Die Coro­na-Pan­de­mie hat auch dazu geführt, dass immer mehr Men­schen die Vor­zü­ge des Land­le­bens zu schät­zen wis­sen. Wie nach­hal­tig die­ser Trend indes ist, wird sich noch zei­gen[1]Aktu­el­le LAND­LUST-Umfra­ge: Coro­na-Pan­de­mie weckt Sehn­sucht nach Land­le­ben.

Unab­hän­gig davon stellt sich die Fra­ge, wel­che Zukunft das Land­le­ben im Zeit­al­ter der Digi­ta­li­sie­rung hat. In sei­nem aus­ge­spro­chen lesens­wer­ten Buch Das Land­le­ben. Geschich­te und Zukunft einer gefähr­de­ten Lebens­form zeigt der Kul­tur­geo­graph und Alpen­for­scher Wer­ner Bät­zing, dass Land und Stadt nur gemein­sam die Zukunft meis­tern kön­nen; sie sind auf­ein­an­der in einer Wei­se bezo­gen, die man durch­aus als Syn­er­gie, oder im Bera­ter­sprech aus­ge­drückt als “Win-Win-Situa­ti­on” bezeich­nen kann. Wäh­rend die Stadt auf bestimm­te Tätig­kei­ten spe­zia­li­siert und zen­tral orga­ni­siert ist, zeich­net sich das Land durch Mul­ti­funk­tio­na­li­tät und Dezen­tra­li­tät aus. Gro­ße Unter­neh­men und Insti­tu­tio­nen fin­det man auf dem Land eher sel­ten. Die “Krea­ti­ve Klas­se” (Richard Flo­ri­da) bevor­zugt das Leben in Metro­po­len, da sie hier die nöti­ge Anre­gung und Inspi­ra­ti­on fin­det, ganz ein­fach des­halb, da hier vie­le Men­schen mit unter­schied­li­cher Her­kunft und Bega­bung auf rela­tiv engem Raum zusam­men­le­ben. Die Wahr­schein­lich­keit, auf Gleich­ge­sinn­te oder aber auch Anders­den­ken­de zu sto­ßen, ist in der Stadt hoch. Auf dem Land wird der Zusam­men­halt durch Ver­ei­ne und Tra­di­tio­nen gere­gelt. Man kennt und hilft sich.

Bät­zing betrach­tet die Ten­denz zur Ver­städ­te­rung des Land­le­bens, zur Bil­dung sog. Zwi­schen­städ­te und die zuneh­men­de Zer­sie­de­lung mit Sor­ge. Weder Stadt noch Dorf sind Zwi­schen­städ­te häu­fig nur als Wohn­ort gefragt. Das eigent­li­che gesell­schaft­li­che Leben spielt sich woan­ders, häu­fig in den nahe­ge­le­ge­nen Metro­po­len ab. Dabei braucht die Stadt das Land als Gegen­pol heu­te drin­gen­der denn je.

Wäh­rend das heu­ti­ge Leben und Wirt­schaf­ten in der gro­ßen Gefahr steht, die natür­li­chen Grund­la­gen des mensch­li­chen Lebens auf der Erde zu über­se­hen und sie des­halb zu zer­stö­ren, zeigt das Land­le­ben auf, dass der Mensch auf Natur ange­wie­sen ist und pfleg­lich mit ihr umge­hen muss. Dadurch rela­ti­viert das Land immer wie­der das tech­nisch gepräg­te Bild von Natur und Umwelt.

Über den typisch länd­li­chen Wirtschaftsstil:

Das Wirt­schaf­ten im länd­li­chen Raum ist .. oft noch mul­ti­funk­tio­nal geprägt: Es fin­det dezen­tral und in enger Aus­ein­an­der­set­zung mit der Umwelt statt, wobei die Repro­duk­ti­on der Kul­tur­land­schaft eine wich­ti­ge Rol­le spielt; es ermög­licht mit sei­nem öko­no­mi­schen Ertrag die Siche­rung des eige­nen und des sozia­len Lebens, ohne das Leben voll­stän­dig dem Wirt­schaf­ten unter­zu­ord­nen, und es sorgt dafür, dass sich die Beschäf­tig­ten sowohl mit ihrem Arbeits­pro­zess als auch mit dem fer­ti­gen Pro­dukt iden­ti­fi­zie­ren und stolz dar­auf sein können.

Wich­ti­ge Syn­er­gie­ef­fek­te auf dem Land las­sen sich durch das Zusam­men­spiel von Land­wirt­schaft, Hand­werk, loka­ler Kul­tur, Natur­schutz erzie­len, wodurch dezen­tra­le Arbeits­plät­ze gestärkt werden.

Die Rol­le der Ban­ken als Dienst­leis­ter eines regi­ons­spe­zi­fi­schen Geldwesens:

Raiff­ei­sen­ban­ken und regio­na­le Spar­kas­sen ver­folg­ten lan­ge Zeit das Ziel, das Wirt­schaf­ten im länd­li­chen Raum zu för­dern, und sie kön­nen die­se Funk­ti­on in Zukunft durch­aus wie­der über­neh­men, denn die Stär­kung des regio­na­len Wirt­schaf­tens geht mit einem erheb­li­chen Finan­zie­rungs­be­darf ein­her. Da die Kre­dit­ver­ga­be an regio­na­le Betrie­be eine Rei­he von spe­zi­fi­schen Qua­li­fi­ka­tio­nen und eine bestimm­te Geschäfts­phi­lo­so­phie erfor­dert, bedarf es dafür regio­na­ler Ban­ken, die sich auf die­se Auf­ga­be konzentrieren.

