Von Ralf Keuper

In sei­nem lesens­wer­ten Bei­trag Die deut­sche Wirt­schaft ruht sich auf “Made in Ger­ma­ny” aus äußert Mar­tin Wei­gert die Befürch­tung, Deutsch­land kön­ne den Anschluss an das digi­ta­le Zeit­al­ter ver­lie­ren. Zu sehr sei die Wirt­schaft hier­zu­lan­de auf das Ide­al deut­scher Inge­nieurs­kunst fixiert.

Da ist was dran.

Deutsch­land hat­te viel­leicht zu lan­ge Erfolg mit der Her­stel­lung hoch­wer­ti­ger Pro­duk­te, für die die Kun­den ger­ne bereit sind, einen Auf­preis zu bezah­len. Die Export­erfol­ge der letz­ten Jah­re, Jahr­zehn­te schei­nen indes zu bele­gen, dass die­se Erfolgs­ge­schich­te noch lan­ge nicht an ihr Ende gekom­men ist.

Bis heu­te hat die deut­sche Wirt­schaft in der Inter­net­öko­no­mie und Soft­ware­indus­trie kei­ne dem Maschi­nen­bau, der Che­mie- oder der Auto­mo­bil­wirt­schaft ver­gleich­ba­re Posi­ti­on errei­chen kön­nen. Hier lie­gen die USA deut­lich vor­ne – erwähnt sei­en nur Goog­le, Ama­zon, face­book und Apple. Auch in Chi­na ist die Wirt­schaft, auf den ers­ten Blick jeden­falls, digi­ta­ler aus­ge­rich­tet als die gro­ßen Volks­wirt­schaf­ten in Euro­pa. Spä­tes­tens seit der Bericht­erstat­tung um den bevor­ste­hen­den Bör­sen­gang von Ali­baba, dem nach eige­ner Aus­sa­ge welt­weit größ­ten Abwick­ler von Mobi­le Pay­ments und schärfs­ten Kon­kur­ren­ten von Ama­zon, ist das Unter­neh­men, das mehr­heit­lich Yahoo gehört, auch im Wes­ten einer brei­te­ren Öffent­lich­keit bekannt. Die Such­ma­schi­ne Bai­du ist das Goog­le Asi­ens. In Japan schickt sich der Raku­ten-Kon­zern an, Ama­zon und Ali­baba Paro­li zu bieten.

In Deutsch­land, wie über­haupt in Euro­pa, tut sich auf die­sem Gebiet recht wenig. Eine Aus­nah­me ist sicher­lich Rocket Inter­net, obwohl es auch hier Stim­men gibt, die eine Gleich­set­zung mit Ali­baba für abwe­gig hal­ten. Ein­zig Skan­di­na­vi­en scheint unter den Regio­nen Euro­pas in Sachen Digi­ta­li­sie­rung mit den USA, Asi­en und (!) Afri­ka Schritt hal­ten zu können.

Im Ban­king sieht es nicht viel anders aus, wenn­gleich hier die USA, anders als bei Such­ma­schi­nen und im E‑Commerce, kei­nen deut­li­chen Vor­sprung gegen­über den Län­dern Euro­pas haben. In Euro­pa ist vor allem Groß­bri­tan­ni­en bemüht, sei­ne noch ver­blie­be­ne Indus­trie und sei­ne Ban­ken auf Digi­ta­li­sie­rung zu trim­men. Nach dem Wunsch der bri­ti­schen Regie­rung soll Lon­don die welt­wei­te Fin­Tech-Metro­po­le wer­den. Im Ver­gleich dazu ist die Finanz­bran­che in Deutsch­land weit abge­schla­gen, wenn­gleich sich auch bei uns in den letz­ten Jah­ren eini­ges getan hat. Ber­lin zählt mitt­ler­wei­le zu den belieb­tes­ten Stand­or­ten für die Ansied­lung von Fin­Tech-Start­ups in Europa.

Manch­mal kann sich schon der Ein­druck ein­stel­len, dass uns in Deutsch­land der Idea­lis­mus einen Streich spielt. Das drückt zum einen dadurch aus, dass Pro­duk­te mit dem Güte­sie­gel “Made in Ger­ma­ny” in Fra­gen der Qua­li­tät einen aus­ge­zeich­ne­ten Ruf genie­ßen. Ande­rer­seits ist spöt­tisch vom ger­man over­en­gi­nee­ring die Rede. Hin und wie­der wäre eine prag­ma­ti­sche Vor­ge­hens­wei­se – in Maßen – die bes­se­re Alter­na­ti­ve – auch im Ban­king. Anstatt auf die idea­le Lösung bzw. Kon­stel­la­ti­on zu war­ten, wäre es manch­mal bes­ser, über­haupt erst einen Anfang zu machen, selbst wenn das Ergeb­nis den eige­nen Vor­stel­lun­gen von Qua­li­tät (noch) nicht entspricht.

Es scheint eine deut­sche Eigen­art zu sein, neu­en Tech­no­lo­gien und Ver­fah­ren gegen­über zuerst eine skep­ti­sche bis ableh­nen­de Hal­tung ein­zu­neh­men. Irgend­wann jedoch löst sich Kno­ten und es kann dann gar nicht schnell und umfas­send genug gehen.

