Interview mit Aron Veress, COO von the prosperity company (Foto), Ruggell (Liechtenstein)
Von Ralf Keuper
F: Herr Verres, Sie haben 2014 im liechtensteinischen Ruggell das Fintech Loviit mitbegründet, einen Anbieter von Zahlungslösungen für den E‑Commerce. Dieses wurde später von dem japanischen Mobilfunkkonzern NTT docomo übernommen. Für die DOCOMO Digital Payment Services AG waren Sie danach als Vorstand tätig.
A: Ja, NTT hat in Japan die Position inne, die in Deutschland die Deutsche Telekom hat. Viel früher als andere Anbieter hat NTT damals begonnen, Mobilfunknetze zur Bezahlung zu benutzen. Einkäufe, die man beispielsweise über Amazon getätigt hat, wurden einfach über die monatliche Handyrechnung belastet. Loviit war die einzige Lizenz dafür, über die NTT in Europa verfügte, Ruggell stellte somit für die Japaner das Tor nach Europa dar.
F: Was haben die Japaner daraus gemacht?
A: Die Lizenz ist bis heute wichtiger Bestandteil des wachsenden Payment-Geschäftes der DOCOMO Gruppe. Allerdings war Japan schon in den neunziger Jahren so etwas wie eine kulturelle Galapagos-Insel und in vielen Dingen viel weiter entwickelt als die Europäer. Das in vielen europäischen Unternehmen bekannte Prinzipal-Agent-Problem beispielsweise gibt es in Japan so nicht. Die Übernahmeaktivität der Japaner ließ dann zur Jahrtausendwende nach, weil sie gemerkt haben, dass sie im Ausland viel Geld verbrennen.
F: NTT docomo hatte auch 2011 die kleine Privatbank Werther AG gekauft, warum?
A: Ja, der Kauf erfolgte mit dem Ziel, das Geschäftsfeld Mobile Payment weiter auszubauen. Die Marke wurde daraufhin in Net‑m Privatbank 1891 AG umbenannt. Aus heutiger Sicht kann man jedoch sagen, dass diese Privatbank nicht so recht in Portfolio der Japaner passte.
F: In diesem Jahr kehrten Sie nach Ruggell zurück und wurden COO von the prosperity company AG. Was hat Sie zu diesem Schritt bewogen?
A: Große Unternehmen haben oft das Problem, dass politische Konflikte die Energie aus ihnen saugen. NTT docomo war zuletzt viel mit sich selbst beschäftigt. The prosperity company ist ein junges und innovatives Fintech-Unternehmen mit einem etwas älteren Produktbaustein, der Liechtenstein Life Assurance AG, die es schon seit 2008 gibt. Hier besteht für mich wieder die Möglichkeit, mit einem effizienten, agilen Team viel zu bewegen.
F: Mit welcher Zielsetzung sind Sie ins Unternehmen eingetreten?
A: Die Liechtenstein Life hat mit 50.000 Bestandskunden schon eine solide Grundlage und befindet sich immer noch in einer Wachstumsphase. Die gesamte Versicherungsbranche befindet sich – Stichwort Provisionsdeckel-Diskussion und Niedrigzinsumfeld – im Umbruch und benötigt dringend den Digitalisierungsprozess zur Erneuerung.
F: Wo genau sehen Sie die Probleme?
A: In Deutschland herrscht in der Branche eine latente Angst vor der Digitalisierung, daher hinkt die Branche in ihrer Entwicklung anderen Branchen und Regionen hinterher. In China können Sie nach einem Autounfall die Schadensregulierung binnen Sekunden über eine App abwickeln. Die sagt ihnen dann auch gleich, wo sich die nächste Werkstatt befindet und welche Ersatzteile sie brauchen. Effizienz lässt sich durch den Einsatz von Technologie hervorragend skalieren.
F: Wo wollen Sie da in Deutschland anfangen?
A: Digitalisierung der Absatzkanäle ist ein guter Startpunkt, den Ansatz nennen wir „Insurance as a Service (IaaS)“. In einem zweiten Schritt setzen wir auf die Digitalisierung des laufenden Kundenkontakts indem wir Menschen eine effiziente finanzielle Lebensplanung ermöglichen wollen, die sich ihren heutigen Bedürfnissen anpasst. Dazu gehört nicht nur eine steigende Lebenserwartung, sondern auch ein bunter Lebenslauf mit zahlreichen Wechseln und Unterbrechungen. Die persönliche Finanzplattform wird zum Lebensbegleiter. Nur so wird für den Einzelnen ersichtlich, wie groß das Risiko ist, den aktuellen Wohlstand nicht halten zu können und was man dagegen unternehmen kann. Wenn sich die Lebensplanung ändert, müssen sich auch die Finanzprodukte ändern.
