Von Ralf Keuper
Kryptowährungen sowie die Blockchain-Technologie ziehen verstärkt das Interesse der Ökonomen auf sich. Das prominenteste Beispiel ist wohl der Wirtschaftsnobelpreisträger Robert S. Shiller, der Bitcoin für eine Spekulationsblase hält (Vgl. dazu: Robert S. Shiller: Bitcoin ist Paradebeispiel einer Blase).
In Warum Kryptowährungen ein logischer Bestandteil von Blockchain und Industrie 4.0 sind versucht Ralph Bärligea den Nachweis zu erbringen, weshalb die Wirtschaft der Zukunft geradezu nach Digitalen Währungen und Blockchain-Applikationen verlangt. Alles, was sich dieser neuen Kombination aus Währung und Technologie entgegenstellt, wird Opfer einer quasi natürlichen Selektion:
Wann immer herkömmliche, nicht blockchain-basierte Währungen zur Vermittlung blockchain-basierter Geschäfte eingesetzt werden müssen, findet ein Technologie-Bruch statt. Durch diesen Bruch werden effiziente, in Echtzeit ablaufende blockchain-gesteuerte Strukturen an weniger effiziente alte Strukturen gebunden. Da eine Wertschöpfungskette meist nur so stark ist wie ihr schwächstes Glied, würden sich klassische Währungen innerhalb einer ansonsten blockchain-basierten Wertschöpfungskette wie ein Bremsklotz und unnötiger Kostentreiber auswirken. Es ist darum kaum vorstellbar, dass Anwender gerade bei der so wichtigen und fast alle Geschäfte betreffenden Geldfunktion nicht ebenfalls auf die Blockchain-Technologie setzen.
Da es sich bei der Industrie 4.0 vorwiegend um die Übertragung von Informationen handelt, sei die Blockchain hier besonders prädestiniert, da sie als fälschungssicher gilt und – in der Theorie jedenfalls – ohne eine zentrale Instanz auskommt. Sie reguliert sich in gewisser Hinsicht selbst. Überspitzt formuliert: Pfuscht man der Blockchain nicht ins Handwerk, kann sich die spontane Ordnung (F.A. von Hayek) einstellen bzw. die unsichtbare Hand (Adam Smith) ihr Werk vollbringen.
Dieses Szenario enthält einige Schönheitsfehler: Die Blockchain ist – Stand heute – nicht in der Lage, das Maß an Transaktionen zu verarbeiten, die in der Industrie 4.0, wo wir es mit Billionen von Geräten zu tun haben, abzuwickeln. Zwar gibt es schon erste Versuche, wie IOTA (Vgl. dazu: IOTA – Kryptowährung für Maschinen, oder: Autonome Maschinen bezahlen autonome Maschinen), allerdings sind wir von einem Durchbruch noch weit entfernt. “Die” Blockchain gibt es ohnehin nicht. Schon jetzt existieren zahlreiche Technologien und Initiativen, die kaum noch unter einen Hut zu bringen sind; viele von ihnen weichen von der “reinen Lehre” ab und werden als Private Blockchains implementiert, was wiederum zu Zentralisierung und der Entstehung zentraler Instanzen führt. Die ökonomischen Modelle, die häufig von idealen Bedingungen ausgehen, übersehen, dass es bei Bitcoin schon heute zu Machtkonzentrationen kommt, da die chinesischen Mining-Pools bis zu 60% der Verarbeitungskapazitäten beherrschen und damit in der Lage wären, Bitcoin zu manipulieren (Vgl. dazu: Bitcoin: Mining Pools werden zum Problem). Die Spaltung von Bitcoin, die vor einigen Wochen durchgeführt wurde, ist in der Theorie ebenfalls nicht vorgesehen. Ebenso wenig der sog. DAO-Hack. Ganz abgesehen von dem enormen Energieverbrauch des Mining, der alles andere als nachhaltig und auch nicht kostengünstig ist. Das Betreiben großer Mining-Farmen erfordert hohe Investitionen in Hardware, Organisation und Personal, was wiederum Konzentrationsprozesse am Markt begünstigt. In The Blockchain Immutability Myth spielt Gideon Greenspan durch, was es kosten würde, um die Mehrheit an den Mining-Kapazitäten von Bitcoin zu bekommen (Der Beitrag erschien im Mai diesen Jahres):
Let’s estimate the cost of a 51% attack which reverses a year of bitcoin transactions. At the current bitcoin price of $1,500 and reward of 15 bitcoins (including transaction fees) per 10-minute block, miners earn around $1.2bn per year ($1500 × 15 × 6 × 24 × 365). Assuming (reasonably) that they are not losing money overall, or at least not losing much, this means that total miner expenses must also be in the same range. (I’m simplifying here by amortizing the one-time cost of purchasing mining equipment, but $400m will buy you enough Antminer 9s to match the current bitcoin network’s mining capacity, so we’re in the right ball park.)
