Ban­ken tun sich schwer damit, ihre Rol­le in der Daten- und Platt­form­öko­no­mie zu fin­den. Chan­cen gibt es indes genug – so Dr. Georg Wit­ten­burg (Foto), Grün­der und CEO der Inspi­ri­ent GmbH. Wel­chen Part die KI dabei über­nimmt, erläu­tert Dr. Wit­ten­burg im Inter­view mit Bank­stil

  • Herr Dr. Wit­ten­burg, was hat Sie zur Grün­dung von Inspi­ri­ent ver­an­lasst; wel­che Erfah­run­gen brin­gen Sie mit?
Dr. Georg Wit­ten­burg (Grün­der und CEO der Inspi­ri­ent GmbH)

Eine der noch viel zu wenig beach­te­ten Eigen­ar­ten von Künst­li­cher Intel­li­genz ist es, dass unse­re alt­her­ge­brach­te Ein­tei­lung von Arbeit in intel­lek­tu­ell „ein­fa­che“ und „schwie­ri­ge“ Auf­ga­ben nicht mehr gilt. Mir per­sön­lich fiel dies – auch ange­sichts mei­nes For­schungs­hin­ter­grunds in der Infor­ma­tik – wäh­rend mei­ner Zeit bei der Bos­ton Con­sul­ting Group auf: Gera­de bei Daten-zen­tri­schen Pro­jek­ten war die objek­ti­ve Schwie­rig­keit der Tätig­keit gerin­ger als bei­spiels­wei­se das Gewin­nen einer Par­tie Schach, wo ja schon vor 25 Jah­ren eine KI den Welt­meis­ter schlug. All­ge­mei­ner gespro­chen ergibt es kei­nen Sinn, dass die geschäft­li­che Daten­ana­ly­se bei The­men wie Daten­qua­li­tät sta­gniert, wäh­rend selbst­fah­ren­de Autos auch nachts und bei Regen eigen­stän­dig links abbie­gen kön­nen. Die Inspi­ri­ent GmbH macht nichts ande­res, als Fort­schrit­te in der Anwen­dung von KI aus ande­ren Fel­dern auf die geschäft­li­che Daten­aus­wer­tung anzu­wen­den, um Daten-getrie­be­ne Ent­schei­dun­gen zu beschleunigen.

  • Von Bera­tern ist häu­fig zu hören, die Ban­ken müss­ten mit­tels KI end­lich ihren Daten­schatz heben – reicht das?

Ban­ken müs­sen sich vor allem die Fra­ge gefal­len las­sen, war­um sie ihren Daten­schatz nicht schon längst geho­ben haben. Dass Daten wert­hal­tig sind, also ein betriebs­wirt­schaft­li­ches Asset, ist ja nun nichts Neu­es. Wenn Fir­men heu­te vom „Heben des Daten­schat­zes“ spre­chen, dann sagen eigent­lich, dass sie einen rele­van­ten Teil ihrer Assets ein­ge­la­gert hat­ten, statt die­se zu nut­zen. Als Share­hol­der wür­de ich ange­sichts die­ses Umstan­des, gera­de auch in der Ban­ken-Bran­che, auf die Bar­ri­ka­den gehen.

Das Pro­blem liegt hier natür­lich dar­in, dass sich der Wert eines Daten­sat­zes erst a pos­te­rio­ri nach der Ana­ly­se erschließt, und es daher unbe­kannt ist, genau wie viel unge­nutz­te Daten­wer­te Ban­ken in ihren Büchern bzw. in ihrem Data Lake haben. Umso wich­ti­ger ist es, die explo­ra­ti­ve Daten­ana­ly­se jetzt zu for­cie­ren – auch unter Ein­satz von auto­nom arbei­ten­der Künst­li­cher Intel­li­genz, da sonst die Res­sour­ce „Data Sci­en­tist“ zum Bot­t­len­eck wird.

  • Wo wür­de der Ein­satz von KI in den Ban­ken den größ­ten Nut­zen stif­ten – um wel­che Form der KI han­delt es sich dabei?

Der Ein­satz von KI wird bei Ban­ken, wie in ande­ren Bran­chen auch, ger­ne den Fach­ab­tei­lun­gen über­las­sen. So lan­det man schnell bei The­men wie Betrugs­er­ken­nung, Anti-Money-Laun­de­ring (AML), Know Your Cus­to­mer (KYC), Scoring oder Kun­den­ser­vice. All dies sind legi­ti­me Ein­satz­ge­bie­te von KI, und wir haben ent­spre­chen­de Pro­jek­te auch stets ger­ne unter­stützt. All die­se KI-Use-Cases erlau­ben eine inkre­men­tel­le Opti­mie­rung und ins­be­son­de­re Effi­zi­enz­stei­ge­run­gen im bestehen­den Geschäftsmodell.

Der wirk­lich gro­ße Wurf liegt aber klar im Feld der Busi­ness-Model-Inno­va­ti­on: Eine der Kern­kom­pe­ten­zen von Ban­ken ist es, Risi­ken ein­zu­prei­sen und ggf. mit pas­sen­den Instru­men­ten gegen die­se abzu­si­chern. Wie oben schon ange­spro­chen liegt eines der Kern­ri­si­ken in der sich digi­ta­li­sie­ren­den Wirt­schaft in der Ein­prei­sung von Daten als betrieb­li­ches oder gar han­del­ba­res Asset. Hier könn­ten Ban­ken mit KI-Ein­satz neue Pro­duk­te ent­wi­ckeln und sich zu einem zen­tra­len Play­er in der zukünf­ti­gen Daten-Öko­no­mie machen.

