Von Ralf Keuper

Wenn der Eco­no­mist sein Christ­mas-Spe­cial dem The­ma Digi­ta­le Iden­ti­tä­ten wid­met, dann zeigt das ein­mal mehr, wel­ches öko­no­mi­sche Poten­zi­al sich dahin­ter ver­birgt. In Estab­li­shing iden­ti­ty is a vital, ris­ky and chan­ging busi­ness bekommt der Leser einen Über­blick über die Geschich­te der Iden­ti­fi­zie­rung, mit ihren Höhen und Tiefen.

Der Bei­trag beginnt mit dem wohl bekann­tes­ten Fall eines Iden­ti­täts­dieb­stahls. Im Mit­tel­punkt stan­den dabei der Archi­tekt Filip­po Bru­nel­le­schi und der eben­falls in Flo­renz täti­ge Kunst­tisch­ler Il Gras­so. Da Il Gras­so einem gemein­sa­men Abend­essen der Maler, Tisch­ler und Gold­schmie­de der Stadt ohne Ent­schul­di­gung fern­blieb, beschloss die Run­de, mit Bru­nel­le­schi an der Spit­ze, ihm einen Streich zu spie­len. Man einig­te sich dar­auf, Gras­so sei­ne Iden­ti­tät zu steh­len, um ihm einen Denk­zet­tel zu ver­pas­sen. Als Gras­so tags­drauf sei­ne Werk­statt betre­ten woll­te, fand er die Tür ver­schlos­sen vor. Auf sein Klop­fen mel­de­te sich eine Stim­me, die sich selbst als Gras­so aus­gab und ihn dabei Matteo nann­te. Auch alle wei­te­ren Bekann­te nann­ten Gras­so nun Matteo. Als dann noch das ört­li­che Gericht ihn als Matteo auf­for­der­te, sei­ne Schul­den zu beglei­chen, wur­de Gras­so klar, welch erns­te Kon­se­quen­zen ein Iden­ti­täts­dieb­stahl haben kann, zumal dann, wenn die Umwelt die neue, gefälsch­te Iden­ti­tät als die wah­re inter­pre­tiert. Der Vor­fall wur­de bekannt als Die Geschich­te vom fet­ten Kunst­tisch­ler.

Dar­aus wird deut­lich, wie wich­tig eine ech­te, zwei­fels­freie Iden­ti­tät ist, um am gesell­schaft­li­chen Leben teil­neh­men zu kön­nen. Feh­ler in staat­li­chen Iden­ti­täts­sys­te­men, wie sie in Chi­na oder Indi­en häu­fi­ger vor­kom­men, kön­nen dazu füh­ren, dass eine Per­son qua­si nicht vor­han­den ist und gro­ße Schwie­rig­kei­ten hat, einen Job oder eine Woh­nung zu bekom­men. Wenn es zu den staat­li­chen Iden­ti­täts­sys­te­men kei­ne (pri­va­te) Alter­na­ti­ve gibt, wird die Lage für die Betrof­fe­nen schnell kri­tisch. Aber auch pri­va­te Anbie­ter, wie Goog­le oder face­book, haben ihre Defi­zi­te. Neben Sicher­heits­fra­gen und der Tat­sa­che, dass, wie der Fall Face­book zeigt, die Daten der Nut­zer häu­fig ohne deren Wis­sen Drit­ten zur Ver­fü­gung gestellt wer­den, haben die Inter­net­kon­zer­ne bereits Ein­bli­cke in das Leben der Nut­zer, die man­chen Staat vor Neid erblas­sen lassen.

Der Zwang, sei­ne Iden­ti­tät offen­zu­le­gen, kann, wie das Schick­sal der Juden wäh­rend der Nazi-Herr­schaft zeigt, lebens­be­droh­li­che Kon­se­quen­zen für die Betrof­fe­nen haben.

Das moder­ne Staats­we­sen brach­te eine Büro­kra­tie her­vor, die ein gro­ßes, vita­les Inter­es­se dar­an hat, sei­ne Bür­ger zwei­fels­frei zu iden­ti­fi­zie­ren. Im Mit­tel­al­ter waren, wie im Doomsday-Book, nur die Vor­na­men und der Ort bekannt. Wer sich wirk­lich dahin­ter ver­barg, war nicht wichtig.

Kön­nen wir heu­te einen Zustand wie­der her­stel­len, der eine Kom­bi­na­ti­on aus Mit­tel­al­ter und Neu­zeit reprä­sen­tiert? Ein Weg, so der Bei­trag im Eco­no­mist, könn­ten selbst ver­wal­te­te digi­ta­le Iden­ti­tä­ten (Self Sove­reign Iden­ti­tä­ten) sein. Aller­dings müss­ten die Nut­zer ihre Gleich­gül­tig­keit über­win­den, wonach es der­zeit, allen Daten­skan­da­len zum Trotz, (noch) nicht aus­sieht. Eben­so muss sicher­ge­stellt sein, dass die Anwen­dung leicht ist, d.h. auch ohne Infor­ma­tik-Stu­di­um soll­te es mög­lich sein, sei­ne Iden­ti­tät selbst zu ver­wal­ten – oder aber, man schafft Insti­tu­tio­nen, wel­che die Auf­ga­be für die Nut­zer über­neh­men – wie Iden­ti­ty Banks. Bis­lang feh­len noch die Anrei­ze für die Nut­zer, die Sache selbst in die Hand zu neh­men. Sich nur auf ande­re zu ver­las­sen und sel­ber nicht in der Lage zu sein, sei­ne Iden­ti­tät zu bewei­sen, das zeigt das Bei­spiel des Fet­ten Kunst­tisch­lers aus dem Mit­tel­al­ter, könn­te sich als hoch pro­ble­ma­tisch herausstellen.

Cross­post von Iden­ti­ty Economy