Zwei Zita­te aus der Zeit um 1900 beschrei­ben die­se Men­ta­li­tät noch immer zutreffend:

So sag­te der Eng­län­der Arthur Shad­well im Jahr 1908:

Die Deut­schen sind lang­sam, ziel­be­wusst, sorg­fäl­tig, metho­disch und gründ­lich in ihrer Arbeit. Sie sind kein unter­neh­men­des und aben­teu­er­li­ches Volk, sie brau­chen Zeit zum Nach­den­ken und Han­deln. Aber sie haben eine uner­reich­te Fähig­keit dar­in, den rich­ti­gen Weg her­aus­zu­fin­den und ihn unbe­irrt zu verfolgen.

Und der deut­sche Phi­lo­soph Rudolf Eucken kam in etwa zur sel­ben Zeit zu dem Schluss:

Wir sind oft weni­ger rasch wie die ande­ren Völ­ker, und wir ent­schlie­ßen uns oft lang­sam, aber was wir ergrif­fen haben, das suchen wir bis zum Grun­de durch­zu­bil­den und in Gan­zes zu fas­sen; so kom­men wir schließ­lich doch den ande­ren voran.

So gese­hen besteht kein Grund zu erns­ter Sor­ge, ent­spricht unse­re der­zei­ti­ge Hal­tung der Erfolgs­for­mel der Ver­gan­gen­heit, die bis heu­te, wenn auch mit Ein­schrän­kun­gen, über­durch­schnitt­li­che Ergeb­nis­se her­bei­ge­führt hat.

Die Fra­ge ist aller­dings, ob Deutsch­land und wei­te Tei­le Euro­pas es sich auch wei­ter­hin leis­ten kön­nen, bei den neu­en Tech­no­lo­gien die Nach­züg­ler, die Imo­va­to­ren zu sein, zumal die Digi­ta­li­sie­rung ein ande­res Tem­po vor­legt als die Industrialisierung.

Solan­ge die Infra­struk­tur, das Rechts‑, Wis­sen­schafts- und Bil­dungs­sys­tem in Deutsch­land noch auf­nah­me­fä­hig sind, d.h. uns in die Lage ver­set­zen, die neu­en Tech­no­lo­gien zu begrei­fen und zu leh­ren und das Wis­sen in der Pra­xis erfolg­reich anzu­wen­den, besteht kein Grund für Pes­si­mis­mus.

Ob aller­dings die sog. Digi­ta­le Agen­da die­se Funk­ti­on erfül­len kann, darf bezwei­felt werden.

Mit Blick auf Groß­bri­tan­ni­en scheint hier­zu­lan­de noch der Wil­le zu feh­len, die Chan­cen der Digi­ta­li­sie­rung zu ergrei­fen. Dage­gen lässt sich ein­wen­den, dass Groß­bri­tan­ni­en auch kei­ne ande­re Wahl hat, nach­dem die Indus­trie weit­ge­hend ver­schwun­den ist, und es über­dies auch eine Gefahr sein kann, die Wirt­schaft kom­plett auf digi­tal umzu­stel­len. Soll­ten sich die Erwar­tun­gen nicht erfül­len, trifft es die Wirt­schaft und Gesell­schaft als Gan­zes unmittelbar.

Im Aus­land blickt man nicht sel­ten mit eini­ger Bewun­de­rung auf die Leis­tun­gen deut­scher Inge­nieur­kunst und ihrer Fähig­keit, Inno­va­tio­nen, wenn auch kei­ne tech­ni­schen Revo­lu­tio­nen, her­vor­zu­brin­gen. Bei­spiel­haft hier­für ist der Bei­trag Why Ger­ma­ny Domi­na­tes the U.S. in Inno­va­ti­on von Dan Brez­nitz, der im Mai die­sen Jah­res im Har­vard Busi­ness Review erschien.

Nach mei­nem Ein­druck ist die deut­sche Indus­trie bei der Digi­ta­li­sie­rung schon wei­ter als die Ban­ken­bran­che. Erwähnt sei­en die Indus­tri­al-IT und der Spit­zen­clus­ter Intel­li­gen­te Tech­ni­sche Sys­te­me Ost­West­fa­len­Lip­pe. Der deut­sche Maschi­nen­bau ist einer der größ­ten Arbeit­ge­ber für Sof­ware­ent­wick­ler, die sich mit Embedded Sys­tems aus­ken­nen. Für den Land­ma­schi­nen­her­stel­ler Claas ist die Digi­ta­li­sie­rung erfolgskritisch.

Inso­fern ist das Bild nicht ein­heit­lich, d.h. die deut­sche Wirt­schaft hält in wich­ti­gen Berei­chen bereits den Anschluss an die Digitalisierung.

Fer­ti­gungs- und Infor­ma­ti­ons­tech­no­lo­gie fan­gen auch in der Indus­trie an, zu ver­schmel­zen. In den Ban­ken ist das schon lan­ge so. Um so über­ra­schen­der, dass die Schrit­te hier häu­fig noch so zag­haft und unko­or­di­niert ausfallen.

Aber, was nicht ist, kann ja noch werden.

Wei­te­re Informationen:

Inno­va­tio­nen: Typisch deutsch

BMBF-Groß­pro­jekt zum The­ma Big Data in der Pro­duk­ti­on in Lem­go gestartet

Plus­mi­nus: Deutsch­lands digi­ta­les Desaster

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Wie­viel Angst vor der digi­ta­len und vir­tu­el­len Zukunft müs­sen wir haben?

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