F: Hat dann der klassische Versicherungsvermittler ausgedient?
A: Zwischenmenschlicher Kontakt wird meines Erachtens nicht per se wegdigitalisiert werden. Der Vermittler wird auch weiterhin seine Rolle haben und wird diese sogar weiter ausbauen können. Digitalen Bausteine werden den Vermittlungsprozess lediglich effizienter und transparenter machen.
F: Welche Märkte stehen bei the prosperity company im Fokus?
A: Neben dem DACH-Markt stehen bei uns auch die Märkte in Frankreich und Italien auf dem Programm. Denn aufgrund unseres Auftrittes in der Schweiz verfügen wir ohnehin bereits über die notwendigen sprachlichen Voraussetzungen.
F: Die Altersvorsorgeprodukte der Liechtenstein Life sind fondsgebundene Lebens- und Rentenversicherungen. Besteht auch bei Ihnen die Erwartung vieler Fondsmanager, den Markt zu schlagen?
A: Beat the market ist keine realistische Erwartung und ein Widerspruch in sich selbst, wenn man es genau nimmt. Aktienmärkte schlagen ist immer ein Nullsummenspiel. Man sollte aber schon mit dem Markt Schritt halten können. Darin sehen wir eine realistische Erwartung.
F: Haben Robo Advisor in Ihren Augen eine Berechtigung?
A: „Robo“ ist letzten Endes nur ein Buzzword. Hinter vielen Robo Advisern steckt weniger Robo, als es nach außen den Anschein hat. Für die Robo-Advisor-Branche steht der Stresstest ohnehin noch aus, wenn die ersten Abwärtsbewegungen eintreten.
F: Sie setzen also auf aktives Management?
A: Ja, aber auch ETFs nehmen wir ins Portfolio auf. Wir machen da keine Glaubensfrage daraus. Insgesamt ist es wichtig, die Bedürfnisse des Kunden mit einem ausgewogenen Portfolio genau zu treffen. Viele suchen beispielsweise nach nachhaltigen Investments. Derzeit sind wir dabei, die Fondspalette zu erweitern und auch hundertprozentige ESG-Portfolios anzubieten. Wichtig ist unter dem Strich vor allem: Welche Fonds sind für eine langfristige Anlage geeignet? Denn Versicherungskunden sind immer auch Langfristanleger. Wir betreiben im Prinzip Value Investing vom Grundverständnis eines Warren Buffett – aber im größeren Sinne.
F: Nachhaltige Investments sind ja so neu nicht. Wo gibt es noch andere Zukunftstrends?
A: Eine neue, interessante Anlagenklasse stellen Maschinenfonds dar. Industrielle Anlagen werden künftig nutzungssynchroner werden. Das verändert auch deren Finanzierungsmöglichkeiten. Eine digitalisierte und hochstandardisierte Wertschöpfungskette der Produktion lässt sich künftig auf verschiedene Akteure mit reduzierter Wertschöpfungstiefe verteilen. Die Folge sind digitale Ökosysteme mit mehreren Prozessbausteinen, die sich immer besser miteinander kombinieren lassen. Der Reiz der Maschinenfonds besteht auch darin, Finanz- und Realwirtschaft nach einer langen Zeit der Entfremdung und Entkopplung wieder zusammenzubringen: Industrie 4.0, wie dieser Prozess auch genannt wird.
F: Wobei the prosperity company ein reines Finanzunternehmen bleiben wird.
A: the prosperity company versteht sich als Allfinanzunternehmen, das all seine Dienstleistungen vollständig digital erbringt. Digitalisierung ist wichtig, aber sie darf kein Selbstzweck werden. Im Vordergrund stehen stattdessen die Bedürfnisse der Menschen und ihr Platz in einer sich verändernden Gesellschaft.
F: Das ist doch ein schönes Schlusswort. Ich bedanke mich herzlich für dieses Gespräch, Herr Veress!