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Der Gedan­ken-Code” des erfah­re­nen Tech­no­lo­gie-Jour­na­lis­ten Janosch Delcker ist ein tief­grün­di­ges und auf­schluss­rei­ches Werk, das sich mit der rasan­ten Ent­wick­lung von Mind-Rea­ding-Tech­no­lo­gien und deren weit­rei­chen­den Aus­wir­kun­gen auf unse­re Gesell­schaft aus­ein­an­der­setzt. Der Autor zeich­net ein detail­lier­tes und oft beun­ru­hi­gen­des Bild davon, wie moder­ne Tech­no­lo­gien zuneh­mend in der Lage sind, mensch­li­che Gedan­ken und Emo­tio­nen zu ent­schlüs­seln und zu beeinflussen.

Delcker beginnt sei­ne Ana­ly­se mit einem Blick auf popu­lä­re Social-Media-Platt­for­men wie Insta­gram, Snap­chat und Tik­Tok. Er argu­men­tiert über­zeu­gend, dass die­se Apps, obwohl sie kei­ne Gedan­ken im wört­li­chen Sin­ne lesen, durch kom­ple­xe Algo­rith­men und Daten­ana­ly­se erstaun­lich prä­zi­se Vor­her­sa­gen über Nut­zer­ver­hal­ten tref­fen kön­nen. Die­se Ent­wick­lung, so Delcker, hat uns bereits an die Idee gewöhnt, dass Tech­no­lo­gie unse­re Wün­sche und Bedürf­nis­se ver­ste­hen kann – ein wich­ti­ger Schritt auf dem Weg zur ech­ten Mind-Reading-KI.

Ein zen­tra­ler Aspekt des Buches ist die Dar­stel­lung aktu­el­ler wis­sen­schaft­li­cher Fort­schrit­te im Bereich der Neu­ro­tech­no­lo­gie. Delcker prä­sen­tiert fas­zi­nie­ren­de Stu­di­en, wie etwa eine Stu­die von Meta, bei der es For­schern gelang, Hirn­ak­ti­vi­tä­ten mit über 40-pro­zen­ti­ger Genau­ig­keit in Wor­te zu über­set­zen. Er dis­ku­tiert auch inno­va­ti­ve Tech­no­lo­gien wie mini­mal­in­va­si­ve Ultra­schall­me­tho­den zur Mes­sung von Hirn­ak­ti­vi­tät und die Ent­wick­lung von Brain Weara­bles, die er als Wen­de­punkt in der Kom­mer­zia­li­sie­rung von Gehirn­da­ten bezeichnet.

Beson­ders bemer­kens­wert ist Delckers aus­ge­wo­ge­ne Betrach­tung der poten­zi­el­len Vor- und Nach­tei­le die­ser Tech­no­lo­gien. Er beleuch­tet einer­seits die viel­ver­spre­chen­den medi­zi­ni­schen Anwen­dungs­mög­lich­kei­ten, etwa bei der Dia­gno­se und Behand­lung psych­ia­tri­scher und neu­ro­lo­gi­scher Erkran­kun­gen. Ande­rer­seits warnt er ein­dring­lich vor den Gefah­ren eines all­ge­gen­wär­ti­gen Über­wa­chungs­sze­na­ri­os durch KI-gestütz­te Emo­ti­ons­er­ken­nung und die mög­li­che Mani­pu­la­ti­on mensch­li­chen Den­kens und Verhaltens.

Ein wich­ti­ger Aspekt des Buches ist die Dis­kus­si­on ethi­scher Her­aus­for­de­run­gen. Delcker ver­wen­det den von dem Hirn­for­scher Nils Bir­bau­mer in die Dis­kus­si­on gebrach­ten Begriff der “Oblo­mo­wi­sie­rung”, in Anleh­nung an den Roman von Ivan Gon­cha­rov, um die Gefahr zu beschrei­ben, dass Men­schen durch über­mä­ßi­ge Abhän­gig­keit von KI-Sys­te­men ihre kogni­ti­ven Fähig­kei­ten ver­küm­mern las­sen könn­ten. Er betont die Not­wen­dig­keit, unse­re geis­ti­ge Unab­hän­gig­keit zu bewah­ren und warnt vor den Risi­ken einer zu star­ken Inte­gra­ti­on von BCIs (Brain-Com­pu­ter Inter­faces) in unser täg­li­ches Leben.