Investitionen von 400 Mio. Dollar oder auch mehr stellen große Unternehmen, Banken, Hedge Fonds oder Staaten vor keine allzu großen Probleme.
Überdies ist die Blockchain für ihr Funktionieren auf einen Überbau an anderen, klassischen, Blockchain-agnostischen, off-chain – Applikationen und organisatorischen Verfahren (Governance) angewiesen, so dass die Blockchain – aus eigenem Interesse – gar nicht alle andere Glieder verdrängen kann. Die Blockchain schwebt nicht im luftleeren Raum – sie agiert in einer Umgebung, die historisch gewachsen und deren Produkt sie ist – mit allen Vor- und Nachteilen. Sie fiel nicht vom Himmel.
Die Richtung weise, so die Autoren von Blockchain and shared ledgers – The new age of the consortium ohnehin zu hybriden Modellen. Es habe sich gezeigt, dass die Blockchain in ihrer ursprünglichen Form (Öffentlich, allen zugänglich) einige Defizite hat, die sie für den kommerziellen Einsatz ungeeignet machen:
However, early investigations and attempts at adapting the public blockchain to these types of commercial relationships have identified a number of limitations. In particular, the transparent, decentralised model of public blockchain significantly compromises the commercial confidentiality required.
Besser geeignet seien Private Shared Ledgers:
Commercial consortia are better suited to modified or reconstructed versions of blockchain technology – which we refer to in this paper as “private shared ledgers”. These allow consortia to capture the advantages of shared ledgers without the complexity or distributed transparency of public blockchain. A number of private shared ledger platforms are emerging, many of which are providing open source software to enable further development around niche requirements. Developing a successfull.
In Zukunft können wir davon ausgehen, dass die wirtschaftlichen Akteure und Staaten ihre Interessen verfolgen (Vgl. dazu: Quantum sovereignty: the Westphalian principle and the global governance of cyberspace). Der Staat beispielsweise, muss, wenn er seine hoheitlichen Aufgaben erfüllen will, einen Einblick in die Transaktionen haben, die über die Blockchain oder mittels ICOs (Vgl. dazu „Jeder Typ, den ich kenne, will jetzt einen ICO machen“) abgewickelt werden. Unternehmen werden sich bei ihren geschäftskritischen Applikationen nicht auf eine Lösung verlassen, die allen zugänglich und bei der nicht immer klar ist, wer, welche Interessen verfolgt – vor allem dann, wenn einzelne Staaten oder große Konzerne die Mehrheit der Verarbeitungskapazitäten auf sich vereinigen, ohne dass das immer transparent ist. Hinzu kommt, dass Kryptowährungen, deren Kurs starken Schwankungen unterliegt, keine verlässliche Kalkulationsbasis sind. Staaten werden auch weiterhin ihre geopolitischen Interessen verfolgen; wenn die Blockchain und Kryptowährungen sie dabei unterstützen, haben sie damit kein Problem – auch China nicht.