Die Regio­nal­ban­ken zie­hen sich wei­ter aus der Flä­che zurück, was die stei­gen­de Zahl von Fili­al­schlie­ßun­gen belegt. Fusio­nen unter Volks­ban­ken und Spar­kas­sen ver­stär­ken die Zen­tra­li­sie­rungs­ten­den­zen bei den Regio­nal­ban­ken. Ent­schei­dun­gen wer­den immer sel­te­ner vor Ort, son­dern in den Zen­tra­len der Regio­nal­ban­ken, voll­au­to­ma­tisch gefällt. Die räum­li­che Ent­fer­nung sorgt für eine zuneh­men­de Ent­frem­dung. Regi­ons­spe­zi­fi­sche Beson­der­hei­ten wer­den aus der Betrach­tung ausgeblendet.

Auf­ga­ben- und Geschäfts­fel­der gibt es genug – in der Ener­gie­wirt­schaft[2]pro-regio­na­le-ener­gie eG, in der Land­wirt­schaft[3]Stil­ar­ten im Ban­king und in der Land­wirt­schaft – Eine Annä­he­rung, in der Addi­ti­ven Fer­ti­gung und auch bei der Digi­ta­li­sie­rung z.B. durch die Grün­dung regio­na­ler Daten­ge­nos­sen­schaf­ten und IT-Dienst­leis­ter[4]ID eG oder in Gestalt Digi­ta­ler Dör­fer[5]Digi­ta­le Dör­fer – Eine Chan­ce für das Ban­king.

Para­do­xer­wei­se wird der länd­li­che Raum zum eigent­li­chen Schau­platz der Digi­ta­li­sie­rung – denn: Fast alle gro­ßen Ser­ver­far­men, die für die Unter­hal­tung der Cloud-Diens­te von Goog­le, Ama­zon und Micro­soft benö­tigt wer­den, sind auf dem fla­chen Land ange­sie­delt, wes­halb Chris­toph Enge­mann auch von dem Aus­zug des Digi­ta­len ins Grü­ne spricht[6]Die Farm der Daten Über den Aus­zug des Digi­ta­len ins Grü­ne.

Was die Nut­zer der Tablets und Han­dys, der Lap­tops und Weara­bles in ihren Hän­den hal­ten, ver­weist sie aufs Land und auf die Land­helds, die Data-Cen­ter, die die gro­ßen ITFir­men dort betrei­ben. … Es sind also weni­ger Dör­fer, in denen die Nut­zer digi­tal dicht gedrängt und in Ruf­wei­te zuein­an­der pro­zes­siert wer­den, son­dern tat­säch­lich Far­men, Stäl­le, in denen aus noch so unschein­ba­ren Äuße­run­gen öko­no­mi­sche Trans­ak­ti­ons­chan­cen erwachsen.

Aber auch im wört­li­chen Sin­ne ist die Digi­ta­li­sie­rung im länd­li­chen Raum im vol­len Gang – ist die Land­wirt­schaft doch von allen Bran­chen in Sachen Digi­ta­li­sie­rung am wei­tes­ten[7]Die Farm der Daten.

Bät­zig betont immer wie­der, dass Stadt und Land kei­ne Gegen­sät­ze, son­dern zwei Sei­ten einer Medail­le sind. Bei­de sind auf­ein­an­der ange­wie­sen. Unter­schie­de gibt es dennoch:

Die Wech­sel­wir­kun­gen zwi­schen den Berei­chen Umwelt, Wirt­schaft oder Gesell­schaft sind im groß­städ­ti­schen Rah­men bes­ten­falls die Ange­le­gen­heit weni­ger Exper­ten, falls sie über­haupt wahr­ge­nom­men wer­den; die meis­ten Men­schen neh­men hier ande­re Men­schen nur in ganz bestimm­ten spe­zia­li­sier­ten Situa­tio­nen und Funk­tio­nen wahr, und sie haben den Ein­druck, dass die ein­zel­nen Teil­be­rei­che der moder­nen Welt unab­hän­gig von­ein­an­der exis­tie­ren und kaum etwas mit­ein­an­der zu tun haben. Im länd­li­chen Raum nimmt man dage­gen das Leben in sei­ner Gesamt­heit wahr und erfährt täg­lich, dass und wie Umwelt, Wirt­schaft und Gesell­schaft mit­ein­an­der ver­floch­ten sind, und wel­che fata­len Aus­wir­kun­gen ent­ste­hen, wenn man dies nicht beach­tet. Damit rela­ti­viert das Land die groß­städ­ti­sche Sicht­wei­se, dass die Welt nur aus ato­mi­sier­ten Ein­zel­be­rei­chen bestehe, und es ver­weist dar­auf, dass sie ein viel­fach ver­netz­tes Gesamt­sys­tem dar­stellt, für das der Mensch ver­ant­wort­lich ist.

Ähn­lich äußert sich Ste­fan Höh­ne in Die Idio­tie des Stadt­le­bens.

Anstatt Dorf- und Stadt­le­ben gegen­ein­an­der aus­zu­spie­len, käme es dage­gen heu­te dar­auf an, deren fort­lau­fen­de Inter­de­pen­den­zen zu beto­nen und ihre jewei­li­gen Eigen­hei­ten als Aus­druck arbeits­tei­li­ger Pro­zes­se inner­halb einer gesamt­ge­sell­schaft­li­chen Dyna­mik in den Blick zu nehmen.

Ein wich­ti­ges Buch.

Wei­te­re Infor­ma­tio­nen /​ Rezen­sio­nen

Wer­ner Bät­zing – Das Land­le­ben. Geschich­te und Zukunft einer gefähr­de­ten Lebensform.

War­um das Land­le­ben gefähr­det ist

Eigent­lich hät­te das Land­le­ben eine Zukunft

Das Gespräch

Land-Art(?) – Kul­tur in länd­li­chen Räumen