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Seit der Einführung des künstlichen Aktienmarktes von Arthur et al. (1997) und des einfacheren, analytisch nachvollziehbaren Modells von Brock und Hommes (1998) hat die agentenbasierte Modellierung (ABM) in der Finanzwirtschaft zunehmend an Popularität gewonnen. Diese Modelle haben sich als erfolgreich erwiesen, um bestimmte charakteristische Merkmale oder „stylized Facts“ der Finanzmärkte, wie Fat-Tails und Volatilitätscluster, zu erklären. In den folgenden Jahren wurden zahlreiche weitere ABM veröffentlicht, die auf diesen frühen Arbeiten basieren.
Trotz der Erfolge bei der theoretischen Modellierung gibt es in der Finanzwirtschaft bisher nur wenige empirische Anwendungen von ABM. Die meisten der bisher durchgeführten Studien konzentrieren sich auf die Erklärung allgemeiner Beobachtungen oder spezifischer Ereignisse in Finanzzeitreihen. Ein Beispiel dafür ist die Studie von Boswijk et al. (2007), die untersucht, welche Agentenstrategien in bestimmten Zeiträumen des S&P 500 dominieren. Einige andere Studien, darunter die von Recchioni et al. (2015), Ghonghadze und Lux (2016), Ji et al. (2019) und Tubbenhauer et al. (2021), befassen sich mit prädiktiven Output-Validierungen und verwenden ABM für die Erstellung von Risikoprognosen.
Ein zentraler Grund für die geringe Anzahl empirischer Anwendungen ist das Fehlen eines strengen Kalibrierungsverfahrens zur Validierung von ABM. Oft werden Systemparameter manuell durch Versuch und Irrtum angepasst, um die gewünschten stylized Facts zu reproduzieren. Diese ungenauen Kalibrierungsmethoden schränken die Zuverlässigkeit der Modelle ein. Der in der Arbeit vorgestellte Kalibrierungsansatz kann jedoch leicht an andere ABM oder Anwendungen angepasst werden und wird anhand bekannter Modelle wie denen von Brock und Hommes (1998), Franke und Westerhoff (2012, 2016) sowie Lux et al. (2005) demonstriert.
In seiner Dissertation Eignen sich agentenbasierte Simulationsmodelle zur Value-at-Risk Prognose an Finanzmärkten? argumentiert Tobias Tubbenhauer, dass ABM von Natur aus gut für Risikoprognosen geeignet sind, da sie in der Lage sind, makrostrukturelle Beobachtungen, wie Preise und Renditen, durch das mikrostrukturelle Verhalten interagierender Akteure zu erklären. Dies eröffnet die Möglichkeit, umfassende verhaltensbezogene Einsichten zu gewinnen, die mit herkömmlichen ökonomischen Techniken nicht erfasst werden können. Insbesondere sind VaR-Prognosen von Interesse, da sie einen wichtigen Indikator für das Verlustrisiko im Finanzrisikomanagement darstellen.
Ein weiteres Problem bei der Kalibrierung von ABM ist die Vielzahl an Parametern, die diese Modelle besitzen. Während einfache Modelle in den letzten zwei Jahrzehnten einigermaßen kalibriert werden konnten, bleibt die zuverlässige Kalibrierung komplexerer Modelle eine Herausforderung. Die Methode der simulierten Momente (MSM), die von Gilli und Winker (2003) eingeführt und später von anderen verfeinert wurde, hat sich als Standardverfahren etabliert. Diese Methode ermöglicht es, Momente aus simulierten Zeitreihen zu berechnen, was eine flexible Kalibrierung der Modelle an spezifische Anwendungen erlaubt.
Um die Prognosegenauigkeit zu erhöhen, wird ein zweistufiger Kalibrierungsansatz vorgeschlagen, der Maximum-Likelihood (ML) und Stochastische Monte-Carlo (SMC) Schätzungen kombiniert. Dieser Ansatz hat mehrere Vorteile: Er ermöglicht die Schätzung von Parametern, die von aktuellen empirischen Beobachtungen abhängen, und erfordert keinen großen Datensatz, was die Anpassung an aktuelle Datenpunkte erleichtert.
Insgesamt bietet dieser flexible Kalibrierungsansatz neue Möglichkeiten für die Anwendung von ABM über die VaR-Prognose hinaus, indem er die Integration von verhaltensbezogenen Informationen in die Risikovorhersage fördert und so ein Frühwarnsystem für plötzliche Veränderungen der Marktvolatilität schaffen kann.