Von Ralf Keuper
Als Folge der Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank hatten die IT-Abteilungen beider Häuser über Jahre alle Hände voll zu tun, die unterschiedlichen IT-Systeme zu integrieren und zu migrieren. Projekte aus dem Online-Banking mussten dafür zurückgestellt werden. Rückblickend räumt der damalige IT-Vorstand der Commerzbank, Frank Annuscheit, ein, dass dieses Vorgehen heute nicht mehr opportun ist.
Heutzutage wäre es wesentlich schwerer zu realisieren, dass man sich zwei, drei Jahre aus ein paar Themen zurückzieht und sich ganz auf eine Integration konzentriert. Ich denke, heutzutage müsste man, so schwer das wäre, gleichzeitig eine Integration bewältigen und in allen innovativen Themen weiter vorne mit dabei sein (in: Technik in der Commerzbank von 1870 bis heute).
Die Kunden sind heute durch Apple, Amazon und Google eine Nutzererfahrung und Geschwindigkeit bei der Entwicklung neuer Services und Features gewöhnt, die sie auch von ihrer Bank erwarten. Mit offenen Schnittstellen und durch Kooperationen mit Fintech-Startups wollen die Banken den Kunden einen ähnlichen Service wie Amazon & Co. bieten. Als Hindernis stellen sich dabei die IT-Systeme heraus, die häufig noch überwiegend monolithisch und nur in Teilen modular aufgebaut sind. Die IT-Strategie der Banken muss sich den neuen Gegebenheiten anpassen.

In der Vergangenheit konnten die Banken bei der Auswahl ihrer Lieferanten je nach Bedarf zwischen zwei oder drei Alternativen wählen. Die Bereiche waren relativ klar voneinander getrennt. Beim Desktop war Microsoft Office die Wahl, bei den Datenbanken galt es zwischen IBM und Oracle zu wählen. Bei den Umsystemen, wie im Meldewesen, ist die Zahl der Alternativen noch heute begrenzt. Einzig bei den Kernbankensystemen war das Angebot größer. Viele Banken setzten überdies auf Eigenentwicklungen. Mittlerweile jedoch, so Dr. Wolfram Jost (Foto), Geschäftsführer für Softwareprodukte bei der Scheer GmbH, bieten Microsoft, Google und Amazon vom Desktop bis zum Back End fast das komplette Spektrum an Lösungen an. Im Cloud-Computing sind Amazon, Microsoft und Google die einzigen Anbieter, die große Skaleneffekte realisieren und dadurch kostengünstige Angebote unterbreiten können. Mit ihren App-Stores und mobilen Bezahllösungen dominieren Google und Apple die Kundenschnittstelle. Da stellt sich – nicht nur für die Banken – die Frage, wie man sich in Zukunft noch vom Wettbewerb abheben und dem Lock-In-Effekt entgehen will.
Nach Ansicht von Wolfram Jost bietet Platform as a Service (PaaS) wie die Scheer PAS Plattform als Nachfolger der klassischen Middleware großes Differenzierungspotenzial. Wesentliche Aufgaben von PaaS während des Softwareentwicklungsprozesses sind Design, Development, Testing, Deployment, Execution, Monitoring und die Administration von Geschäftsapplikationen. Darüber hinaus werden die Unternehmen in die Lage versetzt, neue, innovative Geschäftslogik schnell und agil zu entwickeln und bereitzustellen (Vgl. dazu: Die Zukunft der Unternehmenssoftware im Zeitalter der Digitalisierung). Hier geht es also nicht nur um Standardisierung und Skaleneffekte als vielmehr darum, die Fachlichkeit bzw. das eigene domänenspezifische Wissen abzubilden sowie neue Technologien, wie KI, IoT und Blockchain, einzubinden. Das wiederum bietet die Basis für neue, unverwechselbare Services an der Kundenschnittstelle. Softwareentwickler haben die Aufgabe, im Austausch mit den Kunden die Nutzererfahrung fortlaufend zu verbessern.
In den letzten zwanzig Jahren haben die Banken große Teile des IT-Know Hows ausgelagert. IT war keine Kernkompetenz einer Bank. Folge davon ist, dass die Banken die Tuchfühlung mit ihren Kunden verloren haben und die Kundenschnittstelle von Apple, Google, Amazon und facebook besetzt wurde. Einige Fintech-Startups haben die Chance genutzt und sich zwischen die Kunden und die Banken geschoben. Mit PSD2 und Open Banking wird sich der Trend noch verstärken. Künftig werden die Banken und Unternehmen, so Wolfram Jost, die Softwareentwicklung in die eigenen Hände nehmen müssen. Mit Low-Coding können auch die Fachabteilungen an der Entwicklung von Geschäftsapplikationen aktiv mitwirken. Dabei wird die Geschäftslogik auf Basis grafischer Benutzeroberflächen (Drag and Drop) modelliert. Ergebnis sind grafisch erstellte Modelle (Meta Daten), aus denen dann im Hintergrund automatisch der entsprechende Programmcode erzeugt wird (Vgl. dazu: Low-Code-Plattformen im Banking).
Mit der Abkehr von der Produkt- hin zur Serviceorientierung, wofür die Begriffe Software as a Service (SaaS), Platform as a Service (PaaS) und Infrastructure as a Service (IaaS) stehen, wächst die Komplexität der Systemlandschaften. Banken werden Teil übergreifender digitaler Ökosysteme. Dadurch, so Jost, sind die Banken zu grundlegenden Entscheidungen gezwungen: Ist es beispielsweise wichtiger die Systeme stets online verfügbar zu halten oder ist die Datenkonsistenz das entscheidende Kriterium, d.h. müssen die Daten immer auf dem aktuellsten Stand sein, oder reicht es, die Daten, wenn es tatsächlich nötig und unabdingbar ist, auf anderem Weg zu aktualisieren? Auf alle Fälle sollten die Kunden bei auftretenden Problemen die Möglichkeit haben, sich an die Bank zu wenden. Einige Fintech-Startups haben hier durchaus noch Verbesserungspotenzial. Wie die Meldungen über Systemausfälle der Banken zeigen, ist die Frage der Verfügbarkeit von ungebrochener Aktualität.
Banken können es sich nicht mehr erlauben, den Blick überwiegend nach innen zu richten und die Erneuerung der kundennahen Systeme zugunsten anderer IT-Projekte zurückzustellen. Nötig ist ein Mindestmaß an operativer Flexibilität. Bei der Datenhaltung sollten Banken und Unternehmen, so Wolfram Jost, eine Multicloud-Strategie verfolgen, um nicht in die Abhängigkeit von einem Anbieter zu geraten. Hier kann die Standardisierung ihre Vorteile ausspielen. In den anderen kundennäheren Schichten geht es dagegen mehr um Individualisierung und Personalisierung. Mit Platform-as‑a Service besteht die Möglichkeit, das eigene Wissen zu schützen und für die Entwicklung innovativer Services und Produkte verfügbar zu machen. Das ist die Grundvoraussetzung, um an der Kundenschnittstelle noch wahrgenommen zu werden.