August erlitt der LTCM-Fonds wei­te­re Ver­lus­te in Höhe von 1,8 Mrd. Dol­lar, sodass sich der Ver­lust an Eigen­ka­pi­tal für das Jahr auf über fünf­zig Pro­zent belief. Die Kapi­tal­ba­sis des Fonds betrug noch 2,3 Mrd. Dollar.

Im Lau­fe des Sep­tem­ber führ­te der Liqui­di­täts­druck zusam­men mit dem anhal­ten­den Rück­gang des Fonds­ka­pi­tals zu ernst­haf­ten Beden­ken bei den Direk­to­ren[1]Zum Kreis der Direk­to­ren zäh­len übri­gens die Nobel­preis­trä­ger für Wirt­schafts­wis­sen­schaf­ten Myron S. Scho­les und Robert Car­hart Mer­ton des Fonds hin­sicht­lich der Fähig­keit des Fonds, sei­nen Cash­flow-Ver­pflich­tun­gen im Fal­le wei­te­rer Schocks sei­nes Markt­werts wei­ter­hin nach­zu­kom­men. Da die Bemü­hun­gen von LTCM, neu­es Kapi­tal zu beschaf­fen, erfolg­los blie­ben, berei­te­te der Zustand des Unter­neh­mens auch zahl­rei­chen Markt­teil­neh­mern gro­ße Sor­gen. Die­se Markt­teil­neh­mer waren besorgt über die Mög­lich­keit eines plötz­li­chen Zusam­men­bruchs von LTCM in naher Zukunft und über die Fol­gen, die ein sol­cher Zusam­men­bruch für die ohne­hin schon äußerst fra­gi­len Welt­märk­te haben könn­te[2]Hedge Funds, Levera­ge, and the Les­sons of Long-Term Capi­tal Manage­ment Report of The President’s Working Group on Finan­cial Mar­kets April 1999.

Die Lage ver­schlim­mer­te sich noch als Bear Stear­ns, der Haupt­mak­ler von LTCM, von LTCM ver­lang­te, poten­zi­el­le Abwick­lungs­ri­si­ken zu besi­chern, wodurch sich die Liqui­di­täts­res­sour­cen des Fonds ins­ge­samt ver­rin­ger­ten. Die Gegen­par­tei­en von LTCM bei Repo-Geschäf­ten und OTC-Deri­va­ten ver­lang­ten im Rah­men des täg­li­chen Mar­gi­ning-Pro­zes­ses so vie­le Sicher­hei­ten wie mög­lich, indem sie in vie­len Fäl­len ver­such­ten, mög­li­che Liqui­da­ti­ons­wer­te auf die Mark-to-Mar­ket-Bewer­tun­gen anzu­wen­den. Die ange­spann­te Liqui­di­täts­la­ge erhöh­te das Risi­ko, dass der LTCM-Fonds nicht in der Lage sein wür­de, die Ende Sep­tem­ber fäl­li­gen Zah­lun­gen zu leis­ten. Dar­über hin­aus hät­ten wei­te­re ungüns­ti­ge Markt­be­we­gun­gen ohne zusätz­li­che Liqui­di­täts­sprit­zen bereits am Mitt­woch, dem 23. Sep­tem­ber, zu einem Zah­lungs­aus­fall füh­ren können.

Eine Ret­tungs­ak­ti­on war damit unver­meid­lich, um eine inter­na­tio­na­le Finanz­kri­se zu verhindern.

Die­se umfasste:

  1. US-Noten­bank­chef Alan Green­span muss­te die Leit­zin­sen senken.
  2. Es wur­de ent­schie­den, dass LTCM fri­sches Kapi­tal von jeweils etwa 300 Mil­lio­nen Dol­lar (ins­ge­samt 3,75 Mil­li­ar­den USD) von den neu­en Inves­to­ren bekom­men und dass die­se LTCM zu 90 % mit einer neu­en Geschäfts­lei­tung über­neh­men sollten.

Im Jahr 2000 wur­de LTCM aufgelöst.

Über die Ursa­chen für den Zusam­men­bruch von LTCM wur­de in den Jah­ren danach eif­rig dis­ku­tiert und geforscht[3]Vgl. dazu: CASE STUDY: LTCM. Als im Jahr 2021 der Hedge­fonds Arche­gos Capi­tal in Schief­la­ge geriet[4]Der Bei­stand für den Hedge­fonds LTCM, wur­den Par­al­le­len zum Fall LTCM gezogen.

Yalin­cak, Hakan, Li, Yu und Tong, Mike kom­men zu dem Schluss[5]Risk manage­ment les­sons from Long-Term Capi­tal Manage­ment, Exami­na­ti­on of VaR after long term capi­tal manage­ment:

Wie in die­sem Papier erör­tert, ist LTCM geschei­tert, weil es sein Risi­ko offen­bar schlecht gema­nagt und sich selbst ein­ge­lullt hat, dass sein VaR über­schau­bar war. … Tat­säch­lich hat LTCM schwer­wie­gen­de Fehl­ent­schei­dun­gen hin­sicht­lich der Diver­si­fi­zie­rung sei­nes Gesamt­port­fo­li­os getrof­fen und sein Risi­ko auf­grund sei­nes Ver­las­sens auf die kurz­fris­ti­ge Ver­gan­gen­heit und sei­ner gene­rel­len Unkennt­nis der offen­sicht­li­chen Män­gel des VaR unter­schätzt. Das LTCM-Deba­kel wur­de als eine Art “Ankla­ge” gegen die gän­gi­ge Ver­wen­dung des VaR in der Han­dels­bran­che inter­pre­tiert. Das ist jedoch ein Ablen­kungs­ma­nö­ver. Eine ange­mes­se­ne­re Fra­ge wäre: Wenn Geschäfts­ban­ken und Invest­ment­ban­ken voll­stän­dig regu­liert sind, war­um erlau­ben wir dann Hedge-Fonds, als “spe­zi­el­le” Invest­ment­ban­ken oder “Geschäfts­ban­ken” auf­zu­tre­ten und sich der voll­stän­di­gen Regu­lie­rung zu ent­zie­hen, obwohl sie alle die glei­chen Risi­ken für das Sys­tem ber­gen? Die Tat­sa­che, dass Hedge-Fonds nur für die Super­rei­chen da sind, ist weit ent­fernt von einer Recht­fer­ti­gung für die Risi­ken, die dem gesam­ten Finanz­sys­tem inne­woh­nen, wenn man stark fremd­fi­nan­zier­te Unter­neh­men her­um­lau­fen lässt, mög­li­cher­wei­se ohne jeg­li­che regu­la­to­ri­sche Aufsicht.