Der Autor wid­met sich auch den recht­li­chen und poli­ti­schen Impli­ka­tio­nen die­ser tech­no­lo­gi­schen Ent­wick­lun­gen. Er dis­ku­tiert den euro­päi­schen AI Act als mög­li­chen Regu­lie­rungs­an­satz und plä­diert für die Ein­füh­rung neu­er recht­li­cher Kate­go­rien zum Schutz von Gehirn­da­ten. Delcker argu­men­tiert über­zeu­gend für die Not­wen­dig­keit eines “Rechts auf men­ta­le Pri­vat­sphä­re” und eines “Rechts auf men­ta­le Unver­sehrt­heit” als fun­da­men­ta­le Men­schen­rech­te im digi­ta­len Zeit­al­ter. Vor­rei­ter auf die­sem Gebiet ist Chi­le, wo im Okto­ber 2021 ein Zusatz, der den Schutz von Gehirn­ak­ti­vi­tä­ten und den dar­aus gewon­ne­nen Infor­ma­tio­nen in der Ver­fas­sung ver­an­ker­te. Delcker räumt ein, dass die Geneh­mi­gungs­pro­zes­se im Bereich der Neu­ro­tech­no­lo­gie beschleu­nigt und unnö­ti­ge Büro­kra­tie abge­baut wer­den müs­sen. Ande­ren­falls wer­den wir immer häu­fi­ger erle­ben, dass Start­ups in Euro­pa öffent­lich geför­der­te Grund­la­gen­for­schung betrei­ben, für die Kom­mer­zia­li­sie­rung dann jedoch in die USA gehen.

Ein beson­ders wert­vol­ler Aspekt des Buches ist die Vor­stel­lung der RECODE-Metho­de, die prak­ti­sche Ansät­ze zur digi­ta­len Selbst­be­stim­mung bie­tet. Die­se Metho­de, bestehend aus den Schrit­ten Reflect (Reflek­tie­ren), Chan­ge (Ver­än­dern), Orga­ni­ze (Orga­ni­sie­ren) und Detach (Distan­zie­ren), gibt dem Leser kon­kre­te Werk­zeu­ge an die Hand, um einen bewuss­te­ren und selbst­be­stimm­te­ren Umgang mit digi­ta­len Tech­no­lo­gien zu entwickeln.

Ins­ge­samt ist “Der Gedan­ken-Code” ein wich­ti­ges Werk, das eine fun­dier­te Ana­ly­se der Chan­cen und Risi­ken von Mind-Rea­ding-Tech­no­lo­gien bie­tet. Delcker gelingt es, kom­ple­xe wis­sen­schaft­li­che und tech­no­lo­gi­sche Kon­zep­te ver­ständ­lich zu erklä­ren und gleich­zei­tig eine tief­grei­fen­de ethi­sche und gesell­schaft­li­che Refle­xi­on anzu­re­gen. Das Buch ist eine unver­zicht­ba­re Lek­tü­re für alle, die sich mit den Her­aus­for­de­run­gen und Mög­lich­kei­ten der digi­ta­len Trans­for­ma­ti­on aus­ein­an­der­set­zen möch­ten und ein bes­se­res Ver­ständ­nis dafür ent­wi­ckeln wol­len, wie wir als Gesell­schaft die Kon­trol­le über unse­re Gedan­ken und unser geis­ti­ges Wohl­be­fin­den in einer zuneh­mend von KI gepräg­ten Welt behal­ten können.

Zuerst erschie­nen auf KI-Agen­ten