  • Was für Ver­än­de­run­gen in den Ban­ken sind nötig, um das Poten­zi­al der KI aus­zu­schöp­fen – an wel­che Erfah­run­gen kön­nen sie dabei anknüpfen?

In einer Daten- und KI-Öko­no­mie wird noch viel stär­ker als heu­te mit imma­te­ri­el­len Wer­ten gehan­delt wer­den. Ban­ken sind mit ihrer Erfah­rung, Pro­zes­sen und Mit­ar­bei­ter­struk­tur eigent­lich sehr gut auf­ge­stellt, um in die­sem Markt eine zen­tra­le Rol­le zu spie­len. Das Kern­pro­blem von Ban­ken scheint viel­mehr dar­in zu lie­gen, dass Daten und Algo­rith­men /​ KI klas­si­scher­wei­se im Dunst­kreis der IT-Abtei­lung gese­hen wer­den – statt wie ande­re Roh­stof­fe und Deri­va­te auf dem Han­delspar­kett. Dadurch kann sich leicht eine gewach­se­ne, sub­op­ti­ma­le Sicht auf Daten und KI erge­ben, die es nun drin­gend zu durch­bre­chen gilt. Was wür­de eigent­lich pas­sie­ren, wenn eine Bank zehn ihrer bes­ten Händ­ler in der Asset­klas­se „Daten“ spe­ku­lie­ren lie­ße? Bes­ten­falls Gewinn; schlech­tes­ten Falls bes­se­re Risi­ko­mo­del­le für das Kernas­set des 21. Jahrhunderts.

  • Ban­ken betrach­ten sich nicht als Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men – ist die­se Selbst­ein­schät­zung noch zutreffend?

Wenn man eine Koope­ra­ti­on mit einem Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men wie Goog­le ein­geht, um beim The­ma KI am Ball zu blei­ben, dann spie­gelt dies die­se Selbst­ein­schät­zung klar wie­der. Und tat­säch­lich müs­sen auch nicht alle Fir­men aller Bran­chen jetzt Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men wer­den. Wich­tig ist jedoch die Bewah­rung der eige­nen Posi­ti­on in der Wert­schöp­fungs­ket­te, da Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men basie­rend auf den Netz­werk­ef­fek­ten ihrer Geschäfts­mo­del­le eine Ten­denz dazu haben, Inter­me­diä­re aus­zu­schal­ten. Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men sind aber auch mehr als ande­re auf Daten­flüs­se ange­wie­sen, sodass hier – und wir spra­chen bereits über Ein­prei­sung und Model­lie­rung von Daten /​ KI Assets – neue Mög­lich­kei­ten ent­ste­hen, auf Augen­hö­he mit Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men ins Geschäft zu kom­men. Dass Ban­ken dabei selbst mehr und mehr Tech­no­lo­gie ein­set­zen wer­den und dafür ihre Inno­va­ti­ons­zy­klen von aktu­ell Mona­ten bis Jah­ren auf Wochen  redu­zie­ren müs­sen, ist offensichtlich.

  • Wenn Ban­ken auch Tech­no­lo­gie­un­ter­neh­men sind – was bedeu­tet das für das eige­ne Inno­va­tions- und Risikomanagement?

Ban­ken sind eigent­lich her­vor­ra­gend dar­in, Risi­ken gegen­ein­an­der abzu­wä­gen und mit ent­spre­chen­den Instru­men­ten hand­hab­bar zu machen und sogar zu neu­tra­li­sie­ren. Umso erstaun­li­cher ist es, dass man­che Ban­ken in ihren Inno­va­ti­ons­pro­zes­sen genau die­se Fähig­kei­ten igno­rie­ren und zum Teil jedes Inno­va­ti­ons­pro­jekt für sich selbst nach ein­fachs­ten ROI-For­meln bewer­ten und steu­ern. Jeder Händ­ler oder Port­fo­lio-Mana­ger wür­de sicher dar­über schmun­zeln, ange­sichts der resul­tie­ren­den sub­op­ti­ma­len, risi­ko­aver­sen Inves­ti­ti­ons­ent­schei­dun­gen (bei denen der Port­fo­lio-Mix hin­ter Ein­zel­ent­schei­dun­gen zurück­tritt). Im Umkehr­schluss bedeu­tet dies aber auch, dass die grund­sätz­li­chen Fähig­kei­ten für ein zeit­ge­mä­ßes Innovations‑, Risi­ko- und Tech­no­lo­gie­ma­nage­ment eigent­lich im Haus vor­han­den sind.

  • Wel­che neu­en Geschäfts- und Rol­len­mo­del­le sind durch den Ein­satz von KI für Ban­ken denkbar?

Ein Bei­spiel für eine zen­tra­le, mone­ta­ri­sier­ba­re Rol­le in der auf­kom­men­den Daten-Öko­no­mie hat­te ich oben bereits genannt. Vie­le der Aspek­te sind eben­so auf das Feld der Künst­li­chen Intel­li­genz über­trag­bar, bei­spiels­wei­se das Beur­tei­len, Ein­prei­sen und Absi­chern von Risi­ken im Han­del – nicht nur mit Daten, son­dern auch mit den zu trai­nier­ten KI-Model­len „ver­edel­ten“ Daten. Wenn man die Assets Daten und trai­nier­te KI-Model­le ernst nimmt, dann muss man auch über Han­dels­plät­ze, Bör­sen, Deri­va­te, Bro­ker und Clea­ring-Häu­ser nach­den­ken, um nur ein paar Mög­lich­kei­ten zu nennen.